Erkenntnisse zu Zwickauer Terrorzelle:Systematische Tötungen nach dem Zufallsprinzip

Die Opfer wurden ausgespäht und wie Objekte kategorisiert. Generalstabsmäßig bereiteten Mundlos und Böhnhardt ihre Anschläge vor. Das besonders Perfide ihrer Taten: Gemordet haben sie dann doch spontan. Wer ums Leben kam, spielte für sie keine Rolle. Hauptsache, das Opfer war ein Ausländer.

Hans Leyendecker

Die Killer der Zwickauer Terrorzelle bereiteten sich vor, als wollten sie in eine Schlacht ziehen. Sie besorgten sich Karten der Städte, in denen sie morden wollten. Sie spähten Ziele aus. Möglicherweise auch ließen sie von ortsansässigen Kontaktleuten Ziele ausspähen, wofür es bisher allerdings keinen handfesten Beleg gibt. Wenn sie das Material beisammen hatten, legten sie ihre Todeslisten an. Das war das System der Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die zwischen 2000 und 2006 neun Migranten und im Jahr 2007 die deutsche Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn ermordeten.

Neue Erkenntnisse zu Zwickauer Terrorzelle

Morde detailliert geplant, spontan getötet: Die Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt (links) und Uwe Mundlos.

(Foto: dapd)

In den seit gut zweieinhalb Monaten laufenden aufwendigen Ermittlungen der Sonderkommission "Trio" ist den Ermittlern aber ein anderes System der Mörder klar geworden: Mundlos und Böhnhardt hatten zwar genaue Pläne. Sie notierten sogar die jeweiligen Koordinaten der ausgekundschafteten Orte in Stadtplänen - und dann mordeten sie spontan.

Vermutlich fuhren sie mit gemieteten Wohnmobilen zu den Tatorten, holten ihre Fahrräder raus, radelten los und guckten dann das wirkliche Opfer aus. Am Beispiel der Ermordung des 39-jährigen türkischen Kioskbesitzers Mehmet Kubasik am 4. April 2006 in Dortmund und der Ermordung des 21 Jahre alten Türken Halit Yozgat am 6. April 2006 in dem Internetcafé seines Vaters in Kassel lässt sich dieses System der geplanten Zufälle erklären.

Einen Mord in Dortmund, wo es eine starke rechte Szene gibt, hatten die Täter offenbar schon lange erwogen. Auf einer Adressliste, die am 22. September 2005 von den Zwickauer Mördern ausgedruckt wurde, stehen in Maschinenschrift Angaben zu möglichen Zielen: "Türkischer Laden" in Dortmund Schüren, "Kiosk auf der anderen Straßenseite (ca. 50 Meter entfernt)", "Gutes Objekt und geeigneter Inhaber. Lage ist akzeptabel". Zu einem "türkischen Imbiss" in Dortmund Mitte schrieben sie: "Gutes Objekt, guter Weg von dort weg!!!" Zu einem türkischen Imbiss in Dortmund-Wischlingen: "Personal ist nicht optimal - vorher noch mal prüfen". Menschen waren in diesem Wahnsystem Objekte. Es kam nicht drauf an, wie er hieß und wer er war - Hauptsache ein Ausländer.

Material zu mehr als 30 Städten

Am 2. und am 3. April 2006 druckten sie die Dortmunder Pläne und die Adresslisten aus. Der Kiosk in der Dortmunder Mallinckrodtstraße, in dem tags drauf der deutsche Staatsangehörige türkischer Herkunft Mehmet Kubasik gegen 12.55 Uhr durch Kopfschüsse getötet wurde, befand sich nicht auf diesen Listen.

Am 3. April druckten die auch Pläne und Detailkarten von vier Städten aus, die nicht weit von Dortmund entfernt liegen: Hamm (42 Kilometer), Münster (58 Kilometer), Paderborn (107 Kilometer) und Bielefeld (116 Kilometer). Auch für diese Städte gab es Adresslisten möglicher Ziele. Manche waren mit einem gelben Smiley mit Sonnenbrille markiert. In der Regel befanden sich islamische Zentren, Kulturvereine oder der jeweilige Flüchtlingsrat auf den Listen.

Es gibt ein paar örtliche Besonderheiten: In Bielefeld gehörte die "Interessengemeinschaft der mit Ausländern verheirateten Frauen" dazu, in Paderborn die "Gemeinschaft zur Errichtung eines islamischen Friedhofs", in Münster zwei "Diplom-Juristen nach türkischem Recht" und in Hamm das "Institut für Information über Islam und Dialog".

Auffällig ist, dass für mögliche Ziele in diesen Städten keine Ausspähnotizen gefunden wurden. Einige Straßennamen und Hausadressen waren unterstrichen, aber das muss nichts bedeuten. In den amtlichen Analysen der Ermittler, die sich über die vielen Pläne gebeugt haben, findet sich für die Orte Münster, Paderborn, Hamm und Bielefeld der Standardsatz "Möglicherweise" sei eine Weiterreise von Dortmund in die jeweilige Stadt "erwogen" worden.

Ermittler stehen vor Rätseln

Auch für Kassel, das 166 Kilometer von Dortmund entfernt liegt, gab es sogenannte Zieladressen. Exakt 42 Ziele waren in einer Adressübersicht aufgeführt, sieben Kartenausdrucke der Stadt druckten sich die Terroristen aus. Die Übersichtskarte "Kassel" wurde am 2. April 2006 erstellt. Tags darauf druckten sie eine Adressübersicht und die Detailkarten "KasselS1" bis "Kassel S6". Handschriftlich trugen sie die Adresse eines Bundestagsabgeordneten der Grünen ein.

Ansonsten finden sich auf den Kasseler Listen die üblichen Namen islamischer Vereinigungen oder die Adresse eines Flüchtlingsrats. Das Internetcafé Holländische Straße 82 in Kassel, in dem sich am 6. April gegen 17 Uhr der neunte Mord ereignete, fand sich weder in den Karten der Mörder noch in ihrer Adressübersicht oder -liste. Der schreckliche Fall gibt den Ermittlern immer noch Rätsel auf.

Sieben Städte waren die Tatorte der insgesamt zehn Morde. Aber zu mehr als 30 Städten liegen Materialsammlungen vor, darunter befinden sich allerdings auch Adressen von Geldinstituten, die Ziele für einen Überfall sein konnten. Die Ermittler wissen nicht, ob in den Zwickauer Schuttbergen nur ein Teil des Kartenmaterials oder das gesamte Material der Mörderbande sichergestellt werden konnte. Eine Adressliste von Rostock, wo am 25. Februar 2004 ein junger Türke ermordet wurde, liegt bislang nur zu Banken vor.

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