Ermittlungen gegen Netzpolitik.org:Martialisches, äffisches Machtgehabe

Generalbundesanwalt Harald Range

Zittrige Finger hat Generalbundesanwalt Range, wenn er die Buchstaben NSA liest. Jetzt hat er zugegriffen.

(Foto: dpa)

Mit den Ermittlungen gegen Netzpolitik.org hilft Generalbundesanwalt Range den Sicherheitsbehörden, von ihren Unzulänglichkeiten abzulenken.

Kommentar von Heribert Prantl

Das Versagen des Verfassungsschutzes in der NSA-Affäre ist kein Geheimnis: Die Behörde namens Verfassungsschutz war und ist nicht in der Lage, deutsche Bürger und deutsche Politiker vor den Angriffen der US-Geheimdienste zu schützen. Auch das Versagen der Bundesanwaltschaft ist kein Geheimnis: Diese Bundesanwaltschaft war und ist nicht in der Lage, gegen die NSA-Spione zu ermitteln. Aber nun soll offenbar diese Schwäche amtlich geschützt, dieses Versagen zum Staatsgeheimnis erklärt werden: Wer darüber berichtet, wer Dokumente veröffentlicht, also zur Aufklärung beiträgt, der soll wegen "Landesverrats" bestraft werden.

Die Bundesanwaltschaft hat gegen zwei Journalisten des auf Geheimdienstbeobachtung spezialisierten Blogs Netzpolitik.org ein Verfahren wegen Landesverrats eingeleitet. Das ist ein unendlich peinlicher Missbrauch von Strafrecht. Der Chef des Verfassungsschutzes hat, genervt davon, dass die Dokumentation des Versagens seiner Behörde öffentlich wird, Strafanzeige wegen dieser Veröffentlichungen erstattet; und der Generalbundesanwalt, dem ansonsten die Hände zittern, wenn er die Buchstaben NSA liest, hat zugegriffen.

Range muss das Verfahren einstellen

Die Sicherheitsbehörden trommeln jetzt auf leeren Fässern; sie wollen von ihren Unzulänglichkeiten ablenken und Veröffentlichungen verhindern. Das hat mit rechtsstaatlichem Strafrecht nichts zu tun. Das ist martialisches, äffisches Machtgehabe. Die Sache wird nicht besser, wenn der Generalbundesanwalt nun mit den Ermittlungen "innehält", wenn er also erklärt, vorläufig keine Durchsuchungen und Verhaftungen vorzunehmen. Das ist Augenwischerei. Er muss nicht innehalten, sondern das Verfahren einstellen.

"Wer ein Staatsgeheimnis öffentlich bekannt macht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft." So steht es in Paragraf 94 Strafgesetzbuch. Es handelt sich um eine Hammer-Vorschrift: "In besonders schweren Fällen ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe."

Es braucht einen Aufstand

Wenn ein solches Verfahren eröffnet wird, kann man schon erschrecken - auch wenn die Ermittlungen gegen die beiden Journalisten weder Hand noch Fuß haben. Warum das so ist, ergibt sich schon aus dem Studium des Gesetzes: Es wurden ja die Papiere nicht veröffentlicht, um der Bundesrepublik zu schaden, sondern um die Diskussion über Fehler und Versäumnisse zu ermöglichen. Und der Nachteil für Deutschland wird durch die Behörden herbeigeführt, die gegen NSA-Spionage nichts unternehmen. Es ist dies verräterische Untätigkeit.

"Soweit die Öffentlichkeit das Recht hat, informiert zu werden, kommt ein Staatsgeheimnis nicht in Betracht": Diesen Satz hat der Basler Strafrechtsprofessor Georg Stratenwerth 1965 in seinem Gutachten für die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler geschrieben, im Gefolge der Spiegel -Affäre. Sein Buch heißt "Publizistischer Landesverrat". Das war der Vorwurf, der damals dem Spiegel von den Behörden gemacht wurde. Man hatte geglaubt, so eine Attacke sei seitdem nicht mehr möglich; man hat sich getäuscht. Es braucht wieder einen Aufstand gegen die Missachtung der Pressefreiheit.

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