Erste Schätzungen nach Wahlen:Islamistische Parteien vor Triumph in Ägypten

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Die Wahlbeteiligung in Agypten war hoch. Nach den Abstimmungen in rund einem Drittel der Provinzen deutet sich ein Sieg religiöser Kräfte an. Mit einer konkreten Prognose zum Wahlausgang konnte der Vorsitzende der Wahlkommission allerdings nicht aufwarten: Er habe "keine Energie mehr" für die Auswertung der Zwischenergebnisse.

Die Ägypter wollen auf die Zukunft ihres Landes Einfluss nehmen. Das zeigen die neuerlichen Proteste der vergangenen Tage auf dem Tahrir-Platz - und das belegt eine Rekordbeteiligung bei den ersten Wahlen seit dem politischen Umbruch im Frühjahr dieses Jahres: 62 Prozent der Berechtigten hätten ihre Stimme abgegeben, teilte die Wahlkommission mit. Mehr als acht Millionen Ägypter gingen demnach in der ersten Runde der Parlamentswahl an die Urnen.

Entgegen vorheriger Ankündigen gab der Vorsitzende der ägyptischen Wahlkommission, Abdul Moes Ibrahim, die entscheidenden Ergebnisse der ersten Wahldurchgänge am Freitag nicht bekannt. Als Begründung sagte er, er habe "keine Energie mehr" für die Auswertung. (Foto: AFP)

Damit machten deutlich mehr Menschen von ihrem Wahlrecht Gebrauch als bei den umstrittenen Abstimmungen unter dem gestürzten Präsidenten Hosni Mubarak. Der Vorsitzende der Wahlkommission, Abdul Moes Ibrahim, sagte scherzhaft, die Wahlbeteiligung sei die höchste in Ägypten seit der Zeit der Pharaonen.

"Ich habe keine Energie mehr"

Zum Auftakt wurde in den Städten Kairo und Alexandria sowie in sieben Provinzen gewählt. Die Abstimmungen in 18 weiteren Bezirken stehen noch aus. Im Januar soll der mehrstufige Wahlprozess abgeschlossen sein.

Ob es nun der regen Beteiligung geschuldet war oder einer generellen Überforderung mit der Organisation der Abstimmungen - eine erste Wahlprognose gab es am Freitag entgegen vorherigen Ankündigungen nicht. Stattdessen überließ es Ibrahim den Journalisten, die Ergebnisse der ersten Teilrunde der Parlamentswahlen auszuwerten.

"Dieses Dossier ist sehr umfangreich, ich habe keine Energie mehr", sagte er Vorsitzende der Wahlkommission auf einer Pressekonferenz. Ibrahim gab lediglich die Namen der Kandidaten bekannt, die nach Mehrheitswahlrecht in der ersten Runde auf Anhieb gewählt wurden, sowie der Kandidaten, die am kommenden Montag und Dienstag in die Stichwahl müssen. Die Ergebnisse der Parteilisten, über die zwei Drittel der Sitze bestimmt werden, teilte er nicht mit.

Nach der Abstimmung in etwa einem Drittel der Provinzen zeichnet sich ersten Schätzungen zufolge jedoch ein Triumph religiöser Kräfte ab: Demnach erhielten islamistische Parteien etwa 60 Prozent der Stimmen. Die Jugendbewegung, die jüngst wieder die Proteste gegen die Militärregierung mit einer Besetzung des Kairoer Tahrir-Platzes dominierte, spielt kaum eine Rolle.

40 Prozent der Stimmen sollen nach inoffiziellen Angaben allein auf die gemäßigte Muslimbruderschaft und ihre "Partei der Freiheit und Gerechtigkeit" entfallen. Einen Überraschungserfolg konnten Medienberichten zufolge die radikalreligiösen Salafisten verbuchen: Deren Partei al-Nur liegt mit 20 Prozent Zustimmung offenbar noch vor der Ägyptischen Allianz aus linken und liberalen Parteien.

Der Vorsitzende der Partei der Freiheit und Gerechtigkeit, Mohammed Mursi, versuchte in einem Interview, Ängste in Bezug auf einen möglichen Wahlsieg islamistischer Kräfte zu zerstreuen. Gegenüber der Zeitung Gulfnews versicherte er: "Wenn es um politische und soziale Alltagsthemen geht, wird es in Ägypten keine Spaltung zwischen Muslimen und Christen geben." Zugleich kündigte Mursi an, dass das islamische Recht, die "Scharia", die wichtigste Quelle der Gesetzgebung bleiben solle. Die Christen könnten dabei jedoch weiterhin nach ihrem religiösen Kodex leben.

Der Furcht, dass der Tourismus wegen des Siegeszugs der Islamisten leiden könnte, begegnete er mit dem Versprechen: "Wir wollen jährlich 50 Millionen Touristen ins Land bringen." Im Wahlkampf hatten islamistische Parolen gegen Alkohol und Bikinis vor allem in der Tourismusbranche für Unsicherheiten gesorgt. Mursi sagte: "Wer auch immer die Wahlen gewinnt, trägt eine große Verantwortung."

Die traditionsreiche Partei Wafd hat bereits zur voraussichtlichen Wahlschlappe Stellung genommen. Der Vorsitzende der im Jahr 1919 gegründeten Liberalen, Sajjid al-Badawi, räumte in der Zeitung al-Ahram ein, dass die Partei sich zu wenig im Wahlkampf engagiert habe. Auch sei es unter den eigenen Kandidaten zu Konkurrenzkämpfen gekommen.

Unterdessen hat der neu ernannte ägyptische Ministerpräsident Kamal al-Gansuri am Freitag eine neue Übergangsregierung gebildet. Der 78-Jährige hatte vor einer Woche während der neuerlichen gewaltsamen Zusammenstöße in der Hauptstadt die Nachfolge des zurückgetretenen Essam Scharaf übernommen. Zehn der 32 nun ernannten Minister waren bereits Mitglieder des vorherigen Kabinetts.

© sueddeutsche.de/AFP/dpa/dapd/Reuters/jobr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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