Erinnerungen an Dieter Hildebrandt:Viel Witz, viel Leid

Dieter Hildebrandt bei seinem letzten Auftritt im Juli 2013

Dieter Hildebrandt bei seinem letzten Auftritt im Juli 2013 in Passau.

(Foto: dpa)

Wie war Dieter Hildebrandt jenseits der Pointe? Wissbegierig und wissensschwanger, nachdenklich und warm zeigte er sich bei Gesprächen. Ein Humanist, in dessen Seele der Krieg tiefe Spuren hinterlassen hatte. Arbeitshunger zeigte Hildebrandt bis zuletzt - auch wenn ihm seine Lage klar war.

Von Oliver Das Gupta

Im Spätsommer 2000 besuchte Dieter Hildebrandt die Deutsche Journalistenschule, die ihre Heimat damals noch im Herzen Münchens hatte. Der Mann lächelte nicht, er wirkte genervt. Das konnte an der Uhrzeit liegen (vormittags). Oder aber an der ersten, unbeholfenen Frage ("Herr Hildebrandt, was erwarten Sie von uns?"). Es war am ehesten aber wohl dadurch begründet, dass es Hildebrandt nicht gefiel, wie die Ehrfurcht die jungen Köpfe blockierte.

Dieter Hildebrandt! Den kannte man bislang nur aus dem Fernsehen. Von Kindesbeinen an. Der war schlagfertig. Der brachte die Eltern zum Lachen. Der zog Helmut Kohl gekonnt durch den Kakao. Und den Rest der bundesrepublikanischen Politiker (außer Willy Brandt, den hat er geliebt).

Nun saß Hildebrandt da. Kleiner als gedacht, der Rücken krumm, die Brille groß, die Augen wach. Er war Testperson, Interviewübung. Das Gruppengespräch begann, Hildebrandt antwortete. Auf alles. Druckreif. Wurde witzig. Zeigte keine Arroganz. Nahm die Angst, nicht den Respekt. Es war eine großartige Stunde.

Dieter Hildebrandt und die Journalisten. Er kannte viele, war mit einigen befreundet, auch mit großen Namen. Manche mochte er nicht. Die nannte er dann schon mal "Granatenarschloch". Vulgär formulierte er selten. Der Mann hatte schließlich Niveau, er war ein Bildungsbürger.

Obwohl schon längst im Rentenalter, pflegte er auch den Kontakt zu den Jüngeren. Er interessierte sich für das Internet. Bis an sein Lebensende. Noch wenige Monate vor seinem Tod engagierte er sich - auch finanziell - bei störsender.tv, einem Crowdfunding-Projekt.

Alle zwei Sätze eine Pointe

Wissbegierig war er, offen für Neues, Hildebrandt war zugänglich und ansprechbar. Er lernte gerne, obwohl er schon so viel wusste. Ausgerechnet er, der Kabarett-Veteran, zeigte sich offen für Online-Journalismus, als der noch alles andere als populär war.

Den Leuten, die, wie er sagte "internetzen", also den Jungen, schenkte er gerne als Erstes Prosecco ein (in den letzten Jahren nur noch Wasser). Und dann kommentierte er das politische Tagesgeschehen, wie er das seit Jahrzehnten tat. Alle zwei Sätze eine Pointe. Gehässig war sein Spott nie. Hildebrandt konnte böse sein, zerstören wollte er aber nicht. Der Auftrag zum Witz kam bei ihm von der Menschenliebe und von der Humanitas.

Hildebrandt war bereit, Positionen zu überdenken und zu ändern. Selbst für Zielpersonen seiner Häme fand er durchaus auch anerkennende Worte, wie etwa seine Würdigung Heiner Geißlers zu dessen 80. Geburtstag zeigt.

Er blieb partiell wütend, er blieb misstrauisch, vor allem Politikern gegenüber. Trotzdem traute er. Etwa wenn er im kleinen Kreis offen darüber sprach, künftig auf Alkohol zu verzichten. Oder wenn er Interviews gab und auf die Autorisierung verzichtete mit den Worten: "Warum sollte ich das vorher lesen? Ich habe es doch gesagt." Oder er voller Verehrung über Kollegen wie Georg Kreisler sprach - obwohl gerade der von Hildebrandt offenkundig wenig hielt.

Hildebrandt, der wie das Grundgesetz an einem 23. Mai zur Welt gekommen war, stritt leidenschaftlich für die Wahrheit, für die Demokratie, gegen Missstände, gegen die Mächtigen - auf seine Art. Das Reservoir, aus dem er schöpfte, war seine Lebensklugheit.

Druckreif, wie immer

Ausgangspunkt aber waren die Erlebnisse seiner Jugend. Wenn er von seinen jungen Jahren erzählte, war das nicht humorig. Da war die Nazi-Diktatur, da war der Krieg, den er knapp überlebt hatte. Immer wieder kam er in Gesprächen darauf zurück - direkt, indirekt, nebenbei. Die Erfahrungen hinterließen wohl tiefe Narben in seiner Seele. Weitere Verletzungen erlebte er durch den Verlust seiner ersten Frau und von engen Freunden wie Lach- und Schießgesellschafter Sammy Drechsel - er war aus der Kabarett-Riege der alten Bundesrepublik einer der letzten Lebenden. Hinter seinem Lebenswitz verbarg sich viel Lebensleid. Er war ein wunderbarer Kabarettist. Befreit von der Pointe aber wuchs Hildebrandt sogar noch an Größe.

Anfang November noch erzählte er von seiner Jugend in Bunzlau, einer längst vergessenen Welt in Niederschlesien. Er diktierte am Telefon, wie er den Morgen nach dem NS-Pogrom gegen die jüdischen Deutschen vor 75 Jahren erlebte. Druckreife Sätze, wie immer (hier das Protokoll).

Er wollte sich an einem weiteren Projekt über Migranten in Deutschland beteiligten, "unbedingt", sagte Hildebrandt. Denn er, der Schlesier, gehöre ja zu den Vertriebenen, die vor all den Türken, Italienern und anderen als Einwanderer in die Bundesrepublik kamen. "Bis wann brauchen Sie das?" Er zeigte Arbeitshunger, obwohl ihm seine gesundheitliche Lage klar war.

Im Telefonat ein paar Tage später sagte Hildebrandt ab. "Mir geht es schlechter", teilte er mit. Er klang aufgeräumt. Lakonisch beschrieb er, wie er nur noch im Bett läge und Spritzen bekäme. Vielleicht könne man ja im Dezember noch mal sprechen, vielleicht klappe das auch nicht. "Ich weiß nicht, ob ich durchkomme."

Dieter Hildebrandt starb in den Morgenstunden des 20. November.

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