Großbritannien in der EU:Camerons Anmaßung

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David Cameron will, dass Großbritannien in der EU bleibt. Dennoch könnte er in die Geschichte eingehen als der Mann, der sein Land aus der Union herausgeführt hat. (Foto: dpa)

Es ist ein waghalsiger Plan: Nach seinem Wahlsieg will der britische Premier einen "besseren Deal" mit der EU aushandeln. An ein paar Zugeständnissen würde die EU nicht zugrunde gehen. Doch Camerons Pläne könnten die Statik des gesamten Bündnisses zerstören.

Kommentar von Daniel Brössler, Brüssel

Sollte eines nicht fernen Tages in London die blaue EU-Fahne für immer eingeholt werden, wird niemand sagen können, er sei nicht gewarnt gewesen. Ein führender britischer Politiker hat die Folgen schon 2013 treffend beschrieben. Die Europäische Union würde großen Einfluss auf die Geschicke im Land behalten, Großbritannien aber jegliches Mitsprache- und Vetorecht in Brüssel verlieren. Abhängig vom Zugang zum Binnenmarkt, müsste das Vereinigte Königreich sich fügen. Ohne Macht und Einfluss in der EU würde es auch in der Welt an Geltung einbüßen. "Wir können aus der EU austreten, aber nicht aus Europa", warnte der Politiker. Es war David Cameron.

Der britische Premierminister, soeben ausgestattet mit einem frischen und eindeutigen Mandat zur Alleinregierung, will, dass Großbritannien in der EU bleibt, und wird womöglich doch in die Geschichte eingehen als der Mann, der sein Land mit schlafwandlerischer Sicherheit aus der Union herausgeführt hat. Nur als ihr schärfster Kritiker glaubt Cameron sein Land in der EU halten und sich der machtvollen Europa-Skeptiker in und außerhalb seiner Konservativen Partei erwehren zu können. Mit dem Referendum über die britische EU-Mitgliedschaft, das er nun womöglich schon 2016 abhalten lässt, treibt er diesen waghalsigen Plan auf die Spitze.

Großbritannien
:Cameron will EU-Referendum womöglich schon 2016 abhalten

Nach seinem überraschend klaren Wahlsieg will der britische Premierminister Cameron offenbar schnell Klarheit über die Zukunft Großbritanniens in der EU. Eine für 2017 geplante Volksabstimmung könnte schon kommendes Jahr stattfinden.

Ohne Großbritannien geriete die Statik der EU in Gefahr

Klar ist: Ohne Großbritannien verlöre die EU spürbar an Wirtschaftskraft. Sie würde sich außen- und sicherheitspolitisch einen Arm abhacken. Auch die Statik der Union geriete in Gefahr. Das relative Gewicht Deutschlands nähme in einer Weise zu, die weder Deutschland noch andere wollen können. Cameron kann also davon ausgehen, dass die anderen die Briten in der EU halten möchten. Was er nicht weiß: Wie sehr?

Cameron braucht die perfekte Balance. Für seinen "besseren Deal" müsste er gerade so viel von der EU heraushandeln, dass es zu Hause reicht - und so wenig, dass es für die EU-Partner nicht zur Zumutung wird. Das wird schwierig werden, weil die Übung selbst schon eine Zumutung in sich trägt. Cameron verhandelt mit gezogener Waffe, wobei man darüber streiten kann, ob er dabei auf sich oder die anderen zielt. Es ist ohne Beispiel, dass der Regierungschef eines EU-Staates die anderen Mitglieder des Rates mit der Drohung zu Reformen zwingen will, dass eine von ihm angesetzte Volksabstimmung über den Verbleib seines Landes in der EU andernfalls scheitern wird.

Sonderregelungen und Zugeständnisse sind möglich

Viele in der EU werden pragmatisch genug sein, Erpressung nicht "Erpressung" zu nennen. Sie werden sich ans Beispiel Dänemarks halten, das 1992 Sonderregeln erstritt, nachdem ein nach der Verfassung zwingendes Referendum über den Vertrag von Maastricht gescheitert war. Ein neues Referendum wäre anders nicht zu gewinnen gewesen. Sonderregelungen und Zugeständnisse sind möglich, die EU geht daran nicht zugrunde. Dann jedenfalls nicht, wenn sie nicht zu weit gehen.

Ein Beispiel: Cameron will Migranten aus anderen EU-Ländern mehrere Jahre von Sozialleistungen ausschließen und wird dafür im Westen der EU vermutlich Verbündete finden. Genau diese Forderung aber zeigt, auf welche Bahn der Brite die EU lenken will. Ohne soziale Absicherung wird die Freizügigkeit, eine der Grundfreiheiten der EU, ausgehöhlt in einer Weise, wie Cameron sie für den freien Kapitalfluss nie akzeptieren würde.

Weltsicht einer der EU abgewandten Elite

So sehr Cameron auch vorgeben mag, für alle Europäer zu streiten, es bleiben seine britischen Wahrheiten, geprägt von der Weltsicht einer der EU abgewandten Elite. Ihre Geschichte einer unter der Knute der Brüsseler Bürokratie ächzenden britischen Wirtschaft erschließt sich Betrachtern auf dem Kontinent jedenfalls nicht ohne Weiteres. Und mehr Binnenmarkt, etwa bei Energie und Digitalem, hat sich die EU-Kommission ohnehin schon auf die Fahne geschrieben. Camerons Anliegen geht tiefer. Er will von der Peripherie aus das weitere Zusammenwachsen der Kerngruppe der EU bremsen. Das kann und darf nicht gelingen.

Die Gefahr für Europa und für ihn selbst besteht in der Anmaßung des britischen Premiers. Darin, dass er sich mehr Entgegenkommen ausrechnet, als ihm gewährt werden kann. Es wäre nicht das erste Mal, dass er die zu erwartende Schützenhilfe der Kanzlerin überschätzt. Angela Merkel kann versuchen, Großbritannien zu halten, aber sie wird in keinem Fall das Bündnis mit Frankreich gefährden. Ohne Großbritannien wäre die EU geschwächt, ohne das deutsch-französische Einvernehmen wäre sie am Ende.

Camerons überraschender Wahlsieg mag sein Gespür für die Wünsche der Briten beweisen. Will er seinen nächsten Kampf gewinnen, braucht er etwas anderes: ein Gefühl für Europa.

© SZ vom 18.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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