Eric Schneiderman:Vom liberalen Helden zum abgestürzten Heuchler

Eric Schneiderman: Für konservative Aktivisten und Blogger sind die Nachrichten vom Sturz des prominenten Top-Juristen Eric Schneiderman ein Fest.

Für konservative Aktivisten und Blogger sind die Nachrichten vom Sturz des prominenten Top-Juristen Eric Schneiderman ein Fest.

(Foto: Reuters/Twitter)

Als New Yorker Generalstaatsanwalt klagte Eric Schneiderman Filmproduzent Weinstein an und lobte #MeToo. Er ließ so oft gegen Trump ermitteln, dass er für Spitzenämter gehandelt wurde. Nach Missbrauchsvorwürfen tritt er nun zurück.

Von Matthias Kolb

Mitte April verschickt New Yorks Generalstaatsanwalt Eric Schneiderman Glückwünsche an jene Reporter von New York Times und New Yorker, die mit ihren Recherchen die zahlreichen sexuellen Gewalttaten von Harvey Weinstein aufgedeckt hatten und nun den Pulitzerpreis erhielten.

Auf Twitter spricht @AGSchneiderman von einer "wohlverdienten Auszeichnung" und dankt jenen "tapferen Frauen und Männern, die öffentlich über die sexuellen Belästigungen" gesprochen hätten, die "mächtige Männer" ihnen zugefügt hätten. Nur so habe die wichtige "nationale Abrechnung" beginnen können, zu der Schneiderman durch seine Anklage gegen Weinstein beigetragen hat.

Drei Wochen später veröffentlicht mit Ronan Farrow ausgerechnet einer der gepriesenen Preisträger einen Text auf der Website des New Yorker, in dem vier Frauen einem mächtigen Politiker vorwerfen, sie zwischen 2013 und 2017 geschlagen, gewürgt und psychisch misshandelt zu haben.

Jener Mann ist Eric Schneiderman selbst, der 63 Jahre alte Attorney General und somit auch Justizminister des Bundesstaats New York und einer der Helden des liberalen Amerika. "Wird dieser Mann Donald Trump stürzen?", überschrieb das Politico Magazine schon im Februar 2017 ein Porträt. Drei Stunden nach der Veröffentlichung des New Yorker-Artikels und auf Druck von Gouverneur Andrew Cuomo tritt der Vater einer erwachsenen Tochter zurück, obwohl er die Vorwürfe zurückweist und die Meinung vertritt, die ihm vorgeworfenen Taten seien Teil von "Rollenspielen und anderen, im Konsens erfolgten sexuellen Aktivitäten" gewesen.

Dem widersprechen seine Ex-Partnerinnen Michelle Manning Barish und Tanya Selvaratnam entschieden. Sie schildern Schneiderman als einen Mann mit einem Alkoholproblem (1,5 Flaschen Wein pro Abend, danach Bourbon), der sie immer wieder ins Gesicht geschlagen, bespuckt und als "Hure" beschimpft habe. Schneiderman, der sich als Vorkämpfer für Frauenrechte inszeniert und etwa 2018 beim New Yorker Women's March die "MeToo"-Bewegung lobte, habe Barish gedrängt, abzunehmen und sich die Brüste vergrößern zu lassen. Sollten sie sich von ihm trennen, so die Drohung, werde er sie verfolgen und abhören lassen. Sogar von Mord sei die Rede gewesen.

Sogar Salman Rushdie hörte von den Schlägen und tat nichts

Alle Zeuginnen (zwei äußern sich anonym) stammen aus der New Yorker Medien- und Juristenszene und werden als "articulate, progressive feminist Democrats" beschrieben. Sie begründen ihr Schweigen damit, dass sie Schneiderman für einen guten Chefermittler hielten, der auch gegen Wall-Street-Banken oder Volkswagen-Manager vorging. Zudem hätten sie gedacht, es handele sich um Einzelfälle.

Dass dennoch Gerüchte kursierten, bestätigt Bestsellerautor Salman Rushdie, der selbst mit Manning Barish liiert war und dem New Yorker sagte: "Ich war schockiert, da wurden klare Grenzen überschritten." Er habe Manning Barish dazu geraten, sich von Schneiderman fernzuhalten, doch an die Öffentlichkeit ging Rushdie nicht.

Bekannt werden die Vorfälle nun, weil Michelle Manning Barish keine "Heuchlerin" mehr sein und verhindern will, dass Schneiderman andere Frauen auf gleiche Art behandeln könnte. Sie habe auch den Gedanken nicht ausgehalten, dass beim Weinstein-Fall "ein Täter die Ermittlungen im wichtigsten Prozess rund um sexuellen Missbrauch" führen könnte.

Die Berichte über den Trump-Vertrauten Rob Porter, der im Februar entlassen wurde, weil er seine Ex-Partnerinnen misshandelt hatte, hätten sie ebenso beschäftigt wie Schneidermans Image. Am 1. Mai erhielt er noch einen "Champion of Choice"-Preis für seinen Einsatz für das Recht auf Abtreibung und sagte bei der Gala: "Wenn eine Frau keine Kontrolle über ihren Körper hat, dann ist sie nicht gleichberechtigt." Solche Aussagen erzürnen auch seine Ex-Partnerin Selvaratnam: "Seine Karriere beruht auf der Inszenierung als Vorkämpfer für Frauenrechte. Dabei missbraucht er sie in seinem Privatleben. Die Wahrheit muss ans Licht."

Die Häme von rechts kommt sofort

Für konservative Aktivisten und Blogger sind die Nachrichten vom Sturz des prominenten Top-Juristen natürlich ein Fest. Präsidenten-Sohn Donald junior veröffentlichte und kommentierte auf Twitter alte Kurznachrichten des Demokraten, die diesen als scheinheiligen Heuchler entlarven.

Zwischen der Trump-Familie und Schneiderman herrscht seit Längerem ein Kleinkrieg, der entweder auf Twitter oder in Gerichtssälen ausgetragen wird. Der Demokrat, der seit 2011 im Amt war, hatte mehrere Klagen gegen den heutigen US-Präsidenten Donald Trump angestrengt (dabei spendete dieser 2010 12 500 Dollar für seinen Wahlkampf). Schneiderman klagte den früheren Immobilienunternehmer wegen Betrugs rund um die Trump University an; das Verfahren endete mit einem Vergleich und einer Entschädigungszahlung von 25 Millionen US-Dollar. Es läuft weiterhin ein Verfahren wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten bei der Trump-Familienstiftung.

650 Juristen arbeiten für New Yorks Generalstaatsanwalt

Zuletzt warb Schneiderman vor den Abgeordneten dafür, die Gesetze des Staates New York so zu ändern, dass eine Begnadigung durch den Präsidenten weitere Ermittlungen im Bundesstaat New York nicht verhindern kann. Da Trump seit Jahrzehnten in der Finanzmetropole lebt und arbeitet, könnte dies vielen seiner Berater und Geschäftspartner Probleme bereiten (etwa dem angeklagten Anwalt Michael Cohen).

Peinlich ist dieser Absturz auch für liberale TV-Stars wie Samantha Bee, die ihn im November 2017 zum Superhelden "Schneider-Man" ausrief, dem zuzutrauen sei, die amerikanische Demokratie zu retten und viele andere Probleme zu lösen. Wie sehr dies dem Demokraten schmeichelte, zeigt die Tatsache, dass er die Comic-Motive zwei Tage vor seinem Fall via Twitter verbreitete.

Mit 650 Juristen unter sich verfügt New Yorks Generalstaatsanwalt über viel Gestaltungsmacht. Seit Trumps Vereidigung ist Schneiderman nicht nur gegen diverse "Einreiseverbote" für Bürger von mehreren mehrheitlich muslimischen Staaten vor Gericht gezogen, sondern hat mit progressiven Staaten wie Kalifornien oder Massachusetts Klage gegen geplante Lockerungen bei Umweltauflagen oder Missstände in der Umweltbehörde EPA eingereicht.

Damit kopieren die Demokraten eine Strategie, die konservative Attorney Generals in den Bundesstaaten während der Amtszeit von Barack Obama entwickelten, um durch Prozesse politische Ziele des Präsidenten zu verhindern oder zumindest zu bremsen (Hintergründe bei Politico). Scott Pruitt, heute Chef der EPA, wurde durch diese Klagen als Generalstaatsanwalt von Oklahoma zur Ikone konservativer Großspender.

Als Karrieresprungbrett ist der Posten ideal, weshalb in New Yorker und Washingtoner Politik-Kreisen nur noch spekuliert wurde, ob Schneiderman eher Gouverneur werden wolle (Amtsinhaber Cuomo war zuvor ebenfalls Attorney General) oder für den Kongress kandidieren könnte. Der aus einer New Yorker Juristenfamilie stammende Absolvent der Harvard Law School trat 1998 in die Politik ein und hatte die ultraliberale Upper West Side im Senat in Albany vertreten.

Dort müssen die Abgeordneten beider Häuser nun einen neuen Generalstaatsanwalt beziehungsweise eine neue Generalstaatsanwältin bestimmen. Wer immer sich durchsetzt, hat sicher einer Startvorteil für den Wahlkampf, der bald beginnen dürfte. Denn am 6. November werden die Bürger des Bundesstaates New York entscheiden, wer jene vielen Klagen, die Eric Schneiderman angestoßen hat, weiterführen soll.

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