EU-Beitritt der Türkei:Gegen die Wand

Die Europäische Union bemüht sich, mit der Türkei so lange wie möglich über den Beitritt zu verhandeln - die entscheidenden Themen bleiben aus politischen Gründen blockiert.

Martin Winter

Fortschritt ja, Durchbruch nein. So lässt sich die Brüsseler Reaktion auf die Volksabstimmung in der Türkei zusammenfassen. Man begrüße die Entscheidung, sagte der Erweiterungskommissar Stefan Füle. Aber schon ihre Bezeichnung als "Schritt in die richtige Richtung" lässt keinen Zweifel, dass man zwischen Brüssel und Ankara noch lange nicht an dem Punkt ist, von dem aus der EU-Beitritt mit bloßem Auge zu erkennen wäre. Bei Grundrechten wie der Meinungsfreiheit und der Religionsfreiheit sieht Kommissar Füle weiterhin Mängel. Und was die neue Verfassung angeht, so müsse man nun sehen, ob und vor allem wie ihre Vorgaben in Gesetze umgesetzt würden.

Demonstration in der Türkei gegen Mohammed-Karikaturen

Seit 2005 verhandeln die Europäische Union und die Türkei die ganze Palette wirtschaftlicher, politische und rechtlicher Fragen, ohne die das Land kein Mitglied des Staatenbundes werden kann. Vorangekommen ist man dabei allerdings kaum.

(Foto: dpa/dpaweb)

Selbst die protürkischen Grünen fügen ihrer Freude eine Mahnung an: Die Verfassung müsse "noch demokratischer" werden, um die Türkei für den EU-Beitritt fit zu machen, sagte die grüne Europaabgeordnete Ska Keller. Auch wenn die türkische Verfassungsänderung in Brüssel als ein Signal verstanden wird, dass die Türkei weiter auf Reformkurs bleiben will, entscheidet nicht die Lektüre eines reformierten Grundgesetzes darüber, ob ein Land bereit für den Beitritt ist.

Sondern das sind zuallererst politische Entscheidungen. Solange die Staaten der EU sich nicht wirklich einig sind, kann Ankara sich kaum Hoffnungen machen. Briten und Finnen haben gerade erst für eine de facto sofortige Aufnahme plädiert. Berlin und Paris würden sie am liebsten nie sehen. Und die restlichen EU-Staaten schwanken zwischen diesen beiden Polen.

Allerdings steht eine politische Entscheidung derzeit gar nicht an. Einig ist man sich nämlich darüber, zumindest die Beitrittsgespräche zu führen. Das hat man der Türkei versprochen. Und so wird denn seit 2005 die ganze Palette wirtschaftlicher, politischer und rechtlicher Fragen Kapitel für Kapitel abgehandelt, ohne deren Klärung niemand der EU beitreten kann.

Genau bei dieser Übung aber, die den Europäern Zeit und den Türken Hoffnung verschafft, geht beiden jetzt die Luft aus. Es gibt zwar mit 35 Kapiteln genug Verhandlungsstoff für ein bis zwei Jahrzehnte. Aber weil zwischen Europäern und Türken ein paar schwere politische Brocken liegen, sind die entscheidenden Themen blockiert. Wegen des fortdauernden Zypern-Konflikts und der Weigerung der Türkei, Schiffen des EU-Mitglieds Zypern seine Häfen zu öffnen, wozu Ankara vertraglich verpflichtet ist, sind fast alle entscheidenden Handels- und Wirtschaftsthemen von den Gesprächen vorerst ausgenommen. Und weil Frankreich den "ergebnisoffenen" Charakter der Beitrittsgespräche betont sehen will, werden Themen zurückgehalten, die den Eindruck erwecken könnten, als sei der Beitritt schon beschlossen, etwa das Kapitel 17 über Wirtschafts- und Währungspolitik. So wird zurzeit über 18 der Kapitel nicht verhandelt.

Seit 2005 ist es gelungen, nach und nach 13 Kapitel für die Gespräche zu eröffnen, wozu es jedes Mal eines einstimmigen Beschlusses der Mitgliedsländer bedurfte. Auf diese Weise wurde der Beitrittsprozess "am Leben gehalten", wie es unter Diplomaten heißt. Und bis Ende des Jahres könnten durchaus drei weitere eröffnet werden. Als Signal an die Türkei, dass die EU in der Beitrittssache nicht nachlässt, wäre das für den Augenblick zwar schön. Aber in Brüssel graut den Diplomaten vor dem Tag danach. Denn dann ist man am Ende der Fahnenstange angekommen. Die restlichen Kapitel sind aus politischen Gründen blockiert. Und niemand weiß, wie die Blockaden gelöst werden könnten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: