Bürgermeister in Baden-Württemberg:Kraichgau-Obama

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John Ehret ist Kriminalkommissar, parteilos und jetzt der erste dunkelhäutige Bürgermeister in Baden-Württemberg. Der 40-Jährige kehrt zurück an den Ort seiner Jugend, ins nordbadische Mauer.

Roman Deininger

Jedes Jahr an Heiligabend war der kleine John beim Krippenspiel in der Evangelischen Kirche von Mauer dabei, er hatte eine feste Rolle, eine sehr gute sogar. Er spielte immer einen der drei Könige, immer den gleichen: Caspar, den Mohren. Trotzdem lag John dem Pfarrer so lange im Ohr, bis der ihn eines Tages nicht mehr als Caspar einteilte, sondern als Hirten. Am Weihnachtsabend stand er dann also weit hinten zwischen Stoffschafen und Stoffeseln, es gab nicht viel zu tun für ihn. Aber es war der größte Moment seiner Schauspielerkarriere.

John Ehret an seinem neuen Arbeitsplatz: dem Rathaus von Mauer. Mit 58,1 Prozent setzte er sich gegen den langjährigen Kämmerer durch. (Foto: dapd)

John Ehret hat schließlich eine ganz andere Laufbahn eingeschlagen, beim Bundeskriminalamt, und auch die hat kürzlich eine unerwartete Wendung genommen. An diesem Freitag kehrt der 40-Jährige zurück nach Mauer, den Ort seiner Jugend, für seinen ersten Arbeitstag als Bürgermeister. Das ist an sich schon mal nicht alltäglich: dass ein junger Mann, der noch in Köln wohnt, kein Parteibuch hat und keine kommunalpolitische Erfahrung, in einer nordbadischen 4000-Seelen-Gemeinde mit 58,1 Prozent eine Wahl gewinnt, und das gegen den langjährigen Kämmerer.

Doch all das würde schon im nahen Heidelberg niemanden interessieren, wenn dieser John Ehret 1971 in Karlsruhe nicht als Sohn eines afroamerikanischen US-Soldaten geboren worden wäre. Wenn man mit ihm darüber redet, ist er auf höflichste Weise genervt. "Es wäre schön, wenn nicht alles auf meine Hautfarbe reduziert würde", sagt er, ein bisschen so wie vor dreißig Jahren beim Krippenspiel. Doch er verstehe schon, dass er einen kurzen Moment im Rampenlicht jetzt aushalten muss: als erster schwarzer Bürgermeister in Baden-Württemberg, wahrscheinlich sogar in Deutschland.

So ganz genau weiß Ehret das nicht, so ganz genau weiß das offenbar keiner, was man wohl als gutes Zeichen werten darf für eine Gesellschaft, die ohne afrodeutsche Künstler und Sportler gar nicht mehr vorstellbar ist. Im brandenburgischen Altlandsberg gibt es einen indisch-stämmigen Ortsvorsteher, Ravindra Gujjula, zwei Jahre lang saß er im Landtag. Auch in anderen Landesparlamenten gab und gibt es dunkelhäutige Abgeordnete.

"Ich würde einfach gern anfangen und Leistung bringen"

Ehret sagt, ihn beschäftige allerdings viel mehr, wie er für die Jugendlichen in Mauer möglichst schnell und günstig eine Skateranlage bauen könne. Er wolle seiner Heimatgemeinde "etwas zurückgeben für die glückliche Kindheit, die ich dort erleben durfte".

Auf Glück deutete wenig hin, als John ein Baby war, seine leiblichen Eltern gaben ihn ins Heim. Mit fünf Jahren hat ihn das Ehepaar Ehret aus Mauer adoptiert, der Vater war Gemeinderat für die SPD und Vorstand in vielen Vereinen. Schon bald durfte der Sohn bei Festumzügen das Banner tragen. Am Anfang sei dieser John "eine Sensation" gewesen, erinnern sich die Leute, aber dann auch bald ein "Mauermer Bub" unter vielen. Rassismus habe er nie kennengelernt, sagt Ehret, "ich bin da auch nicht dünnhäutig". Mancher Alte, der "Neger" sage, wisse ja nicht mal, dass das ein Schimpfwort sei.

Einen aufwendigen Wahlkampf hat sich Ehret gespart. Er hat darauf gesetzt, dass die Bürger dem Jungen von damals vertrauen - und dem Kriminalkommissar, der schon in Afghanistan Polizisten ausgebildet hat. Auf seiner Webseite hatte er ganz klein links oben den Slogan "Yes we can" platziert, seitdem ist er für viele der "Kraichgau-Obama". Ziemlich unangenehm sei ihm das jetzt, sagt Ehret: "Ich würde einfach gern anfangen und Leistung bringen."

© SZ vom 01.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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