Erdoğans Geschichtsstunde:Amerika hat viele Entdecker

Turkey's Prime Minister Tayyip Erdogan addresses members of parliament from his ruling AK Party during a meeting at the Turkish parliament in Ankara

"314 Jahre vor Kolumbus erreichten muslimische Seefahrer im Jahr 1178 den amerikanischen Kontinent", so der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan.

(Foto: Umit Bektas/Reuters)

Kolumbus hat ausgedient als großer Entdecker der Neuen Welt. Dem türkischen Präsidenten Erdoğan zufolge waren es Muslime, die Amerika entdeckten - und zwar dreihundert Jahre vor den Spaniern. Mit solchen Überlegungen ist er nicht allein.

Von Thomas Steinfeld

Ein Meister des Kopfschüttelns ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan - nicht in dem Sinne, dass er selbst besonders gut darin wäre, sein Haupt zu schütteln, sondern dadurch, dass er andere dazu bringt, so etwas zu tun.

Und so geschah es am vergangenen Wochenende, während einer Konferenz in Istanbul, zu der sich die wichtigsten Männer des Islam in Lateinamerika versammelt hatten, dass er eine neue Variante der Entdeckungsgeschichte Amerikas darbot: Nicht Kolumbus habe den Kontinent entdeckt, erklärte Erdoğan, sondern Muslime, und zwar nicht erst im Jahr 1492, sondern gut dreihundert Jahre zuvor, im Jahr 1178. Danach habe sich der Islam auf dem amerikanischen Kontinent weit verbreitet. Deswegen gebe es auch einen Eintrag im Bordbuch des Kolumbus, in der dieser von einer Moschee auf einem Gipfel auf Kuba berichte. "Geschichtsstunde bei Erdoğan", lachten darauf die Kopfschüttler.

Einmal abgesehen davon, dass es nicht leicht sein dürfte, Spuren einer islamischen Besiedlung Lateinamerikas vor Kolumbus zu finden, geschweige denn die Ruinen einer Moschee auf Kuba, sind Erdoğans Einlassungen indessen nicht ganz so verrückt, wie sie zunächst zu sein scheinen. Das gilt weniger wegen der Wikinger, die vermutlich um das Jahr 1000 zumindest bis nach Neufundland vorgedrungen waren, den Kontinent aber bald wieder verließen, weil er ihnen zu unwirtlich war.

Theorien von Chinesen, Japanern, Afrikanern oder Mormonen

Das gilt vor allem, weil es so viele Theorien gibt, Amerika sei schon vor Kolumbus entdeckt worden, und zwar vor allem von Chinesen, aber auch von Japanern oder von Afrikanern. Und die Mormonen, zu denen immerhin amerikanische Präsidentschaftskandidaten gehören, glauben daran, manche Ureinwohner des amerikanischen Kontinents seien jüdischer Abstammung.

Zuletzt hatte der pensionierte britische Marineoffizier Gavin Menzies behauptet, eine chinesische Flotte unter Führung des Admirals Zheng He sei einige Jahre vor Kolumbus in Amerika gewesen. Als Beleg präsentierte er eine chinesische Karte, von der er behauptete, sie sei auf dieser Expedition entstanden und als Kopie über Arabien nach Portugal und Spanien gelangt, wo sie dann von den westlichen Entdeckern genutzt worden sei. Sollte Präsident Erdoğan also ein Verrückter sein, befände er sich zumindest in durchaus respektabler Gesellschaft.

Darüber hinaus mag es sein, dass Recep Tayyip Erdoğan mit seiner Behauptung einen politischen Zweck verfolgt. Denn nicht weit entfernt von Kuba, in den Vereinigten Staaten, lebt der ehemalige Imam Fethullah Gülen, der mit seiner eher liberalen islamischen Bewegung der ärgste Widersacher Erdoğans im eigenen Land ist. Und die Gülen-Bewegung ist in den lateinamerikanischen Länder gut vertreten, nicht zuletzt in Gestalt von Schulen.

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