Ermittlungen in Belgien:Terrorzelle plante Mordanschläge auf Polizisten

  • Bei einer Anti-Terror-Aktion im ostbelgischen Verviers hat es am Donnerstagabend zwei Tote gegeben. Eine Person wurde schwer verletzt.
  • Die Staatsanwaltschaft berichtet von insgesamt 13 Festnahmen, gegen fünf Personen sind bereits Ermittlungen eingeleitet worden.
  • In Verviers seien mehrere Sturmgewehre, Sprengstoff sowie Bargeld und Polizeiuniformen gefunden worden.
  • Demnach planten die mutmaßlichen Dschihadisten Mordanschläge auf belgische Polizisten.
  • Jüdische Schulen bleiben am Tag nach dem Einsatz Medienberichten zufolge aus Sicherheitsgründen geschlossen.

Sprengstoff, Kalaschnikows und Bargeld

Die belgischen Behörden haben nach dem landesweiten Anti-Terror-Einsatz über den aktuellen Stand informiert. Demnach wurden am Donnerstag bei zwölf Durchsuchungen insgesamt 13 Personen festgenommen, einigen von ihnen sind demnach Syrien-Heimkehrer. Ob die Polizei noch nach Flüchtigen fahnde, wollten die Ermittler nicht bekanntgeben. Einen Tag nach dem Einsatz sind Ermittlungen gegen fünf Verdächtige eingeleitet worden. Ihnen werde "Beteiligung an Aktionen einer Terrorgruppe" vorgeworfen, sagte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft. Drei der Verdächtigen wurden in Untersuchungshaft gesteckt, zwei weitere wurden unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt.

In Verviers, wo die Polizei gestern zwei Verdächtige getötet hatte, fanden die Ermittler vier Sturmgewehre vom Typ Kalaschnikow, weitere Handfeuerwaffen, Sprengstoff und Zünder, Handys, Funkgeräte, gefälschte Dokumente sowie Bargeld und Polizeiuniformen. Zwei weitere Personen wurden zudem in Frankreich festgenommen. Sie wollten nach Italien flüchten. "Sie wollten die Grenze genau in dem Moment überqueren, in dem die Grenzbeamten den Steckbrief aus Belgien erhielten", hieß es aus französischen Polizeikreisen. Da es sich um belgische Staatsbürger handele, werde ihre Auslieferung beantragt.

Die Ermittler wiederholten ihre Einschätzung, wonach die Verdächtigen kurz davor waren, einen Terroranschlag zu verüben. Es habe sich um Tage oder aber auch um Stunden handeln können, hieß es. Die Verdächtigen planten, "Polizisten im öffentlichen Raum und in Polizeirevieren zu töten", sagte Eric Van Der Sypt, Sprecher der Staatsanwaltschaft in Brüssel. Der Einsatz der belgischen Spezialkräfte habe darauf abgezielt, die Terrorzelle samt ihres logistischen Netzwerks zu zerstören. Der in Verviers festgenommene, mutmaßliche Dschihadist werde weiter verhört, hieß es.

Derzeit haben die Ermittler weiterhin keinen Hinweis auf eine Verbindung zu den Pariser Anschlägen. Es sei auch noch vollkommen unklar, ob die Verdächtigen in Kontakt zu den Terrororganisationen "Islamischer Staat" oder Al-Qaida gestanden hätten. Auch über eine Verbindung zur radikalislamischen Gruppe "Sharia4Belgium" sei nichts bekannt. Die Staatsanwaltschaft zeigte sich zufrieden mit dem Polizeieinsatz. "Es war ein Schlag gegen den Terrorismus", sagte Sprecher Van Der Sypt.

Verdächtige schossen auf Polizei

Den Behörden zufolge eröffneten die Verdächtigen in Verviers bei dem Polizeieinsatz das Feuer auf die Spezialkräfte und schossen mehrere Minuten. Daraufhin wurden sie von den Polizisten "unschädlich" gemacht. Die Beamten hätten versucht, in eine Wohnung über einer Bäckerei im Zentrum der Stadt einzudringen, als sie beschossen worden seien.

Verviers hat etwa 50 000 Einwohner und liegt ungefähr 30 Kilometer von Aachen entfernt. Der Einsatz habe um 17:45 Uhr begonnen, meldete der TV-Sender RTBF.

Hier zwei Twitter-Fotos, die den Einsatzort der Anti-Terror-Aktion zeigen sollen.

Politische Führung kommt zu Krisensitzung zusammen

Nach dem Anti-Terror-Einsatz der belgischen Polizei will die Regierung nun über schärfere Sicherheitsmaßnahmen beraten. Bei der Kabinettssitzung ging es um die Frage, wie Terroranschläge verhindert werden könnten, meldete der belgische Sender RTBF. Angedacht seien der Einsatz des Militärs zur Überwachung von Einrichtungen, eine Ausweitung von Telefon-Abhöraktionen sowie Maßnahmen zum Schutz gegen rückkehrende Dschihad-Kämpfer aus Syrien oder dem Irak.

Terroralarm wird angehoben

Der Terroralarm wurde auf die dritte von vier Stufen angehoben. Es handelt sich dabei um den zweithöchsten Rang. Auch die EU-Kommission verschärfte ihre Sicherheitsmaßnahmen. Vor den Gebäuden der Behörde wurden mehr Sicherheitskräfte eingesetzt.

Verantwortliche der jüdischen Gemeinde entschieden sich deshalb einem Medienbericht zufolge dazu, dass am Freitag jüdische Schulen in Antwerpen und Brüssel geschlossen bleiben sollen. Wie auf der Internetseite der Zeitung Joods Actueel zu lesen war, waren die Vertreter zuvor informiert worden, dass die Einrichtungen zu potenziellen Anschlagszielen gehörten.

Auch eine jüdische Schule in Amsterdam öffnete ihre Pforten am Freitag vorsichtshalber nicht. Es gebe aber keine konkrete Bedrohung, schrieb der Vorstand der Schule den Eltern und Lehrern in einer Mail. "Im Zusammenhang mit der Anti-Terror-Aktion in Belgien und nach weiteren Informationen aus Belgien hat der Vorstand entschieden, dass unsere Schule heute aus Sicherheitsgründen geschlossen ist." Die jüdische-orthodoxe Schule Cheider wird von etwa 200 Schülern aus den ganzen Niederlanden besucht. Sie wurde nach Angaben von Lehrern in den vergangenen Jahren noch nie aus Sicherheitsgründen geschlossen.

Eindrücke vom Einsatzort

SZ-Reporter Jannis Brühl war gestern Abend vor Ort und berichtete: "Nach der weiträumigen Sperrung am Abend ist in der Nacht nur noch die Rue de la Colline, in der das betroffene Haus liegt, durch Mannschaftswagen der Polizei abgeriegelt. Polizisten mit Sturmmasken und Maschinenpistolen sichern die Straße, auch viele andere Ermittler sind vermummt. Andere tragen weiße Schutzanzüge und schleppen Kisten mit Beweismaterial aus dem Haus, in dem die Schießerei stattfand.

Mourad Touati steht mit seiner Handykamera an der abgesperrten Straße. Er wohnt um die Ecke, seine Freunde hätten ihn gerufen und ihm erzählt, dass das Feuergefecht zwei bis drei Minuten gedauert hätte. 'Wir sind schockiert. Wir wussten nicht, dass in dem Haus Leute leben, die aus Syrien zurückgekommen sind', sagt der 28-Jährige. In der Stadt gibt es eine der größten Moscheen Walloniens, des französischsprachigen Teils von Belgien. Touati erzählt, dass es eine kleine radikale Szene unter den örtlichen Muslimen gebe. 'Aber die gehen nicht in die Moschee. Die hängen mit Leuten rum, die genau so denken wie sie.'"

Augenzeugen berichten von "Explosionen"

In sozialen Medien berichteten Augenzeugen von vermummten Polizeikräften, "Explosionen" und Schüssen. Die Terrorverdächtigen hätten Sturmgewehre vom Typ Kalaschnikow gehabt, berichtet die Online-Ausgabe der belgischen Zeitung De Standaard.

Nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters haben die belgischen Behörden auch einen Mann festgenommen, der unter Verdacht steht, Waffen an Amedy Coulibaly geliefert zu haben. Coulibaly hatte in der vergangenen Woche in einem jüdischen Supermarkt in Paris vier Menschen erschossen.

Dutzende Razzien durchgeführt

Dem belgischen Nachrichtenportal De Morgen zufolge gab es Polizeieinsätze im Zentrum von Brüssel, Schaarbeek, Anderlecht und in der Region Vlaams-Brabant. In der Gemeinde Molenbeek-Saint-Jean (Region Brüssel-Hauptstadt) soll laut der Zeitung 7sur7 in der Metro ein Mann festgenommen worden sein, der eine Waffe trug und "Allahu Akbar" rief. Ingesamt seien laut Staatsanwaltschaft am Donnerstag ein Dutzend Razzien durchgeführt worden. Weitere Einsätze seien geplant.

Belgien und der Islamismus

Die belgischen Behörden warnen seit langem vor islamistischer Gewalt im eigenen Land.

Im Land gab es in den vergangenen Wochen eine signifikante Zunahme von Aktivitäten radikaler Islamisten. Aus keinem EU-Land sind, hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung, so viele Kämpfer in den syrischen Bürgerkrieg gezogen wie aus Belgien. Das berichtete das britische Magazin The Economist im vergangenen Jahr. Nach einer aktuellen Auflistung des Thinktanks "Brookings" reisten bislang bis zu 650 Kämpfer aus Belgien in das Konfliktland.

Nach Angaben der belgischen Behörden sind rund 100 islamistische Kämpfer aus Syrien zurückgekehrt, wo die radikalislamische Miliz Islamischer Staat aktiv ist. In Antwerpen stehen derzeit 46 Personen vor Gericht, die junge Männer für den Kampf von Islamisten im syrischen Bürgerkrieg angeworben haben sollen oder selbst dorthin reisen wollten.

Erst am 24. Mai 2014 hatte der Islamist Mehdi Nemmouche bei einem Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel vier Menschen erschossen. Der Täter ist Franzose. Er wurde später im südfranzösischen Marseille verhaftet und nach Belgien ausgeliefert. Nemmouche soll über ein Jahr lang an der Seite von syrischen Dschihadisten gekämpft haben.

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