Erzbischof Marx über Papst-Debatte:"Ich will das nicht schönreden"

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Erzbischof Reinhard Marx sagt, er verstehe die aktuelle Irritation vieler Katholiken im Fall Williamson. Ein Gespräch über den Papst, die Juden und die Kritik der Kanzlerin.

M. Maier-Albang und H. Prantl

SZ: Die Ernennung eines Weihbischofs, der einen Hurrikan als Strafe Gottes beschreibt, die Rücknahme der Exkommunikation eines antisemitischen Bischofs, die Wiedereinführung der tridentinischen Messe. Sind das Zeichen dafür, dass die Kirche, wie Sie jüngst gesagt haben, mutig in die Zukunft geht?

Der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Marx, neben einem gemalten Bild von Papst Benedikt XVI. (Foto: Foto: dpa)

Marx: Man kann nicht einfach alles vermischen und zu einem Trend erklären. Die Kirche geht mit diesem Papst nicht in die Vergangenheit. Ein Zurück vor das Konzil kann es nicht geben.

SZ: Wo sind denn die Zeichen, die nach vorne weisen?

Marx: Wir erleben in unserem Kulturkreis zum ersten Mal in der Weltgeschichte, dass Menschen völlig frei ihre religiöse Orientierung wählen können. In diesem Kontext muss sich die Kirche neu aufstellen. Wir wollen Menschen für den Glauben faszinieren, ihnen klarmachen, dass es ein Qualitätssprung für ihr Leben ist, wenn sie Christen sind. Das ist eine Herausforderung für die Kirche.

SZ: Der sie offenbar nicht gewachsen ist. Das konservative Forum Deutscher Katholiken lobt den Papst gerade dafür, dass er Fehlentwicklungen korrigiert, die die durch das Zweite Vatikanum entstanden seien. Und Sie sehen keine restaurative Tendenz?

Marx: Sie können jetzt viele zitieren, die die Handlungen des Papstes irgendwie interpretieren. Richtig ist aber: Dieser Papst steht für das Zweite Vatikanische Konzil. Und das Konzil wollte eine Erneuerung der Kirche aus den Quellen der biblischen Tradition. Dass es nach dem Konzil auch Entwicklungen gegeben hat, mit denen nicht alle glücklich waren, ist bekannt. Und nicht alles ist nur deshalb gut, weil es als Fortschritt gilt. Es ist nicht so, dass vor dem Konzil Mittelalter war und danach Aufklärung. Das Konzil war ein großartiger Schub - und es war theologisch wesentlich von Joseph Ratzinger mitgeprägt. Es gibt von ihm keine Stellungnahme aus den letzten Jahren, die das Konzil relativiert.

SZ: Es gibt von ihm Äußerungen, in denen er beklagt, dass die nachkonziliare Entwicklung zu modernistisch sei. Wird die Freiheit des Denkens bei Kirchenmitgliedern letztlich nicht geschützt?

Marx: Von mir schon. Und auch der Papst stellt die Moderne im Sinne von Aufklärung, Freiheit, Demokratie nicht in Frage.

Auf der nächsten Seite: Marx über Williamson: "Ein Antisemit und Holocaust-Leugner hat in der Kirche keinen Platz."

SZ: Warum umwirbt der Vatikan die erzkonservative Piusbruderschaft? Sie bezichtigt die "heutigen Juden" der Mitschuld am Tode Christi. Und deren deutscher Distriktobere Franz Schmidberger schreibt, er sei mit Trauer erfüllt, wenn der Papst eine Synagoge besucht.

Marx: Ich kann gut verstehen, dass auch Katholiken dadurch irritiert sind. Und ich teile nicht die Zuversicht, die es im Vatikan offenbar gibt, dass man den Traditionalisten eine Brücke bauen kann, die sie dann auch beschreiten. Aber wenn man dem überhaupt etwas Positives abgewinnen will, dann die Tatsache, dass man diese Gruppe jetzt sehr genau beobachtet.

SZ: Also ein kluger Schachzug?

Marx: Darüber will ich nicht spekulieren. Der Papst ist ihnen entgegengekommen. Ob es zu großzügig war, zu gutmütig, ob er über all das informiert war, was er hätte wissen müssen, kann ich nicht beurteilen. Und man muss klar festhalten: Auch nach der Aufhebung der Exkommunikation bleiben die Bischöfe suspendiert. Sie dürfen ihr Amt nicht ausüben, sie dürfen keine Sakramente spenden. Zu Williamson muss man ganz klar sagen: Ein Antisemit und Holocaust-Leugner hat in der Kirche keinen Platz.

SZ: Die Kirche müsste ihn wieder exkommunizieren?

Marx: Ich gehe davon aus, dass die Exkommunikation automatisch eintritt, wenn diese Bischöfe sich nicht dem Lehramt des Papstes unterstellen, das ja das Konzil einschließt.

SZ: Will der Papst mit der Annäherung an die Traditionalisten, mit der Wiederzulassung des tridentinischen Ritus die alte Volkskirche wieder beschwören?

Marx: Das glaube ich nicht.

SZ: Der Papst weint aber dem alten Ritus hinterher?

Marx: Das glaube ich auch nicht, aber warum sollte er nicht Rückschau in seine Jugend halten dürfen und sagen: Das war auch eine schöne Zeit. Vor dem Konzil war nicht alles schrecklich und nach dem Konzil nicht alles gut.

SZ: Viele Juden haben das Gefühl, dass dem Papst am Dialog mit einem antisemitischen Traditionalisten mehr liegt als am Dialog mit ihnen.

Marx: Die Juden sind für uns die älteren Brüder. Das Judentum ist, um mit Paulus zu sprechen, die Wurzel, die uns trägt. Alle Ansprachen des Papstes sind getragen von einem großen Respekt dem Judentum gegenüber. Kann man da denn jetzt einfach sagen: Das hat er so nicht gemeint. Das ist doch eine Unterstellung!

SZ: Vielleicht ist der Geist willig, das Fleisch aber schwach. Protestanten, Juden und Muslime klagen über den Papst. Diese Situation kann für die katholische Kirche nicht befriedigend sein.

Marx: Im Augenblick ist bei manchen die Irritation vielleicht da, ich will das gar nicht schönreden. Aber das friedliche Miteinander der Religionen und Konfessionen ist und bleibt für die katholische Kirche wichtig. Die Kirche sucht den geschwisterlichen Dialog mit den Juden. Gesprächsabbrüche helfen da nicht. Juden und Christen dürfen sich nie wieder gegeneinander stellen.

SZ: Der Zentralrat der Juden fordert Taten statt wohlklingender Worte.

Marx: Es gibt doch die deutliche Erklärung des Vatikans, der von den Traditionalisten die Anerkennung von Nostra aetate einfordert, jenem Konzilsdokument, das die besondere Beziehung der Kirche zu den Juden betont.

SZ: Aber das ist eine innerkirchliche Angelegenheit. Wenn die jüdische Welt die Handlungen des Vatikans als Affront einstuft, kann man doch nicht zur Tagesordnung übergehen. Warum entschuldigt sich der Vatikan nicht einfach?

Marx: Um es noch einmal zu sagen: Die Sache ist nicht optimal gelaufen, aber der Papst wollte doch in keiner Weise Antisemitismus tolerieren. Ihm das zu unterstellen, ist ungeheuerlich.

SZ: Geht Frau Merkels Kritik zu weit?

Marx: Ja. Mich hat die Äußerung gewundert. Der Papst hat deutlich Stellung genommen gegen jede Leugnung des Holocaust. Er hat klargemacht, dass Antisemitismus bei uns in der Kirche keinen Platz hat. Ich weiß nicht, was er sonst noch klarstellen sollte. Meiner Ansicht nach ist damit alles gesagt.

© SZ vom 05.02.2009/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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