Ermittlungen gegen Wulff:Mutlos gegen den Prominentenmalus

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Kann man von Wulff verlangen, dass er eine Anklage riskiert und auf die Nichteröffnung des Verfahrens oder auf einen späteren Freispruch setzt? (Foto: AFP)

Ob 400 Euro oder drei Millionen: Es war richtig, das Verfahren gegen Wulff einzuleiten, weil niemand gleicher als gleich sein darf. Doch dann ging es um Bestechlichkeit. Fast gleichzeitig wurde Wulff angeboten, das Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage einzustellen. Soll hier jemand mürbe gemacht werden?

Ein Kommentar von Hans Leyendecker

Auch die Juristerei hat ihre Epochen. Es gab eine Zeit, als Staatsanwälte Verfahren gegen Politiker und Wirtschaftsgrößen nur mit sehr spitzen Fingern anfassten. Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen, das war oft eine korrekte Zustandsbeschreibung. Die Zustände haben sich geändert, glücklicherweise. Mancherorts gilt heute sogar eher ein Prominentenmalus. Es gibt Staatsanwaltschaften, die sich in ihrer Lust am stürmischen Angriff auf die Großen übernehmen. Sie gebärden sich wie die letzte Bastion vor dem Weltuntergang.

Im Verfahren der Staatsanwaltschaft Hannover gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff ist die Abschlussverfügung noch nicht geschrieben, aber es muss befürchtet werden, dass der Fall am Ende zum Fall einer Strafverfolgungsbehörde wird, die sich anständig verheddert hat und den Ausweg nicht finden mag.

Richtig war es, das Verfahren gegen Wulff einzuleiten, weil es einen Anfangsverdacht gegen das ehemalige Staatsoberhaupt gab und weil keiner gleicher als gleich sein darf. Es ging dabei von Anfang an um wenig Geld. Die Ermittler haben, wie es scheint, aus einer Art innerer Verdachtsüberzeugung mit viel Eifer das Große im Kleinen gesucht. Ob sich jemand für 3000 Euro oder für drei Millionen Euro bestechen lässt, macht erst mal keinen Unterschied. Im Laufe des Verfahrens sind die Strafverfolger allerdings vom Kleinen ins Kleinste geraten. Sie meinen, jetzt tatsächlich belegen zu können, dass Wulff mit 400 Euro bestochen wurde. Geht es noch kleinlicher und kleinkarierter?

Gleichzeitiges Hochjazzen und Herunterfahren

Das Vorgehen der Ermittler löst Unbehagen aus. Als die Vorwürfe materiell vollends zur Petitesse gerieten, werteten die Strafverfolger den Strafvorwurf plötzlich auf. Aus der vermuteten Vorteilsannahme wurde die vermutete Bestechlichkeit. Als die Öffentlichkeit davon erfahren hatte, teilte die Staatsanwaltschaft dem ahnungslosen Beschuldigten mit, sie habe neuerdings zwar die Bestechlichkeit im Blick, sei aber jetzt möglicherweise bereit, das Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage einzustellen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Staatsanwaltschaften am Ende eines langen Verfahrens den Vorwurf neu justieren. Aber dieses fast gleichzeitige Hochjazzen und Herunterfahren muss, nach allen vorangegangenen Indiskretionen, für den Betroffenen eine Qual sein. Soll hier jemand mürbe gemacht werden?

Christian Wulff hat in den vergangenen Monaten das Amt verloren, seine Ehre und die Familie wohl auch - hat er noch Kraft für weitere Kämpfe? Eigentlich müsste er diese Art der Einstellung des Verfahrens ablehnen. Aber kann man von Wulff verlangen, dass er eine Anklage riskiert und auf die Nichteröffnung des Verfahrens oder auf einen späteren Freispruch setzt?

Die Staatsanwaltschaft wiederum könnte ein Zeichen setzen. Sie könnte - auch mit Blick auf die Vorverurteilung Wulffs in vielen Medien - das Verfahren ohne Auflage einstellen. Dazu aber bräuchte es Mut. Mehr Mut, als es die Eröffnung dieses Verfahrens erfordert hat.

© SZ vom 18.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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