EU:"Fragile" Fortschritte

Die Umsetzung des Flüchtlingsdeals mit der Türkei kommt nur schleppend voran. Vor allem fallen die Entscheidungen über Asylanträge zu langsam.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Bei den Abmachungen mit der Türkei in der Flüchtlingskrise geht es nur schleppend voran. Die Fortschritte seien "fragil", erklärte die EU-Kommission am Mittwoch. Zwar sei die Zahl der ankommenden Flüchtlinge auf spektakuläre Weise zurückgegangen, von etwa 1740 Migranten in der Zeit vor dem Mitte März geschlossenen Deal mit der Türkei auf derzeit durchschnittlich 47 am Tag, ein Minus von 95 Prozent. Im Detail werden viele Vereinbarungen aber laut der Behörde zu langsam oder ungenügend umgesetzt. Dies betrifft vor allem die Entscheidung über Asylanträge in Griechenland, die Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei und die Umsiedlung aus der Türkei in die EU. Hier bedürfe es noch "dauerhafter Anstrengungen" Griechenlands, der Türkei und aller EU-Mitgliedstaaten.

Seit dem 20. März, als die Vereinbarung in Kraft trat, wurden 462 Personen von Griechenland in die Türkei zurückgeschickt, unter ihnen 31 Syrer. Sie hatten nicht um Asyl in Griechenland gebeten. Aus der Türkei wiederum wurden 511 syrische Flüchtlinge in die EU geflogen.

Ein großes Problem, was das Tempo der Rückführungen betrifft, ist die Berufungsinstanz in Griechenland. Noch gibt es keine "regulären" Gremien, die entscheiden, wenn ein Antrag auf Asyl in erster Instanz für unzulässig erklärt wurde, weil der Flüchtling aus einem "sicheren Drittstaat" nach Griechenland kam. Stattdessen waren per Dekret 20 provisorische Drei-Personen-Gremien geschaffen worden, denen neben einem Richter auch Mitarbeiter von Hilfsorganisationen angehören können. Sie haben laut EU erst in 57 (von 2000 anhängigen) Fällen entschieden. 55-mal wurden die Ablehnungsbescheide der ersten Instanz mit dem Hinweis revidiert, die Türkei sei kein sicherer Drittstaat. Laut Kommission erwirkt die griechische Regierung hier gerade Änderungen. "In den kommenden zehn Tagen", so EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos, würden "dem EU-Recht genügende" Berufungsgremien eingesetzt, die dann offenbar schneller und im Sinne der EU entscheiden sollen.

Teil der Vereinbarung mit der Türkei vom 18. März war auch der Plan, syrische Flüchtlinge auf freiwilliger Basis von der Türkei nach Europa zu fliegen, und zwar dann, wenn "die irregulären Übertritte von der Türkei in die EU beendet sind oder ihre Zahl zumindest substanziell und nachhaltig gesunken ist". Gedacht war, wie es in der EU stets geheißen hatte, an mehrere Hunderttausend Menschen. Auf die Frage, wann mit dieser Aufnahme begonnen werde, wo doch die Zahlen selbst nach Ansicht der Kommission "substanziell" gesunken sind, wich Avramopoulos aus und wiederholte, dass es bei der Rückführung der Flüchtlinge nicht zufriedenstellend laufe.

Ankara will, dass die EU ihr Versprechen hält und Syrer aus der Türkei nach Europa fliegt

In Ankara wird auf die groß angelegte Umsiedlung aber noch immer gepocht. Nach türkischer Ansicht stellt dies einen wesentlichen Teil des Deals dar, ohne den man sich auf die Rückübernahme aller syrischen Flüchtlinge wohl niemals eingelassen hätte. Dass sich die Europäer an ihr Versprechen offensichtlich nicht mehr gebunden fühlen - schließlich haben sie erreicht, was sie wollten: weniger ankommende Flüchtlinge -, könnte einen Teil der schlechten Laune erklären, die in Ankara hinsichtlich des Deals mit der EU herrscht.

Im Streit über die vorgezogene Visaliberalisierung, die der Türkei ebenfalls versprochen wurde, gibt es keinen wesentlichen Fortschritt. Noch immer hat die Türkei fünf der 72 EU-Bedingungen nicht erfüllt. Am wichtigsten sind die nach Meinung der EU viel zu breite türkische Definition des Tatbestands "Terrorismus" sowie die Unabhängigkeit der geplanten Datenschutz-Aufsicht. Die türkische Regierung weigert sich, beim Thema Terror nachzugeben. Im März hatte die EU eine Visafreiheit für Ende Juni in Aussicht gestellt. Inzwischen steht auch Oktober infrage. Avramopoulos wollte sich auf keinen Termin festlegen.

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