Erinnerungen an die Bundeswehr, Teil II:Von Todesangst und Subversion

Nach unseren Lesern erinnern sich auch drei SZ-Redakteure an ihre Zeit beim Bund. Die Sinnfrage können auch sie nicht beantworten. Aber jeder hat seinen eigenen Weg gefunden, mit den Zumutungen klarzukommen.

Oliver Das Gupta, Mitarbeiter in der SZ.de-Nachrichtenredaktion, leistete seinen Wehrdienst von Oktober 1995 bis September 1996 bei einem Gebirgsjägerbataillon. Er erinnert sich, wie er die schlimmste Nacht seines Lebens in einem Winterlager bei Mittenwald überstand.

Erinnerungen an die Bundeswehr, Teil II: Bei schneidender Kälte: Oliver Das Gupta (li.) im Biwak-Alarmposten

Bei schneidender Kälte: Oliver Das Gupta (li.) im Biwak-Alarmposten

(Foto: Foto: odg)

"Jetzt wirst du sterben. Gleich schläfst du ein und wachst nicht mehr auf", dachte ich mir und klapperte mit den Zähnen. Gefühlt war es in Schlafsack und Zelt keinen Deut wärmer als draußen, wo die Eiseskälte von Minus 17 Grad im Gesicht brannte.

Ich starrte auf die kaum sichtbare Zeltwand, dachte an Freundin und Familie. Und ärgerte mich, dass ich den Wehrdienst unbedingt als Gebirgsjäger in Mittenwald ableisten wollte - und inzwischen musste.

Denn das militärische Leben in dem pittoresken Grenzort zwischen Karwendel- und Wetterstein-Gebirge sah nicht nur spektakuläre Ski- und Klettertouren, Lawinenkunde und eine UN-Ausbildung vor.

Sondern eben auch: Märsche, nächtelang, das Sturmgepäck auf dem Rücken, mitunter ein Maschinengewehr über der Schulter, Bergtouren im Eiltempo, manchmal drei Gipfel an einem Tag.

Oder aber: Biwakieren im tiefsten Winter. Und während einer solchen Feldübung lag ich in einer Novembernacht 1995 zitternd und hundemüde in einem lausigen Zelt und glaubte, den Sonnenaufgang nicht mehr zu erleben.

Die Tage zuvor war ich mit den übrigen Rekruten meiner Einheit durch kniehohen Schnee gewatet, hatte gelernt, wie man Sprengfallen erkennt und entschärft, wie man sich im Gelände ganz ohne Kompass zurechtfinden kann, wie man eine Latrine in bewaldeten Gebirge aushebt. Die weiße Winterkampfmontur war um Nu pitschnass, außen vom Schnee, innen vom Schweiß.

Abends kam der Spieß mit Herzgulasch mit Nudeln. Danach ging es erst richtig los. Es galt, eine bewaldete Kuppe gegen einen imaginären Feind zu schützen. Dazu mussten wir tagsüber so genannte Schützenmulden anlegen. Als es dämmerte, hatten die Rekruten in Zweierteams diesen Alarmposten zu beziehen, nach eineinhalb Stunden wurden sie abgelöst.

Sah jemand etwas Verdächtiges, wurde die restliche "Besatzung" des Abschnittes alarmiert. Und das kam ständig vor. Mal wurde ein vom Schnee bedeckter Tannenzweig als Feind identifiziert, in einem Fall durfte ich vermutlich wegen eines Rehs in die eiskalte Stellung robben, die ich erst Minuten zuvor verlassen hatte.

Mehrfach pirschten sich eine Handvoll Vorgesetzte tatsächlich an die Stellung heran: Sie wurden entdeckt, eine Leuchtpatrone zeigte uns, wo die Angreifer Deckung suchten. Dann wurden sie unter dem vereinten Geknatter unserer mit Platzpatronen geladenen Flinten vertrieben.

Drei Nächte ging das so, von abends bis morgens. In den ersten beiden unterhielt ich mich mit meinem 19-jährigen Kameraden noch über Frauen. In der dritten Nacht schwiegen wir meist - und mir kam die Angst vor dem Tod, dem Tod durch Erfrieren.

Die Rettung erfolgte in Person eines Unteroffiziers. Der Mann klopfte an die Zeltwand, zischte: "Rauskommen" und führte einen Kameraden und mich in einem großen Bogen vor unsere eigene Stellung - als Feindkommando.

Freilich wurden auch wir entdeckt, eine Leuchtpatrone erhellte den Himmel über uns, als ich gerade bis zur Hüfte im Tiefschnee steckte. Dann blitzte kräftig von der Kuppe herab auf uns arme Angreifer.

Wir flohen, so schnell und gut es ging. Bald endeten die Schüsse und auch mein Zittern: Ich fror nicht mehr. Über der westlichen Karwendelspitze graute der Morgen - und ich hatte die schlimmste Nacht meines bisherigen Lebens überstanden.

Von Todesangst und Subversion

"Er ist kein Mensch, er ist kein Tier, er ist ein Panzergrenadier." 1984/85 musste sich Thomas Becker solche Sprüche anhören. Heute ist er stellvertretender Chefredakteur, was er ohne die viele freie Zeit bei der Bundeswehr vielleicht nicht geworden wäre.

Erinnerungen an die Bundeswehr, Teil II: Am Gelöbnistag in Ausgeh-Uniform: Jäger Oliver Das Gupta

Am Gelöbnistag in Ausgeh-Uniform: Jäger Oliver Das Gupta

(Foto: Foto: odg)

Sommer 1984 bis Herbst 1985 war die sinnloseste Zeit meines Lebens. Es war meine Zeit als Bundeswehrsoldat. Zu faul, ein Verweigerungsschreiben zu basteln, zu träge, sich um eine Zivi-Stelle zu kümmern, und dann sind 15 Monate "Grundi" ja schneller abgerissen als 24 Monate Zivildienst - so wurde ich Soldat. Eins weiß ich seitdem: Faulsein lohnt sich nicht.

Viele Grundwehrdienstleister haben gerade Abitur gemacht, dabei im günstigsten Fall gelernt, das Hirn zu gebrauchen, sind eigentlich auf dem Sprung an die Uni, um die Geschichte mit dem Hirn noch ein wenig auszubauen.

Dumm, dass die Bundeswehrzeit dazwischen liegt. Da brauchte man den Kopf meist nur als Auflage für den Stahlhelm. Den "Rest" übernahmen der Dienstplan und so genannte Vorgesetzte. Was da auf dem Kasernenhof auf die Menschheit losgelassen wurde! Von all den sinnfreien Beschäftigungen, die ich als Soldat zu tätigen hatte, will ich gar nicht erst reden; ich will ja kein Buch schreiben.

Klar, "lustige" Geschichten vom "Bund" kann jeder erzählen, der diesen Irrsinn einmal mitgemacht hat, und selbst die absurdeste Story ist wahrscheinlich wahr oder könnte es zumindest sein. Schlimm, so was.

Ein Gutes hat der Rechts-um-Nonsens dann allerdings doch noch gehabt. Als ich zur Ordonanz im Offiziersheim "aufgestiegen" war, wurden die Tage zwar noch tatenloser, konnten aber erstmals sinnvoll gefüllt werden: Ich begann, intensiv Zeitung zu lesen, vor allem ein Blatt aus dem süddeutschen Raum. Das hat geholfen, tat gut.

Nach einer unsäglichen Reserve-Übung Jahre später habe ich dann endlich eine nachträgliche Verweigerung geschrieben. Hat eine ungefähr eine Stunde gedauert.

Von Todesangst und Subversion

Chefredakteur Helmut Martin-Jung, flüchtete sich während seines Wehrdienstes von Juli 1980 - September 1981 in die Subversion.

Und ich Trottel hatte daran geglaubt: Staatsbürger in Uniform, Demokratie und Verfassung verteidigen. Hatte nicht verweigert. Hatte mir das alles sehr viel anders vorgestellt, als es dann über mich hereinbrach.

Wer nicht innerlich gefestigt war, den mochte die Mischung aus stumpfem Drill, ereignislosem Warten und sinnlosem Herumgehetze eher zum Trinker machen als ihn davon abzuhalten. Von wegen Schule der Nation.

Eine Stunde vor Dienstende nichts mehr zu tun? Wird eben das blitzsaubere Gewehr nochmal gereinigt. Und wehe man liest stattdessen ein Buch! Offener Widerstand? Zwecklos. Blieb: Subversion. Da des Gitarrespielens kundig, werde ich eingeteilt, um ein Marschlied einzustudieren. Draußen auf dem Exerzierplatz singe ich immer genau einen halben Ton neben der Melodie. Bei aller Bescheidenheit: das muss man erst mal können. Aber nur so klingt's richtig falsch.

Am Ende: Triumph, Sieg, Victoria. Wir brauchen kein Marschlied mehr zu singen! Wenigstens das.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: