Erdogan-Besuch:Streit in der Union über EU-Beitritt der Türkei

Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach nutzt den Deutschlandbesuch des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, um gegen eine EU-Aufnahme des Landes Stimmung zu machen. Damit stößt er auch in seiner eigenen Partei auf Kritik.

Anlässlich des Deutschlandbesuchs des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan hat sich Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach gegen die Aufnahme der Türkei in die EU ausgesprochen.

Bosbach: Integrationskraft überfordert

Bosbach erklärte am Dienstag, ein Beitritt würde die Integrationskraft und die ökonomische Leistungsfähigkeit der Europäischen Union weit überfordern.

Bosbach kritisierte im ZDF-Morgenmagazin, die Arbeitslosigkeit des Landes liege bei 20 Prozent, die Inflationsrate bei 50 Prozent und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei lediglich 20 Prozent des EU-Durchschnitts.

In wenigen Jahren wäre die Türkei mit 90 Millionen Einwohner das bevölkerungsreichste Land der Europäischen Union, sagte der CDU-Politiker mit Blick auf die Freizügigkeitsregelungen in der EU.

Der CDU-Politiker Ruprecht Polenz forderte dagegen eine faire Beitrittschance. Ablehnende Haltungen innerhalb der Union seien nur Einzelmeinungen, betonte Polenz im Deutschlandradio. Mit einem Beitritt des Landes könne dem gegen den Westen erhobenen Vorwurf der Islamfeindlichkeit der Boden entzogen werden.

Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck kritisierte, Bosbachs Äußerungen schadeten dem Ansehen des Westens und der EU in der islamischen Welt.

Am zweiten Tag seines Deutschlandbesuchs ist Erdogan mit Bundeskanzler Gerhard Schröder zusammengetroffen. Der türkische Regierungschef wurde am Dienstag vor dem Berliner Kanzleramt mit militärischen Ehren empfangen.

Im Mittelpunkt des Gesprächs mit Schröder sollten ein möglicher EU-Beitritt der Türkei, die Lage in Irak und im Nahen Osten sowie die bilateralen Beziehungen stehen. Anschließend sind Treffen geplant mit Außenminister Joschka Fischer und Innenminister Otto Schily.

Rechtsstaatlich alles korrekt?

Beck forderte, die Tür für die Türkei in die EU müsse offen sein, wenn sie die rechtsstaatlichen und ökonomischen Voraussetzungen für einen Beitritt erfülle.

An der Tür zur Europäischen Union müsse das Land ein Dokument vorlegen, in dem bescheinigt werde: "Rechtsstaatlich alles korrekt." Beck sagte: "Nur wenn wir klare Anforderungen an die Türkei formulieren und nicht auf kulturelle Ausgrenzung setzen, stärken wir die demokratischen Kräfte in der Türkei."

"Der Fall Kaplan zeigt allerdings, dass die Türkei hier noch einen langen Weg vor sich hat", meinte Beck. Die Abschiebung des Islamistenführers Metin Kaplan in die Türkei ist gescheitert.

Das Kölner Verwaltungsgericht hatte eine Auslieferung des "Kalifen von Köln" in der vergangenen Woche mit der Begründung abgelehnt, dass ihm in der Türkei ein Verfahren drohe, das mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar sei.

Trotz eines Folterverbots werden nach Angaben von Amnesty International nach wie vor Menschen in der Türkei von Sicherheitskräften misshandelt. Die Polizei entführe verstärkt Menschen auf der Straße, foltere sie außerhalb des polizeilichen Gewahrsams und lasse sie anschließend wieder frei, sagte Amke Dietert von der Menschenrechtsorganisation im ZDF-Morgenmagazin.

Erdogan hatte seinen Deutschland-Besuch überraschend um einen Tag vorgezogen und am Montag die Internationale Funkausstellung in Berlin besucht. Einige Demonstranten protestierten beim Messerundgang Erdogans gegen die Politik der türkischen Regierung.

(sueddeutsche.de/AP)

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