EU-Beitrittsverhandlungen:EU-Kommission stellt Türkei vernichtendes Zeugnis aus

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So schön sich Ankara von oben zeigt, was Rechtsstaatlichkeit, Grundrechte und Gewaltenteilung angeht, hat die Türkei in den vergangenen zwei Jahren massiv nachgelassen.

(Foto: imago)
  • In ihrem jüngsten Fortschrittsbericht konstatiert die EU-Kommission, die Türkei habe sich "in riesigen Schritten von der EU weg bewegt". Einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara empfiehlt das Gremium jedoch nicht.
  • Die EU-Kommission empfiehlt den EU-Staaten die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Mazedonien und Albanien.
  • Frankreichs Präsident Emmanuel Macron macht eine Erweiterung der EU von inneren Reformen in der Union abhängig.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Die EU-Kommission attestiert den meisten Kandidaten für einen Beitritt zur Europäischen Union erhebliche Defizite und stellt insbesondere der Türkei ein vernichtendes Zeugnis aus. "Die Türkei hat sich in riesigen Schritten von der Europäischen Union wegbewegt", heißt es im jüngsten Fortschrittsbericht, den die EU-Kommission am Dienstag in Straßburg verabschiedet hat.

Montenegro und Serbien attestiert sie dagegen Fortschritte in den Beitrittsverhandlungen, im Falle Mazedoniens und Albaniens empfiehlt sie die Aufnahme solcher Verhandlungen. Bosnien-Herzegowina und Kosovo macht sie keine derartigen Hoffnungen. Im Februar hatte die EU-Kommission 2025 als potenziellen ersten Termin neuer Beitritte ins Gespräch gebracht. "Qualität geht vor Geschwindigkeit", betonte nun aber Erweiterungskommissar Johannes Hahn.

In der Türkei sieht die EU-Kommission seit dem Putschversuch von 2016 massive Rückschritte bei der Rechtsstaatlichkeit und den Grundrechten sowie bei der Gewaltenteilung. Zwar seien Gegenmaßnahmen legitim gewesen, anzuzweifeln sei aber die Verhältnismäßigkeit massenhafter Entlassungen und Verhaftungen. Unter dem immer noch geltenden Ausnahmezustand leide überdies die Gewaltenteilung.

"Unter den jetzigen Umständen ist keine weitere Eröffnung von Verhandlungskapiteln vorgesehen", heißt es im Bericht. Zwar empfiehlt die Kommission keinen Abbruch der Verhandlungen, bestätigt aber deren faktische Unterbrechung.

"Die türkische Regierung hat zwar wiederholt ihr Bekenntnis zum EU-Beitritt erneuert, das hat sich aber nicht in konkreten Maßnahmen und Reformen niedergeschlagen", kritisiert die Kommission. So habe man die Regierung wiederholt ohne Erfolg zur Umkehr des negativen Trends bei der Rechtsstaatlichkeit aufgerufen. "Ist die Türkei Europa? Natürlich ist die Türkei Europa", betonte dennoch die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini.

Positiv wird fast nur die Aufnahme von 3,5 Millionen Flüchtlingen aus Syrien in der Türkei sowie die Umsetzung des Flüchtlingsabkommens mit der EU hervorgehoben.

Der Bericht zur Türkei lese sich "fast wie ein Horrorroman", sagte die Türkei-Berichterstatterin der Europäischen Volkspartei (EVP) im EU-Parlament, Renate Sommer (CDU). Obwohl die EU-Kommission der Türkei schwerwiegende Rückschritte bei Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz attestiere, würden Ankara aber keine ernsthaften Konsequenzen angedroht.

EU-Kommission sieht Fortschritte in Mazedonien und Albanien

Mit der Empfehlung, Beitrittsverhandlungen mit Mazedonien und Albanien aufzunehmen, werde den Fortschritten dort Rechnung getragen, sagte Erweiterungskommissar Hahn. Es werde zugleich aber auch betont, dass in beiden Ländern noch viel zu tun bleibe. Mazedonien wird bescheinigt, eine tiefe politische Krise überwunden zu haben. Albanien werden Fortschritte bei der Reform von Verwaltung und Justiz zugute gehalten. Der Verhandlungsbeginn hängt nun von der Zustimmung aller 28 EU-Mitgliedstaaten ab.

In allen Ländern des westlichen Balkan sieht die EU-Kommission noch erheblichen Nachholbedarf. Man sei zwar auf einem guten Weg, aber auch "weit davon entfernt, nah am Ziel zu sein", betonte Erweiterungskommissar Hahn. Die Rechtsstaatlichkeit und die Grundwerte der EU müssten sich alle Kandidatenländer in viel stärkerem Maße zu eigen machen, heißt es im Bericht. Sorgen bereiten der EU die immer noch weit verbreitete Korruption und die starke Stellung des organisierten Verbrechens.

"Es gibt keine Abkürzung auf dem Weg in die Union", warnte Hahn. Außerdem müsse die Bevölkerung in den Mitgliedsländern vom Sinn der Erweiterung überzeugt werden. "Wir exportieren Stabilität, damit wir keine Instabilität importieren", sagte er.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron machte eine EU-Erweiterung von inneren Reformen in der Union abhängig. "Ja zu Ihrem Willen, die Balkanländer an Europa zu binden", sagte Macron am Dienstag in Straßburg an die Adresse von Kommissionschef Jean-Claude Juncker gerichtet. Das geopolitische Risiko sei, dass die Balkanstaaten in Richtung der Türkei oder Russlands abglitten. "Aber für meinen Teil werde ich eine Erweiterung nur dann verteidigen, wenn es zuerst eine Vertiefung und einer Reform unseres Europas gibt", so Macron.

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