Tod von Benno Ohnesorg:Kurras - Das neue Bild vom eiskalten Killer

Tod von Benno Ohnesorg: Studenten demonstrieren am 5. Juni 1967 in München wegen der Erschießung von Benno Ohnesorg.

Studenten demonstrieren am 5. Juni 1967 in München wegen der Erschießung von Benno Ohnesorg.

(Foto: AP)

War es ein gezielter Mordanschlag? Steuerte die Stasi den Todesschützen? Die Bundesanwaltschaft ermittelt im Fall des Polizisten Karl-Heinz Kurras, der 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschoss.

Hans Leyendecker

Vor ein paar Monaten vernahm der Karlsruher Bundesanwalt Wolfgang Siegmund den ehemaligen Polizisten und früheren Stasi-Spitzel Karl-Heinz Kurras, der sich in die deutsche Geschichte geballert hat, als er am 2. Juni 1967 in Berlin den Studenten Benno Ohnesorg erschoss. Der Strafverfolger wollte erfahren, wer und wann einst wo Kurras für die Stasi angeworben hat. 1955 sei das gewesen, in Ost-Berlin, erklärte Kurras. Wo genau? In einer KW, also einer Konspirativen Wohnung.

Wer dabei gewesen sei, hakte der Bundesanwalt nach. Markus Wolf, Chef des Auslandsnachrichtendienstes der DDR, und Herbert Wehner seien bei der Anwerbung dabei gewesen, erklärte Kurras.

Der 57 Jahre alte Strafverfolger muss leicht irritiert dreingeschaut haben. Hatte er etwas falsch verstanden - Herbert Wehner? Ja, der sei dabei gewesen, sagte Kurras. Ganz sicher.

Ist der 83-jährige frühere Stasi-Spitzel leicht dement, foppt er die Ermittler oder spielt er den Deppen, um nicht noch auf der Zielgeraden des Lebens von der Bahn zu fliegen und vor einer Großen Strafkammer oder einem Staatsschutzsenat angeklagt zu werden? Seit knapp zwei Jahren prüft die Bundesanwaltschaft, ob Kurras noch bis kurz vor dem Fall der Mauer Staatsgeheimnisse aus der Bundesrepublik an die DDR verraten hat.

Gleichzeitig geht sie auch der Frage nach, ob der Tod des Benno Ohnesorg ein Mord war und ob der Schütze Kurras damals nachrichtendienstlich gesteuert wurde. Parallel dazu geht die Berliner Generalstaatsanwaltschaft dem Mordverdacht nach. Ob das alles letztlich zu einer wuchtigen Anklage führen wird oder ob die Aktendeckel geschlossen werden und Kurras ohne Prozess davonkommen wird, ist derzeit noch Spekulation.

Vieles war anders als verkündet

Fest steht jetzt schon: Vieles war anders, als es früher mal amtlich oder von Amts wegen verkündet worden ist. Bild am Sonntag verwies jetzt auf einen vertraulichen Bericht der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom 18. Juli 2011. Angeblich zeichneten die Strafverfolger in diesem Bericht von Kurras "das Bild eines eiskalten Killers", der "offenbar gezielt auf Ohnesorg geschossen" habe. Aus den neuen Akten und neuen Zeugenaussagen ergebe sich das Bild eines Mannes, der seine Ziele brutal und ohne Mitleid durchsetze.

Dieses Bild würde dem alten Bild widersprechen, das einst seine vielen Verteidiger von ihm und der Welt hatten. Es war ein Bild aus dem Kalten Krieg. Damals stand der Berliner Polizeichef dem Beamten Kurras bei, und die Kollegen von der Polizeigewerkschaft sammelten 60.000 Mark für seine Verteidigung. Wäre damals bekannt gewesen, dass Kurras ein Stasi-Mann und Kommunist war, wäre manches sicherlich anders gelaufen.

Etwas Düsteres, Geheimnisvolles umgab von Anfang an den Fall des schießwütigen Polizisten. Es passierten in seinem Fall Dinge in Serie, die sonst eigentlich nie passieren.

Auch Horst Mahler war IM

Am Tatort, Krumme Straße, Berlin-Charlottenburg, wo er Ohnesorg erschossen hatte, gab es keine ordentliche Spurensicherung. Beweismittel verschwanden, das Pistolenmagazin des Schützen wurde sofort ausgetauscht. Zweimal stand der Schütze vor Gericht. Nicht wegen Mordes, nicht wegen Totschlags, sondern wegen fahrlässiger Tötung. Zweimal wurde er freigesprochen. Wichtige Indizien blieben unbeachtet. Zeugen wurden nicht befragt, Beweismittel nicht zugelassen oder sie verschwanden.

Man muss schon fragen, ob das Verschwinden der Beweismittel und die merkwürdigen Zeugenaussagen anderer Polizisten alles Zufälle waren", sagte Otto Schily, der einst im Kurras-Prozess Ohnesorgs Vater als Nebenkläger vertrat. Das Mandat hatte ihm damals der heutige Rechtsextremist Horst Mahler vermittelt.

Im Zuge der neuen Ermittlungen stellte sich heraus, dass Mahler ebenso wie Kurras Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi war. Drei Jahre nur, aber immerhin. Andererseits: Was war Mahler in seinem Leben nicht? Er war SPD-Mitglied, DDR-Sympathisant, erst RAF-Mitglied, dann RAF-Renegat, Maoist, Liberaler, Deutschnationaler, und derzeit sitzt er in München wegen Volksverhetzung ein.

Er ging Zickzack wie der Polizist Kurras, der früher immer den Anti-Kommunisten gemimt hatte. Die Strafverfolger haben jetzt Zeugen vernommen, die Kurras belasten.

Eine aus der früheren Tschechoslowakei stammende Hauswartsfrau sagte aus, Kurras habe ihr mal die Situation beschrieben, in der er Ohnesorg erschossen hatte: Er habe seine Waffe gezogen und auf dessen Hinterkopf gezielt und abgedrückt. Alte TV-Aufnahmen, die neu analysiert wurden, zeigen eine männliche Person, die sich unbedrängt mit einer Waffe in der Hand Ohnesorg nähert. Kurras' Behauptung, er habe in Notwehr geschossen, gilt als widerlegt.

Im Berliner Landesarchiv entdeckten die Ermittler Aussagen von Zeugen, die einst Kurras belastet hatten, aber in beiden Prozessen spielten ihre Aussagen keine Rolle.

Warum verschwand die Akte?

Trotz neuer Indizien und neuer Ermittlungen ist es ungewiss, ob dem Todesschützen wirklich noch einmal der Prozess gemacht wird. Ob er verhandlungsfähig wäre, stünde dahin. Wichtiger noch: Die alten Verfahren gegen ihn waren damals rechtskräftig abgeschlossen worden. Der sogenannte Strafklageverbrauch schützt ihn weitgehend in der alten Sache. Dass die Stasi ihm einen Mordauftrag erteilt haben könnte, ist nach Aktenlage auszuschließen.

Etwas anders verhält es sich mit dem Vorwurf des Landesverrats. Zwar wurde der Agent Stasi-intern abgeschaltet, aber im Jahr 1987 legte das Ministerium für Staatssicherheit dann eine neue Akte für Kurras mit dem Titel "Vorstoß" an. Generalleutnant Gerhard Neiber, der Stellvertreter Erich Mielkes war, hatte "aus operativen Gründen/Interesse" einen "Sicherungsvorgang angeordnet", den er dann im Februar 1989 dem früheren Führungsoffizier von Kurras übergab.

Die Akte wurde im November 1989 mit dem Vermerk "Wegfall der operativen Gründe" vernichtet. Die operativen Gründe sind nicht klar. Neiber starb 2008. Hat Kurras noch so spät Geheimnisse verraten, oder war es der Stasi peinlich, den Verräter Kurras eingesetzt zu haben?

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: