Ermittlungen zur Zwickauer Neonazi-Zelle:Mein Fall, meine Spur, mein Personal

Im Ausschuss zur Zwickauer Terrorzelle wird erkennbar, wie die Suche nach den Mördern an Fehlern und Behördenegoismus scheiterte. Eine Spur aus dem Jahr 2006 kam den Mitgliedern des NSU schon sehr nahe. Am Ende aber konzentrierten sich die Ermittler doch auf die üblichen Verdächtigen: Unbekannte aus der organisierten Ausländerkriminalität.

Joachim Käppner und Tanjev Schultz

Mit Glatze und schwerer Uhr ist Udo Haßmann eine filmreife Erscheinung. Die Stuttgarter Fallanalytiker, zu denen er gehört, haben erfolgreich bei der Aufklärung von Serienverbrechen und Sexualmorden geholfen. Auch 2007 gaben sie ihr Bestes. Aber ihr Bestes war nicht gut genug.

Neonazi-Zelle: Verfassungsschutz weist Vorwürfe zurück

In diesem - mittlerweile abgerissenen - Haus in Zwickau hielten sich die Mitglieder der Zwickauer Neonazi-Zelle zeitweise versteckt.

(Foto: dpa)

Kriminalhauptkommissar Haßmann hat das Format, dies vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Nazi-Mordserie unumwunden zuzugeben. Er und seine Kollegen vertraten damals die Hypothese, die Morde an neun Kleingewerbetreibenden mit ausländischen Wurzeln seien das Werk von Kriminellen gewesen, bei denen sich die Opfer verschuldet hätten. Doch es waren die rechten Terroristen vom NSU.

Es ist ein harter Tag für Haßmann, zumal direkt neben ihm der Kollege Alexander Horn aus München sitzt. Horn hatte nur wenige Monate zuvor, im August 2006, ein anderes Szenario entworfen: Der oder die Täter seien von Hass auf Türken und Zerstörungstrieb geleitet; er hätte ein Psychopath sein können oder ein Einzelgänger mit rechtsradikalem Hintergrund. Damit kam Horn dem Nazi-Trio schon recht nahe. Aber wenige glaubten ihm.

Die Profiler aus anderen Ländern, Kripochefs, das Bundeskriminalamt (BKA) - sehr viele äußerten massive Kritik, und schnell setzten die Widersacher Haßmanns Gegenanalyse durch, die wieder die üblichen Verdächtigen in den Fokus rückte: Unbekannte aus der organisierten Ausländerkriminalität.

Es ist, wie die Abgeordneten immer wieder einschränkend sagen, natürlich leicht, im Nachhinein zu urteilen. Andererseits ist mit dem Horn-Gutachten der Punkt nur zu offensichtlich erkennbar, an dem die Ermittlungen am Scheideweg standen. Doch während auf der einen Seite sogar eine Döner-Bude von der Polizei betrieben wurde, um Erkenntnisse im "türkischen Milieu" zu gewinnen, recherchierten die Ermittler nur teilweise und örtlich begrenzt in der Neonazi-Szene.

"Schieflage beim Verfolgen der Spuren"

Hier scheinen vor allem die diversen Verfassungsschutzämter keine große Hilfe gewesen zu sein. "Es gab eine Schieflage, ein Ungleichgewicht beim Verfolgen der Spuren", sagt Eva Högl, die Sprecherin der SPD im Ausschuss.

Dabei hatten Horns Fallanalytiker mit ihrem Gutachten im August 2006 eine gute Grundlage gelegt. Zuvor waren in Dortmund und Kassel die Morde acht und neun begangen worden. Münchens Chefprofiler, der zuvor ebenfalls an einen kriminellen Hintergrund geglaubt hatte, zweifelte nun daran, dass sich die neun Fälle mit diesem Ansatz noch sinnvoll verbinden ließen. In Horns Analyse heißt es, im Fall eines politischen Hintergrunds werde eine Nähe "zur rechten Szene als wahrscheinlich angesehen". Es sei denkbar, dass der Täter - oder zwei von ihnen - die Aktionen dieser Szene "als zu schwach empfinden" könnten; dass es ein "großes Maß an emotionaler Kälte und Narzissmus" gebe.

Heute weiß man, dass diese Annahmen nicht ganz, aber doch in großen Teilen ins Schwarze trafen und Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt vom NSU recht gut beschrieben. Die in Zwickau versteckten Terroristen hatten aber - nach derzeitigem Wissen - keinen, von Horn im weitesten Sinne definierten "Ankerpunkt" im Großraum Nürnberg. Dort ließ Soko-Leiter Wolfgang Geier, einer der wenigen Anhänger der Hornschen Analyse, nach möglichen rechtsradikalen Tätern suchen.

Hin und Her beim BKA

Von dem in Sachsen abgetauchten Nazi-Trio aus Thüringen hatte man bei der Soko in Nürnberg nichts gehört. Bei ihr liefen die Ermittlungen zusammen, denn fünf der Toten stammten aus Bayern. Der Informationsfluss zwischen den Behörden war zäh. Außer in Nürnberg gab es Teams an den anderen Tatorten außerhalb Bayerns und beim BKA. Dazu kamen Kontakte zum Verfassungsschutz, die sich zumindest in Bayern sehr mühsam gestalteten. Der CDU-Abgeordnete Clemens Binninger spricht von einem "Zuständigkeitstheater", bei dem jede Behörde erst mal an sich selbst gedacht habe, nach dem Motto: "Mein Fall, meine Spur, mein Personal."

Nach dem neunten Mord versuchte das BKA, die Ermittlungen ganz an sich zu ziehen. Christian Hoppe, als Referatsleiter beim BKA zuständig, hielt eine Zentralisierung für geboten. Sein Vorstoß scheiterte am Widerstand auf höchster politischer Ebene: In einem Aktenvermerk vom 24. April 2006 wurde ein drei Tage zuvor geführtes Telefonat mit einem Beamten des bayerischen Innenministeriums festgehalten. Demnach war "das Thema" bereits mit Günther Beckstein (CSU) erörtert worden, dem damaligen bayerischen Innenminister. Eine Übernahme durch das BKA würde man eher als "Kriegserklärung" verstehen, heißt es. Und: Das Gespräch sei "eher unfreundlich verlaufen".

Schäuble soll vor Beckstein "eingeknickt" sein

Beckstein soll Ende Mai im Ausschuss befragt werden. Eine Plauderstunde wird das nicht werden. Die Opposition nutzte den fehlgeschlagenen BKA-Vorstoß auch für eine Attacke auf Wolfgang Schäuble (CDU), der zur fraglichen Zeit Bundesinnenminister war. Beim BKA hatte man 2006 gehofft, Schäuble könnte sich für das Amt stark machen. Dieser sei jedoch, so die SPD, vor Beckstein "eingeknickt", obwohl es Schäuble nach dem BKA-Gesetz möglich gewesen wäre, zentrale Ermittlungen anzuordnen. Die Abgeordnete Högl spricht von einem "schweren Fehler" Schäubles.

Die Union hebt dagegen hervor, dass das BKA 2004 eine Übernahme der Fälle noch abgelehnt hatte - und im Jahr 2007 plötzlich wieder vehement dagegen war, nachdem es erst wenige Monate zuvor ausdrücklich dafür war. Und nicht nur dieses Hin und Her beim BKA, dieser "Elite-Behörde", die von Polizisten anderer Dienststellen oft mit einer Mischung aus Neid, Missgunst und Ehrfurcht betrachtet wird, veranlasst die Abgeordneten zu kritischen Nachfragen.

Clemens Binninger hält BKA-Mann Hoppe vor, die Ermittlungen zur Ceska 83 - der Tatwaffe - seien nicht schnell und hartnäckig genug gewesen. Im komplizierten Geflecht von Zuständigkeiten sollte sich das BKA um die Waffenspur kümmern.

Überdies: Die Übernahme durch das BKA, räumte sogar Hoppe ein, wäre "keine Garantie" für eine schnelle Aufklärung der Mordserie gewesen. Hoppe selbst war ein Anhänger der Theorie von einer kriminellen Bande. Die Idee, es könnte sich um einzelne Täter mit rechtsradikaler Gesinnung handeln, hielt er für weniger wahrscheinlich. So spricht vieles dafür, dass auch das BKA, wenn es bei den Ermittlungen mehr Macht bekommen hätte, diese nicht richtig eingesetzt hätte.

Als sich im November 2011 Mundlos und Böhnhardt erschießen und die Wahrheit endlich ans Licht kommt, sei er "schockiert" gewesen, sagt Hoppe. Er ist der bisher einzige Zeuge, der halbwegs persönliche Worte zum kollektiven Versagen findet: Er sei enttäuscht, sagt er, dass es ihnen nicht gelungen sei, die Täter zu fassen. "Ich bedauere das."

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