Ermächtigungsgesetz 1933:Als Hitlers Diktatur ihren Freibrief bekam

Hitler bei der Reichstagssitzung 17. Mai 1933

Adolf Hitler mit seiner Regierungsmannschaft nach seiner Rede im Reichstag am 17. Mai 1933. Wenige Wochen zuvor hatte sich das Parlament selbst entmachtet - Konservative und Liberale verhalfen so dem NS-Regime zur rechtlichen Implementierung der Diktatur.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

1933 entmachtet sich der Reichstag mit dem Ermächtigungsgesetz selbst - nur die SPD leistet Widerstand. Blick zurück auf einen historischen Tag.

Um 19.52 Uhr ist die Demokratie endgültig tot. "Es haben gestimmt mit Nein 94 Abgeordnete, mit Ja 441 Abgeordnete", ruft Reichstagspräsident Hermann Göring in den Saal der Krolloper in Berlin. "Somit ist das Ermächtigungsgesetz mit der verfassungsmäßigen Mehrheit von 441 Stimmen angenommen." Stürmischen Beifall und Heil-Rufe bei den Nationalsozialisten vermerkt das Sitzungsprotokoll an dieser Stelle. Beim nochmaligen Zählen sind es am Ende sogar 444 Ja-Stimmen, die am 23. März 1933 den Weg in die Diktatur freimachen.

Kurz zuvor an selben Tag: Die Stimmung ist aufgeheizt. SA-Leute machen sich auf den Weg in die Krolloper, die nach dem Brand des Reichstags als Ausweichquartier für die Parlamentarier dient. Für die SPD-Abgeordneten wird der Gang zum Spießrutenlauf. Der spätere Vorsitzende Kurt Schumacher überzeugt die Fraktion, der Sitzung nicht aus Angst vor Repressalien fernzubleiben. Sie will geschlossen mit Nein stimmen.

Der bis heute ungeklärte Reichstagsbrand spielt der NSDAP in die Hände: Sie beschwört das kommunistische Gefahr für das Vaterland. Das zu behandelnde "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" umfasst nur fünf Punkte. Unter Punkt eins heißt es lapidar: "Reichsgesetze können außer in dem in der Reichsverfassung vorgesehenen Verfahren auch durch die Reichsregierung beschlossen werden". Es ist der Freifahrtschein für Adolf Hitler. Zunächst wird es bis 1937 befristet. Dann, als längst nur noch Nazis im Parlament sitzen, wird das Gesetz 1937, 1939 und 1943 noch einmal verlängert - den Schein des Rechtmäßigen will die Tyrannei wahren.

Zwar waren die Nazis bei den letzten halbwegs noch freien Reichstagswahlen vom 5. März 1933 mit knapp 44 Prozent stärkste Kraft geworden, aber für die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit waren sie auf Stimmen des konservativen Lagers angewiesen. Die 81 KPD-Parlamentarier, die schon verhaftet oder auf der Flucht waren, wurden gar nicht mehr im Parlament zugelassen.

Am 21. März hatte Hitler mit Pomp den Schulterschluss mit den alten preussischen Eliten zelebiert. Beim "Tag von Potsdam" reichte ihm der greise kaiserliche Feldmarschall und Reichspräsident Paul von Hindenburg die Hand - ein Propagandaerfolg für den neuen Machthaber.

Der 23. März 1933 wird für das bürgerliche Lager zur Kapitulation vor Adolf Hitler: Weil die katholische Zentrumspartei und die bayerische Volkspartei (beide zum Teil Vorläufer von CDU/CSU) und die deutsche Staatspartei zustimmen, schafft die NSDAP die Mehrheit. Auch der spätere Bundespräsident und FDP-Politiker Theodor Heuss willigt in die Entmachtung des Parlaments ein und stimmt mit Ja. "Für die Zustimmung der katholischen Zentrumspartei gab die mit Resignation vermischte Hoffnung den Ausschlag, auf diese Weise Hitler von einer völligen Willkürherrschaft abhalten und (...) gewisse Einflussmöglichkeiten wahren zu können", bilanziert der Historiker Albrecht Tyrell.

Anders die Sozialdemokraten: Nur sie verweigern Hitler das Ja. Wenn heute die SPD-Abgeordneten im Reichstagsgebäude zur Fraktionssitzung laufen, kommen sie an einer weißen Wand vorbei, auf der in schwarzer Schrift die Namen aller 94 Abgeordneten stehen, die damals mit Nein stimmten. Getagt wird im Otto-Wels-Saal.

Unvergessen sind die entscheidenden Worte des damaligen Fraktionsvorsitzenden in seiner Rede zum Ermächtigungsgesetz: "Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht".

Liberale und Konservative knicken ein, Goebbels frohlockt

Um 18.16 Uhr beginnt Wels mit der letzten freien Reichstagsrede. "Nach den Verfolgungen, die die Sozialdemokratische Partei in der letzten Zeit erfahren hat, wird billigerweise niemand von ihr verlangen oder erwarten können, dass sie für das hier eingebrachte Ermächtigungsgesetz stimmt", sagt der gelernte Tapezierer. Er geht später wie so viele Sozialdemokraten ins Exil nach Paris.

Otto Wels als Redner, 1932 Ermächtigungsgesetz  SPD FOTO: SZ Photo

Otto Wels während einer SPD-Versammlung 1932 in Berlin. Der Reichstagsabgeordnete und Fraktionsvorsitzende der SPD stimmte mit seinen Parteifreunden gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz - Konservative und Liberale knickten ein.

(Foto: Scherl / SZ Photo)

Wels betont an jenem 23. März 1933: "Die Herren von der Nationalsozialistischen Partei nennen die von ihnen entfesselte Bewegung eine nationale Revolution, nicht eine nationalsozialistische. Das Verhältnis ihrer Revolution zum Sozialismus beschränkt sich bisher auf den Versuch, die sozialdemokratische Bewegung zu vernichten", ruft Wels.

Nach Angaben des SPD-Abgeordneten Josef Felder macht Hitler einen nervösen Eindruck. "Er notierte eifrig auf kleine Zettel und schüttelte den Kopf."

Wels' Worte bringen Hitler in Wallung. Er hatte bereits zu Beginn der Sitzung gesprochen, nun eilt er noch einmal ans Rednerpult. Er will verhindern, dass durch Wels das bürgerliche Lager noch einmal schwankt. Seine Worte geben ein Beispiel seiner rhetorischen Fähigkeiten. Wer nur den blindwütigen Diktator ihn ihm sieht, ignoriert sein gefährliches Talent, Menschen durch Verdrehungen, Lügen und Übertreibungen in seinen Bann zu ziehen. Das Plenarprotokoll des 23. März 1933 zeugt davon.

Die Sozialdemokraten hätten nach der Novemberrevolution 1918 ihre Chance gehabt, sagt Hitler. "Sie hatten einst die Möglichkeit, dem deutschen Volke das Gesetz des inneren Handelns vorzuschreiben." Es gebe wenige unter den NSDAP-Abgeordneten, die nicht unter Verfolgungen auch der SPD gelitten hätten.

Hitler stellt die Nationalsozialisten als zurückhaltend dar: "Wir beherrschen uns, uns gegen die zu wenden, die uns vierzehn Jahre lang gequält und gepeinigt haben". Wels versuche andauernd, "unser Volk vor der Welt mit Lügen in eine schiefe Bahn zu bringen", behauptet Hitler und höhnt: "Sie sind wehleidig, meine Herren, und nicht für die heutige Zeit bestimmt."

Demonstrativ lobt er das Verhalten der konservativen Zentrumspartei. "Die Hand gebe ich jedem, der sich Deutschland verpflichtet." Und seine letzten Worte gehen noch einmal an die SPD: "Ich will gar nicht, dass Sie dafür stimmen. Deutschland soll frei werden, aber nicht durch Sie".

Es folgt die Rede des Zentrumspolitikers Prälat Ludwig Kaas. Er erläutert die Zustimmung: Hitler hatte zuvor den Schutz der Kirche versprochen und das christliche Leben als "unerschütterliches Fundament des sittlichen und moralisches Lebens unseres Volkes" gepriesen. Die "freundschaftlichen Beziehungen zum Heiligen Stuhle" sollten ausgebaut werden, verspricht Hitler.

Kaas geht danach nach Rom und ist wenig später aufseiten des Vatikans an der Ausarbeitung des Konkordats mit Hitlers Reich beteiligt. Der Völkische Beobachter bejubelt die "Anerkennung des jungen Reiches durch die zweitausendjährige Macht der Kirche".

Auf Kaas folgt Reinhold Maier, der nach dem Krieg FDP-Chef und Ministerpräsident im Südwesten wird. Der Liberale begründet für die fünf liberalen Abgeordneten der Deutschen Staatspartei, darunter Theodor Heuss, die Zustimmung. Maiers letzter Satz: "Im Interesse von Volk und Vaterland und in der Erwartung einer gesetzmäßigen Entwicklung werden wir unsere ernsten Bedenken zurückstellen und dem Ermächtigungsgesetz zustimmen".

Die Gewerkschaften wurden wenig später gleichgeschaltet, die SPD im Juni verboten. Der Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel kennzeichnete das mit dem 23. März 1933 errichtete Konstrukt als "Doppelstaat": Es kam zum Nebeneinander eines Normenstaats mit de facto weiter geltenden Vorschriften und eines Maßnahmenstaates, der Normen und Gesetze bei Bedarf per "Ermächtigung" missachtete. Recht wurde nun in Deutschland, was Hitler für Recht hielt.

Joseph Goebbels frohlockte über die Entmachtung des Reichstages. Der Propagandaminister notierte nach der "Ermächtigung" zufrieden in seinem Tagebuch: "Jetzt sind wir auch verfassungsmäßig die Herren des Reiches".

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