EU-Haushalt:Brüssel bastelt an einer Wohlverhaltensklausel

Europafahnen sind aufgezogen am 10 02 2017 vor der EU Kommission in Brüssel Bruxelles Brussels am

Europafahnen vor der EU-Kommission in Brüssel.

(Foto: imago/Winfried Rothermel)
  • Die EU will bald ihren Vorschlag zum ersten Haushalt nach dem Brexit präsentieren.
  • Durch das Ausscheiden der Briten geht der Union viel Geld verloren.
  • Deutschland unterstützt den Plan Brüssels, dass zukünftig nur noch Geld aus den Umverteilungstöpfen der EU bekommen soll, wer sich an gewisse Regeln hält.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Es gibt Tage, an denen alles zusammenkommt. Der 2. Mai wird so einer sein: Am nächsten Mittwoch will die Europäische Kommission ihren Vorschlag zum ersten EU-Haushalt nach dem Brexit präsentieren. Es geht dabei nicht nur um viele Milliarden, sondern auch darum, was die Union im Innersten zusammenhält. Der Streit ums Geld offenbart sämtliche Konflikte, die Europa umtreiben. Die Euro-Krise hat den Kontinent in Nord und Süd gespalten; und seit der Flüchtlingskrise verläuft ein tiefer Graben zwischen Ost und West. Die Frage ist also: Wie ist es um die gegenseitige Solidarität bestellt? Und wie hoch darf der Preis dafür sein?

Fest steht: Mit dem Brexit verliert die EU einen ihren größten Nettozahler. Bis Ende 2020 wollen die Briten zwar weiter ihre Beiträge in den Haushaltstopf überweisen, doch danach klafft ein riesiges Loch. Je nach Rechnung fehlen dann sechs bis zwölf Milliarden Euro pro Jahr, weil London mehr einzahlt, als es herausbekommt. Das allein ist schon ein schwerer Schlag für die europäische Umverteilungsmaschine. Trotzdem sind die Staats- und Regierungschefs entschlossen, mehr in den Schutz der Außengrenzen, die Terrorabwehr und die Verteidigung zu investieren. Doch woher soll das Geld kommen, wenn es nach dem Brexit weniger zu verteilen gibt?

Deutschland hat bereits ein Bekenntnis abgelegt. Berlin ist zu höheren Beiträgen in den Finanzrahmen 2021 bis 2027 bereit. Die Summe hält man sich bewusst offen; doch allein die Absicht, mehr zahlen zu wollen, trifft bei vielen anderen Nettozahlern auf Unverständnis. Besonders in Skandinavien, Österreich und den Niederlanden stößt die neue deutsche Großzügigkeit auf Widerstand. Die Bundesregierung will versuchen, diese Länder von ihrem Kurs zu überzeugen. Das wird nicht einfach, denn auch in Berlin muss man eine Antwort auf die durchaus berechtigte Frage finden: Warum sollten die Nettozahler ein Land wie Polen, den größten Nutznießer des EU-Haushalts, weiter so stark unterstützen? Schließlich gefährdet die Regierung in Warschau gemeinsame Werte wie die Rechtsstaatlichkeit und weigert sich, Flüchtlinge aufzunehmen.

Deutschland will den künftigen Geldfluss deshalb an klare Bedingungen knüpfen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kann dabei auf einen Mann in Brüssel bauen: Als Haushaltskommissar obliegt es ihrem Parteifreund Günther Oettinger, entsprechende Konditionalitäten vorzuschlagen. Und das will er auch tun. Der deutsche Kommissar sieht in der Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien eine Grundvoraussetzung für den Anspruch auf EU-Mittel. Auch die Frage, wie erfolgreich ein Land gegen Korruption vorgeht, soll künftig eine Rolle bei der Strukturförderung spielen. In Osteuropa dürfte das als Kampfansage aus Brüssel verstanden werden.

Eine Umverteilung der Mittel käme vor allem den Staaten im Süden zugute

Bislang wähnten sich Länder wie Polen und Ungarn in Sicherheit - schließlich muss der mehrjährige Haushaltsrahmen von allen EU-Staaten einstimmig beschlossen werden. Doch wenn es um die konkrete Vergabe von Mitteln geht, will die Kommission selbst darüber entscheiden. Die EU-Staaten sollen sich nur dagegen aussprechen können, wenn es unter ihnen eine qualifizierte Mehrheit gibt. Eine Blockade der vier Visegrád-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei wäre so nicht möglich.

Und damit nicht genug: Die EU-Kommission ist entschlossen, dass all jene Empfängerländer, die ihre Solidarität in der Flüchtlingskrise verweigert haben, dies im Zuge der Finanzverhandlungen zu spüren bekommen. So sollen Förderhilfen für Mitgliedstaaten auch davon abhängig gemacht werden, wie hoch die Kosten für die Migrationspolitik sind. Das käme vor allem südeuropäischen Ländern wie Italien und Griechenland zugute, wo die meisten Flüchtlinge ankommen. Auch Kriterien wie Klimaschutz oder Jugendarbeitslosigkeit sollen künftig einen Einfluss auf die Vergabe von Geldtöpfen haben. Nimmt man dies zum Maßstab, zeichnet sich eine Umschichtung von Fördermitteln in Richtung Süden ab. Die großen Verlierer der anstehenden Verhandlungen dürften die osteuropäischen Staaten sein. Zumal Frankreich auf eine "Konvergenz bei Steuern" dringt und nicht mehr länger zusehen will, wie etwa Ungarn Steuersenkungen mithilfe von EU-Geldern kompensiert.

Nach dem Brexit sollen die Mitgliedsbeiträge aller übrigen Staaten steigen

Bleibt die Frage, was mit der Brexit-Lücke passiert. Geht es nach Oettinger, soll diese zur Hälfte durch Einsparungen, zur anderen Hälfte durch frisches Geld der EU-Staaten geschlossen werden. Die neuen Ausgaben für gemeinsame Projekte beziffert der Kommissar auf etwa zehn Milliarden Euro. 20 Prozent davon sollen durch Kürzungen im Haushalt kommen; der Rest wiederum von den Mitgliedstaaten. Unter dem Strich soll es für alle teurer werden: Oettinger will den Haushaltsbeitrag von derzeit einem Prozent der Wirtschaftsleistung auf "1,1x" Prozent erhöhen. Aus Deutschland fordert die Kommission mindestens drei Milliarden Euro mehr.

Um die Bürger davon zu überzeugen, ist Oettinger darauf bedacht, nur noch Projekte zu fördern, die, wie er sagt, "europäischen Mehrwert" schaffen. Die Ausgaben für Forschung und das Austauschprogramm Erasmus will der Kommissar erhöhen. Agrar- und Strukturförderfonds sollen gekürzt werden. Allein die Strukturhilfen machen etwa ein Drittel des Gesamtbudgets aus - sie sollen dazu beitragen, die Lebensverhältnisse in der EU anzugleichen. Bedürftige Regionen bekommen von wohlhabenderen mehr Geld.

Aus Sicht der Nettozahler bedarf dieser Mechanismus einiger Korrekturen. Ein möglicher Weg ginge über den Eigenanteil, den ein Staat oder eine Region bei geförderten Projekten aufbringen muss. Derzeit liegt dieser oft nur bei zehn Prozent. Oettinger hält einen Anteil von etwa 30 Prozent für angemessen. Das würde das Budget entlasten und sicherstellen, dass Staaten nur Projekte vorschlagen, die sie selbst für sinnvoll halten. Deutschland dringt ohnehin darauf, die Vergabe von Geldern stärker mit den wirtschaftspolitischen Empfehlungen der Kommission zu verknüpfen. Das Kalkül: Wer sich mehr anstrengt, soll mehr Geld bekommen.

So sieht das auch Oettinger. Er will mit den Verhandlungen vor den Europawahlen 2019 fertig werden. Doch angesichts seiner umstrittenen Überlegungen, die Haushaltsmittel mithilfe einer Plastiksteuer oder den Einnahmen aus dem CO₂-Emissionshandel zu erhöhen, dürfte das kaum zu schaffen sein. Außerdem ist Geld seit jeher eines: ein beliebtes Wahlkampfthema.

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