EU:Geldgeber Gabriel

Die Europäische Union kostet Deutschland zu viel? Eine "falsche Erzählung", findet der Außenminister Sigmar Gabriel. Er fordert, Berlin solle bewusst mehr zahlen. Für SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz könnte das im Wahlkampf noch heikel werden.

Von Stefan Braun, Berlin

Es hat genau zwei Monate gedauert, bis Sigmar Gabriel als Außenminister macht, was er in früheren Ämtern auch gerne getan hat: mit einer forschen Botschaft ein besonderes Ausrufezeichen zu setzen. Mitten hinein in den aufziehenden Wahlkampf fordert er mehr Geld für Europa und mehr Zugeständnisse an die unter Wirtschaftskrise und Jugendarbeitslosigkeit leidenden EU-Partner. Während rechte Parteien wie die AfD einen neuen Nationalismus erzwingen wollen, möchte Gabriel das Gegenteil vorantreiben. Das kann selbst seinem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz noch Probleme bereiten. Der präsentiert sich zwar als entschlossener Europäer. Aber wenn es ums Geld geht, könnten Gabriels Rufe und Schulz' Versprechen, mehr in den deutschen Sozialstaat zu investieren, bald kollidieren.

Von derlei Sorgen hat sich Gabriel freilich nicht abschrecken lassen. Und so fordert er - zunächst bei einem Auftritt mit dem französischen Hoffnungsträger Emmanuel Macron, dann noch einmal in einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung -, Deutschland müsse für die EU und die Partner in der Gemeinschaft mehr Geld in die Hand nehmen. Anders als die meisten deutschen Politiker und Regierungen in den letzten Jahren plädiert er nicht dafür, in Brüssel für einen geringeren deutschen Anteil am EU-Budget zu kämpfen. Gabriel hält das Gegenteil für richtig und verlangt von der SPD, das im Wahlkampf offen zu vertreten. An der Seite Macrons sagte er Ende vergangener Woche: "Wenn wir das machen, können wir in Deutschland eine dringend nötige Debatte über den großen Nutzen der EU anstoßen."

Gabriel geht es vor allem um ein Bild, das er für falsch hält: das vom Lastesel Deutschland. Er will Europa nicht länger beschimpfen lassen, sondern als Gewinn für Deutschland preisen. Damit stellt er sich nicht nur gegen den letzten SPD-Kanzler Gerhard Schröder. Er wendet sich allgemein gegen jenes diffuse, aber verbreitete Gefühl, Berlin gebe als größter Nettozahler zu viel und bekomme zu wenig wieder.

Schröder hatte 1998 genau dagegen gewettert. Der neue Kanzler hatte damals betont, er werde sich gegen das "Verbraten" deutscher Steuergelder in Brüssel verwenden. Eine Stimmung, die bis heute unterschwellig in Parteien und politischen Kreisen vorherrscht - und von Gabriel nun bekämpft wird. "Es sind nicht nur die Gegner Europas von links- und rechtsaußen, die uns weismachen wollen, dass die europäische Einigung gegen nationale Interessen gerichtet sei", so Gabriel. "Das tun in unterschiedlichsten Formen seit Langem auch pro-europäische Parteien."

Millionen von Arbeitsplätzen in Deutschland hingen davon ab, ob es den EU-Partnern gut gehe

In seinem Plädoyer für mehr Europa und mehr deutschen Einsatz verlangt der Außenminister auch, die vielen "falschen Erzählungen" zu beenden. Ganz vorne stehe dabei die Behauptung, die EU bringe nichts für Deutschland. Mit solchen "Fake News" werde der Blick versperrt für die Tatsache, dass Deutschland ein "Netto-Gewinner" sei, wie Gabriel es ausdrückt. Millionen von deutschen Arbeitsplätzen hingen direkt davon ab, ob es den EU-Partnern gut gehe und sie auch in Zukunft die keineswegs billigen, weil technisch besonders guten deutschen Produkte kaufen könnten. "Jeder Euro, den wir also für den EU-Haushalt zur Verfügung stellen, kommt - direkt oder indirekt - mehrfach zu uns zurück."

Deutlich widerspricht Gabriel jenen in der Linkspartei und in der AfD, die behaupten, die Nationalstaaten hätten für den Einigungsprozess auf zu viel Souveränität verzichtet. Aus der Sicht des Außenministers ist das Umgekehrte richtig: "In Wahrheit gewinnen wir Europäer durch Europa die Souveränität zurück, die wir als Nationalstaaten in der Welt des 21. Jahrhunderts gar nicht wahren könnten."

Besonders scharfe Kritik richtet Gabriel gegen jene, die von den in Not geratenen Mitgliedstaaten im Süden verlangen, harte soziale Einschnitte mit dem Abbau staatlicher Schulden zu verbinden. Entgegen einer weit verbreiteten Stimmung, dass Deutschland ebendies mit der Agenda 2010 getan habe, sei das Gegenteil richtig. Ganz bewusst habe Schröders Regierung damals mit den EU-Budgetregeln gebrochen und in Schulen und anderes investiert, um die Folgen der Agenda abzufedern. Deshalb müsse auch hier "mit einem falschen Narrativ" gebrochen werden. Diese Kritik freilich gilt nicht nur den falschen Geschichten; sie gilt auch Angela Merkel und Wolfgang Schäuble. Die Kanzlerin und der Finanzminister sind es vor allem gewesen, die Griechenland und anderen Partnern harte Regeln auferlegten. Und Schulz? Er spricht bislang viel von Solidarität, aber wenig davon, den EU-Partnern mit mehr Geld unter die Arme zu greifen. Auch Gabriels Plädoyer hat da wenig geändert. Am Mittwoch sagte Schulz der SZ, für die Haushaltsperiode 2020 bis 2027 könne man über einen höheren Beitrag reden - sofern "die EU effizienter wird, mehr in Zukunftsbereiche investiert und alle Staaten ihrer Verantwortung in der Flüchtlingspolitik nachkommen". Ganz schön viele Bedingungen sind das. Gabriel hat auf all das verzichtet.

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