Erster Weltkrieg:Frankreichs letzter Veteran stirbt im Alter von 110 Jahren

Der letzte Zeitzeuge der grausamen Materialschlachten des Ersten Weltkriegs ist gestorben. Die alten Soldaten waren in Frankreich Nationalhelden - ganz anders in Deutschland.

Gerd Kröncke

Er war der Letzte, nun gibt es keinen mehr, der sich erinnert. Lazare Ponticelli war hundertundzehn Jahre alt. Er war, was sie in Frankreich fast zärtlich und nicht übersetzbar, einen Poilu genannt haben, ein Soldat des Ersten Weltkriegs. In einem Alter, in dem andere fast noch Kinder sind, hat er im Schützengraben gelegen.

Erster Weltkrieg: Lazare Ponticelli an seinem 110. Geburtstag.

Lazare Ponticelli an seinem 110. Geburtstag.

(Foto: Foto: AP)

Das war im Großen Krieg wie sie hier sagen, la Grande Guerre. In Deutschland, hat man jenen verlorenen Krieg verdrängt und während in England und Frankreich der 11. November, Kriegsende 1918, ein Feiertag ist, beginnt in Deutschland der Karneval.

Vielleicht ist es ein Symbol in unserem Europa, dass der alte Lazare Ponticelli nicht als Franzose geboren war, dass er der französischen Trikolore als italienischer Gastarbeiter gefolgt ist. Die Zeiten waren lausig und erstens hatte man beim Militär etwas zum Beißen und zweitens wollte er sich dem Land dankbar zeigen, das ihn aufgenommen hatte. Deshalb meldete er sich zur Fremdenlegion.

In einem Interview erzählte er einmal wie sie, ziemlich zu Anfang des Krieges, in Argonne lagen. Da habe es einen seiner Kameraden getroffen und er blieb verletzt zwischen den Linien. "Holt mich hier weg", schrie er, "mein Bein ist ab". Er, Lazare Ponticelli, sei aus dem Graben gekrochen und habe ihn geholt. Er habe mit einer Zange den Stacheldraht aufgeknipst und sich zu ihm vorgekrochen.

Der Kumpel schrie und die ganze Zeit schossen die Deutschen. Ponticelli zog ihn zurück in den eigenen Graben. "Beiß die Zähne zusammen, wenn du schreist wird es nur noch schlimmer". Als die Sanitäter den Verletzten endlich greifen konnten, schrie er wieder, aber versuchte auch seinen Retter zu umarmen und ihm zu danken: "Merci, im Namen meiner vier Kinder".

Als Italien an Frankreichs Seite in den Krieg eintrat, wurde Ponticelli nach Hause geschickt. Es kann nicht viele gegeben haben, die in zwei Armeen im selben Krieg gekämpft haben. Gegen Ende ist er noch verwundet worden, wurde aber nach seiner Genesung wieder an die Front beordert. Der Frieden 1918 ereilte ihn am Monte Grappa.

"Es war vorbei, alle waren glücklich, die Österreicher genauso wie wir. Und seither fragte man sich: 'Warum haben wir nur gegeneinander gekämpft'". Nach dem Krieg ist er nach Frankreich zurückgekehrt und hat mit seinen Brüdern eine Kessel- und Kupferschmiede gegründet. Erst 1939 hat er die französische Staatsbürgerschaft angenommen. Im Zweiten Weltkrieg war er im Widerstand wieder gegen die Deutschen aktiv.

Jacques Chirac hatte die Idee, dem letzten Poilu ein Staatsbegräbnis auszurichten. Dagegen hat sich Lazare Ponticelli lange gewehrt. Er wollte keine Ehren, er sah sich nicht als außergewöhnlich, jedenfalls nicht als Soldat. Schließlich hat er seinen Frieden mit der Idee gemacht.

"Eine Messe im Invalidendom zu Ehren aller meiner Kameraden, die in der Hölle des Krieges gefallen sind", hat er dann doch akzeptiert. "Eine nationale Totenfeier, ohne Brimborium und ohne großes Defilee, für all die Toten, Männer und Frauen", damit soll es sein Bewenden haben. Das Panthéon, wo die Nation ihre großen Toten zur Ruhe legt, lehnte er ab. Er will auf dem Friedhof von Ivry im Familiengrab ruhen.

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