Türkei und EU:Warum es richtig ist, dass Merkel weiter mit Erdoğan redet

Bundeskanzlerin Angela Merkel in der T¸rkei

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan auf dem UN-Nothilfegipfel in Istanbul.

(Foto: dpa)

Der Spott über den Besuch der Kanzlerin ist billig. Denn in der Flüchtlingspolitik ist es mitnichten so einfach, dass die Guten in Brüssel und die Schlechten in der Türkei sitzen.

Kommentar von Heribert Prantl

Hohe Pforte - das war einst die Bezeichnung für das Machtzentrum des Osmanischen Reiches. Die ausländischen Botschafter waren "an der hohen Pforte" akkreditiert, benannt nach dem Tor des Pascha und dem Sitz des Großwesirs. Heute redet niemand von der Türkei als der "hohen Pforte"; aber dieser alte, überkommene Name beschreibt höchst treffend die Bedeutung dieses Landes für die aktuelle europäische Flüchtlingspolitik: Die Türkei ist Transitland für die Flüchtlinge aus den Kriegs- und Notgebieten; sie ist die Pforte und Warteraum zwischen ihrer alten Heimat und Europa.

Das ist mit und ohne Erdoğan so; aber der EU und die deutsche Politik muss sich damit abfinden, dass es derzeit Erdoğan ist, der an dieser Pforte das Sagen hat - ein Kontrolleur außer Kontrolle. Man kann sich anderes wünschen; aber Politik ist nicht Weihnachten. Mit Wunschträumen von einem demokratischeren Staatspräsidenten kommt man nicht weiter. Mit Willfährigkeit ihm gegenüber aber auch nicht.

Das war und ist die wenig kommode Situation, in der sich Angela Merkel befindet, wenn sie mit dem türkischen Staatspräsident redet. Sie tut es immer und immer wieder. Das ist richtig so; und der Spott darüber billig. Eine andere Möglichkeit, als mit Erdoğan zu reden und zu verhandeln, gibt es nicht. Und wenn man dem Staat Türkei Respekt zollt für die hohe Zahl von Syrien-Flüchtlinge, die er aufgenommen hat, dann ist dies nicht Honigpolitik, sondern Realität. In der Flüchtlingspolitik ist es nicht so, dass die Guten in der EU und die Schlechten in der Türkei sitzen. Da gibt es Schatten auf beiden Seiten.

Europa hat im Umgang mit der Türkei Fehler gemacht

Es ist wichtig, dass Merkel auf der Einhaltung vertraglich vereinbarter rechtsstaatlicher Prinzipien in der Türkei beharrt. Es ist wichtig, dass sich die Regierungen der EU nicht selbst den Mund verbieten; wer die Verletzung der Grund- und Menschenrechte in der Türkei des Flüchtlingsdeals wegen nicht kritisiert, macht sich mitschuldig. Es ist wichtig, dass der Bundestag in Kürze seine Resolution zur Verurteilung des Völkermords an den Armenien vor über einem Jahrhundert verabschiedet. Gewiss: Es hätte günstigere Zeitpunkte dafür gegeben als den jetzigen. Es hätte auch günstigere Zeitpunkte dafür gegeben, die Visumspflicht für die Türken aufzuheben. Es sind im Umgang mit der Türkei von deutscher und europäischer Seite Fehler gemacht worden. Aber man darf diese Fehler nicht perpetuieren.

Das Flüchtlingsabkommen ist ein schwankendes Abkommen; es wurde auf trügerischem Fundament geschlossen. Aber es lässt sich noch stabilisieren. Dafür ist Zeit, wohl bis zum Herbst. Das ist der Sinn der Gespräche zwischen Merkel und Erdoğan. Und es wäre nicht schlecht, wenn der EU in der Flüchtlingspolitik bis dahin auch etwas anderes einfiele als ein Outsourcing der Probleme in die Türkei.

Früher galt die Macht an der Tür Europas als der kranke Mann am Bosporus. Erdoğan ist der wilde Mann am Bosporus. Seine Regierungsstil ist impulsiv. Dagegen helfen Selbstbewusstsein und Klarheit.

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