EU:Basteln am großen Deal

Bis Juni wollen sich die Staaten der Union in wichtigen Fragen einigen - doch vor allem beim Umgang mit Migration und dem Umbau der Euro-Zone bleiben Konflikte.

Von Thomas Kirchner und Alexander Mühlauer, Brüssel

EU: Reden über Europa: Beim EU-Gipfel in Brüssel suchen die Beteiligten nach Kompromissen, rechts stehend der Brexit-Verhandlungsführer Michel Barnier.

Reden über Europa: Beim EU-Gipfel in Brüssel suchen die Beteiligten nach Kompromissen, rechts stehend der Brexit-Verhandlungsführer Michel Barnier.

(Foto: Emmanuel Dunand/AFP)

Manchmal kann es dauern, bis Angela Merkel auf den Punkt kommt. Die Bundeskanzlerin hat die Gabe, brisante Themen lange Zeit im Ungefähren zu lassen. Doch an diesem Freitag steht sie neben Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron und sagt ziemlich deutlich: "Wenn Deutschland und Frankreich keine gemeinsame Haltung haben, kommt Europa nicht voran." Das ist die Botschaft nach dem letzten EU-Gipfel in diesem Jahr: Berlin und Paris haben 2017 wieder zusammengefunden. Das Tandem "Mercron" funktioniert.

Damit daran auch wirklich kein Zweifel aufkommt, zählen die beiden alle Themen auf, bei denen Einigkeit herrscht: Verteidigung, Migration - und ja, auch bei der Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion. Man mag es kaum glauben, aber die geschäftsführende Kanzlerin legt sich in der Euro-Frage fest: "Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Bis März werden wir unsere Haltung zusammenbringen." Dann soll es einen Euro-Gipfel geben. Bleibt die Frage, ob es bis dahin eine neue Regierung in Berlin gibt. Macron ist zuversichtlich; die Kanzlerin sei dabei, eine Koalition mit der SPD zu bilden, er wünsche ihr "bon courage". Da muss sogar Merkel schmunzeln.

Beim Euro sind Norden und Süden uneins, bei Migration Ost und West

Zurück zu Europa und zum Euro. Man sei sich einig, "die Bankenunion anzustreben", sagt Merkel. Davon redet Berlin schon seit Jahren; spätestens wenn es um die europäische Einlagensicherung von Sparguthaben geht, zieht die Bundesregierung stets die Bremse. Erst müssten Risiken abgebaut werden, bevor vergemeinschaftet werden könne. Merkel spricht lieber von Strukturreformen und Wettbewerbsfähigkeit.

Doch um die Details soll es an diesem Freitag nicht gehen. "Wir werden Konvergenz finden", verspricht Merkel, "wenn ein Wille da ist, ist auch ein Weg". Man müsse sich nur in die Zeit zurückversetzen, als der Euro geschaffen wurde. Selten habe es einen gemeinsamen Ausgangspunkt gegeben, immer sei "etwas Gutes und Gemeinsames entstanden". Und jetzt? "So wird es sicherlich auch wieder sein." Beim EU-Gipfel im Juni wolle man "Ergebnisse präsentieren". Macron nickt und geht doch ein bisschen ins Detail. Seine Position sei bekannt - aber eines möchte er klarstellen: Ein Budget für die Euro-Zone "mit mehreren Prozentpunkten" der Wirtschaftsleistung sei nicht seine Priorität. Das habe er nie gesagt. Es gehe ihm vielmehr um die bereits von Jacques Delors angestrebte Konvergenz unter den Euro-Staaten. Merkel nickt. Wie die beiden einander überhaupt viel Zustimmung versichern.

Und doch offenbaren sich zwei tiefe Konflikte in Europa. Beim Euro verläuft der Graben zwischen Nord und Süd, bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise zwischen Ost und West.

Die Debatte über Migration selbst läuft bis nach Mitternacht "entlang den bekannten Bahnen", wie ein EU-Diplomat sagt. Das östliche Lager moniert, die Umverteilung "funktioniere" nicht. Das hatte EU-Ratspräsident Donald Tusk im Vorfeld ebenfalls festgestellt, wofür ihn das westliche Lager beim Abendessen wiederum heftig kritisiert. So entstehe der Eindruck, die Arbeit der vergangenen zwei Jahre auf europäischer Ebene sei vergeblich gewesen. Das wäre ein falscher Eindruck. Die EU ist weit gekommen. Sie hat das Chaos der Anfangszeit, als die Migranten unregistriert durch Europa reisten, einigermaßen gebändigt. In Zusammenarbeit mit Drittstaaten gelang es, viele von einer Reise Richtung EU abzuhalten. Weniger gut klappte der Versuch, die Lasten intern zu verteilen. Dies soll nun nicht mehr ad hoc, sondern im Zuge der Dublin-Reform dauerhaft geregelt werden. "Hier haben sich die Standpunkte nicht verändert", resümiert Merkel. Man habe "noch ein großes Stück Arbeit zu tun".

Ein sehr großes. Weil es um Grundsätzliches geht, scheint wenig Raum für Kompromisse zu bestehen. Flüchtlinge aufnehmen oder nicht aufnehmen - gibt es etwas dazwischen? Wer so denkt, unterschätzt die Kreativität europäischer Ministerialbeamter und das Wesen der Zusammenarbeit in der EU. Trotz allem wollen die Ost-Abweichler den Club ja keineswegs verlassen, und ernsthaft will sie auch niemand hinauswerfen. Also wird es eine Lösung geben, wie auch immer.

Der Weg zum Kompromiss ist lang, auf ihm warten lange Nächte, Armdrücken, Showdown

Seit Wochen ist in Brüssel vom Deal die Rede, den die Chefs am Ende aushandeln müssten. Neu ist nur, dass es ein ganz großer Deal sein wird, einer, der neben der Migration den künftigen mehrjährigen EU-Haushalt, die Euro-Reform und vielleicht sogar die Debatte über die Rechtsstaatlichkeit in Polen oder Ungarn einschließt. Das West-Lager hat mehrere Hebel: an erster Stelle die Drohung, die Kohäsionsmilliarden für den Osten zu kürzen. Zweitens der Hinweis, die Binnengrenzkontrollen beliebig lange fortsetzen zu können. Drittens raunen deutsche und niederländische Politiker ständig, dass man die Sache ja per Mehrheitsbeschluss entscheiden könne.

All diese Elemente wird man in die europäische Kompromissmaschine stopfen. Hinten kommt eine Wurst heraus, deren Beschaffenheit unschwer zu erahnen ist, zumindest was den asylpolitischen Teil betrifft: Italien, Griechenland, Deutschland, Schweden und wenige andere werden weiterhin die Hauptlast schultern, sprich: das Gros der Schutzsuchenden aufnehmen, wohingegen der Osten etwas mehr Geld zahlt und sich symbolische Zugeständnisse abringen lässt.

Das sagt sich leicht, aber der Weg ist lang. Auf ihm warten Armdrücken, Showdown, lange Nächte. Offiziell halten die EU-Verwurster am Juni-Ziel fest. Ein Diplomat winkt ab. "Das ist nicht zu schaffen."

In der Welt von "Mercron" hört sich das dann so an: Macron sagt, erst müsse man die gemeinsame Aufgabe definieren, und dann installiere man einen Fonds. Wie jenen für Libyen oder für die Verteidigung. Merkel sagt: "Geld alleine löst das Problem nicht unbedingt."

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