Ermordung Robert Kennedys:Schüsse, die bis heute hallen

Vor 40 Jahren wurde Senator Robert Kennedy ermordet. Damit begann eine Ära, die bis heute dauert - und die nun Barack Obama beenden könnte.

Andrian Kreye

Die Ermordung John F. Kennedys war vor knapp 45 Jahren das große Trauma der jüngeren amerikanischen Geschichte. Die Ermordung seines jüngeren Bruders Robert F. "Bobby" Kennedy heute vor vierzig Jahren aber war die historische Zäsur, welche die Zeitläufte noch immer bestimmt. Mit Robert F. Kennedy ging eine Ära zu Ende und eine neue Epoche nahm ihren Anfang, die bis heute andauert und deren Ende nur Barack Obama herbeiführen könnte.

Ermordung Robert Kennedys: Robert Kennedy sinkt nach den Schüssen zu Boden. Er stirbt am folgenden Tag.

Robert Kennedy sinkt nach den Schüssen zu Boden. Er stirbt am folgenden Tag.

(Foto: Foto: AP)

In jener Nacht des 5. Juni 1968 verabschiedete sich der 42 Jahre alte Senator aus dem Staat New York von den Siegesfeiern im Embassy Ballroom des Ambassador Hotels in Los Angeles. Es war eine glamouröse Nacht gewesen. Die Sängerin Rosemary Clooney war gekommen, Sportstars, Kennedys Jugendfreund der Schriftsteller George Plimpton. Kennedy hatte die kalifornische Vorwahlrunde der Demokraten gewonnen und somit erstmals eine realistische Chance, seinem Kontrahenten Hubert Humphrey die Kandidatur zu entreißen.

Weil noch eine Pressekonferenz anstand und es schon spät war, kürzte er den Weg ab und marschierte mit seinem Tross durch die Hotelküche. Als Kennedy im Vorbeigehen dem Küchenjungen Juan Romero die Hände schüttelte, trat plötzlich der 24-jährige palästinensische Einwanderer Sirhan Sirhan hinter einem Tablettwagen hervor und eröffnete mit einem Revolver das Feuer. Acht Schüsse fielen. Senator Kennedy ging zu Boden.

Sein einziger offizieller Beschützer William Barry fing an, auf Sirhan einzuschlagen. Dann drängten Kennedys Freunde und Bekannte Sirhan gegen eine Wärmetheke und entwaffneten ihn. 26 Stunden später erlag Kennedy im Central Receiving Hospital seinen Verletzungen.

Der Fall schien schnell geklärt. Sirhan Sirhan war ein fanatischer Antizionist. Ursprünglich hatte er zu den Millionen der glühenden Verehrer Kennedys gehört. Doch als Kennedy verkündete, er würde Kampfjets an Israel liefern, wandelte sich die Verehrung in Hass. In seinen Notizbüchern fanden sich wirre Traktate, in denen er von einem Attentat auf Kennedy fantasierte. Seine Verteidiger plädierten dann auch auf Unzulänglichkeit. Doch Sirhan bekam die Todesstrafe, die erst später in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt wurde, die er noch heute im kalifornischen Staatsgefängnis von Corcoran verbüßt.

Ein wahrer Amerikaner

Trotz der Verurteilung des Attentäters ranken sich nach wie vor Verschwörungstheorien um die Ermordung von Robert Kennedy. Die CIA soll beteiligt gewesen sein. Nicht acht, sondern 13 Schüsse seien gefallen, Sirhans Revolver habe aber nur acht Kugeln fassen können. Der anti-Castro-Agent der CIA David Morales soll gesagt haben: "Ich war in Dallas dabei, als wir diesen Hurensohn erwischt haben, und ich war in Los Angeles dabei, als wir den kleinen Bastard drankriegten." Bis heute wurde nichts davon bewiesen. Doch hinter jeder Verschwörungstheorie steckt eine tiefere Wahrheit - in diesem Fall die Befürchtung, dunkle Mächte des Staates wollten die Schicksalswahlen von 1968 für das konservative Amerika entscheiden.

Der Ermordung Kennedys folgten in Amerika zunächst fünf Monate Chaos. Das Land war zerrissen zwischen der Aufbruchstimmung einer neuen Generation und der Wucht eines reaktionären Konservatismus, zwischen den Erfolgen der Bürgerrechtsbewegung und dem dumpfen Groll des Bürgertums, zwischen der Gegenkultur der Protestbewegung und den weltpolitischen Folgen des eskalierenden Vietnamkrieges.

Schüsse, die bis heute hallen

Es suchte nach einem Sinnstifter und einer einigenden Identität. Robert Kennedy hätte dieser Sinnstifter sein können. Und der Historiker Arthur Schlesinger beharrte immer darauf, dass er die Nominierung bekommen hätte. Ohne ihn geriet der Parteikongress der Demokraten in Chicago allerdings zum Spektakel. Die Protestbewegung lieferte sich Straßenschlachten mit der Polizei. Die Delegierten verloren sich in einem Nominierungsprozess, der von Unsicherheit und Verwirrung bestimmt war. Am Ende der turbulenten vier Tage im August stellten sie den amtierenden Vizepräsidenten Hubert Humphrey als Kandidaten auf. Zweieinhalb Monate später gewann der Republikaner Richard Nixon die Wahl zum Präsidenten.

Nixons Wahlsieg war eine deutliche Botschaft jener knappen Mehrheit der Wähler, die Nixon als Präsident ein Jahr später als die "Silent Majority" bezeichnete, die schweigende Mehrheit all jener, die nicht für die Bürgerrechte und gegen den Vietnamkrieg auf die Barrikaden gegangen waren. Es war der Triumph eines Bürgertums, das in den folgenden vierzig Jahren eine konservative Revolution unterstützte, welche die amerikanische Gesellschaft mindestens so grundlegend veränderte wie die vorangegangenen viereinhalb Jahrzehnte.

Diese Ära hatte mit Franklin D. Roosevelts "New Deal" begonnen und erlebte in den Bürgerrechtsgesetzen von 1963 sowie Lyndon B. Johnsons Versuch in seiner Idee von der "Great Society" Armut und Diskriminierung ein Ende zu bereiten ihre ersten Höhepunkte. Mit Robert F. Kennedy als Präsidenten hätten diese gesellschaftlichen Entwicklungen nach Meinung vieler Historiker Amerika in eine Gesellschaft verwandelt, die dem europäischen Ideal einer sozialen Marktwirtschaft sehr nahe gekommen wäre. Nicht nur das. Zu Kennedys Programm von ethnischer, sozialer und wirtschaftlicher Gleichberechtigung gehörte auch eine außenpolitische Vision der Entspannung. Immerhin - Robert Kennedy hatte als Justizminister unter seinem Bruder während der Kubakrise miterlebt, wie nah die Welt innerhalb weniger Tage einem Atomkrieg gekommen war.

Konservative Revolution

Doch gerade weil Robert F. Kennedy als Person keineswegs europäisch geprägt war, sondern ein wahrer Amerikaner, hätte er seine hehren Ziele erreichen können. So beschrieb ihn der Journalist James Reston zwei Tage nach dem Attentat in der New York Times: "In so vielen Punkten entsprachen Robert Kennedys Charakterzüge den wichtigsten Charakterzügen des amerikanischen Volkes. Wir sind ein ehrgeiziges, eifriges, streitlustiges, jugendfrisches, unbeständiges, schroffes, moralistisches, Sport-liebendes, unintellektuelles Volk, und er war all das." Das liest sich heute wie eine Beschreibung des derzeitigen Präsidenten George W. Bush.

Was dann mit Richard Nixon begann und was dem amerikanischen 1968 eine so grundsätzlich andere Bedeutung verleiht, als dem europäischen 1968, war eine vollkommen neue Auslegung dieser uramerikanischen Charakterzüge. Mit Nixon begann eine selten konsequente Flugbahn der amerikanischen Geschichte, die von der Schwungkraft der konservativen Ideen beschleunigt wurde.

Selbst die beiden einzigen demokratischen Präsidenten der letzten vierzig Jahre waren da keine wirklichen Ausreißer nach links. Carter war wegen seines unerschütterlichen christlichen Glaubens gewählt worden, und letztlich hat er 1980 mit seiner Carter-Doktrin die Grundlagen für die Nahostpolitik der beiden George Bushs gelegt. Clinton dagegen rückte die Partei der Demokraten so weit nach rechts, dass sie sich kaum noch von der Partei der Republikaner unterschied.

Während sich Europas Linke also in der Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit auf den langen Marsch durch die Institutionen begab, endete einer der großartigsten Versuche der Menschheit, eine ideale Gesellschaft ohne ideologische Zwangsmaßnahmen zu schaffen, in der konservativen Revolution von Nixon, Reagan und den beiden Bushs. Es war George W. Bushs Chefstratege Karl Rove, der die Parallele ganz deutlich zog. Der Siegeszug der Republikaner sollte die Gesellschaft auf Jahrzehnte hinaus so gründlich verändern, wie die Ära Roosevelts und seiner Nachfolger, sagte er.

Viele Vergleiche werden derzeit gezogen. Und doch unterscheidet sich Amerika im Jahr 2008 trotz vieler Parallelen ganz gewaltig von 1968. Sicher, Robert F. Kennedy war und Barack Obama ist Hoffnungsträger einer geteilten Nation.

War 1968 der Beginn des konservativen Rückschlages, so könnte 2008 die Rückwendung zu einem europäisch geprägten Liberalismus sein. Doch Robert F. Kennedy wurde von den Ausläufern einer Aufbruchstimmung getragen, die vom Trauma der Ermordung seines älteren Bruders getrübt wurde. Barack Obama tritt in einem Amerika an, das von Verzweiflung geprägt ist und vom Schock der Anschläge des September 2001. Es sind gegenläufige historische Parallelen. Und darin unterscheiden sich auch die Momente der Hoffnung.

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