Erbschaftsteuer:Frist ist Frist

Bis Ende Juni hatte das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber Zeit gelassen, um die Erbschaftsteuer neu zu regeln. Doch Bundestag und Bundesrat konnten sich nicht einigen. Jetzt greift das Gericht durch.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Das Bundesverfassungsgericht wollte gar nicht erst den Eindruck entstehen lassen, seine Geduld beim Warten auf eine Neuregelung der Erbschaftsteuer sei unendlich. Ende Juni war die Frist abgelaufen, die der Erste Senat dem Gesetzgeber zur Reparatur des verfassungswidrigen Gesetzes abgelaufen. Am 8. Juli scheiterte der Versuch, den Reformentwurf der großen Koalition durch den Bundesrat zu bringen, am Veto von SPD und Grünen in den Landesregierungen. An diesem Donnerstag hat das Bundesverfassungsgericht nun angekündigt, das Thema Erbschaftsteuer Ende September wieder auf die Agenda setzen zu wollen.

Der Fingerzeig aus Karlsruhe bedeutet zunächst einmal: Eine Frist ist eine Frist. Sie ist auch dann verbindlich, wenn es Bundestag und Bundesrat aus womöglich verständlichen Gründen nicht gelungen ist, rechtzeitig eine Reform im Bundesgesetzblatt zu verankern. Zwar hatte der Erste Senat in seinem Urteil vom 17. Dezember 2014 eine eher weiche Variante der Fristsetzung gewählt. Danach sollten die bisher geltenden Regelungen zur Erbschaftsteuer "bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar" bleiben. Das heißt: Man verzichtete auf das Fallbeil, das beispielsweise 1995 im Beschluss zur Vermögensteuer eingesetzt worden war. Damals sollte das beanstandete Gesetz "längstens" bis zum Fristablauf anwendbar bleiben; weil kein neues kam, gibt es bis heute keine Vermögensteuer mehr.

Die zurückhaltende Formel sollte allerdings nicht bedeuten, dass sich das Gericht damit selbst die Hände gebunden hätte. Denn es verfügt über die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit, eine Vollstreckungsanordnung zu erlassen. Die große Frage lautet daher: Was geschieht, wenn sich bei der Erbschaftsteuer die vertrackte Gemengelage aus grünem Widerstand, Seehoferschem Eigensinn und Unternehmerlobbyismus nicht rechtzeitig auflösen lässt? Mit einer Vollstreckungsanordnung könnte das Verfassungsgericht eine Übergangslösung erlassen. Theoretisch wäre denkbar, dass das Gericht das Gesetz einfach sofort für nichtig erklärt. Nur: Auf diese Variante hatte der Senat im Urteil bewusst verzichtet, und zwar "im Interesse einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung". Zwar sei das Aufkommen aus der Erbschaftsteuer mit etwa 5 Milliarden Euro vergleichsweise gering, mache aber annähernd ein Drittel der Ländersteuern aus.

Die Alternative wäre, dass der Senat selbst eine Übergangsregelung formulieren würde. Doch auch das dürfte sich als kompliziert erweisen - weil die Richter damit gleichsam selbst ein Gesetz schreiben müssten. Denn die Korrektur lässt sich hier nicht mit ein paar Stellschrauben erreichen: Ein verfassungsmäßiger Zustand könne "nur durch eine umfassende Nachbesserung oder grundsätzliche Neukonzeption herbeigeführt werden", hatte das Gericht im Urteil festgestellt. Wenn die Richter die Steuer nun also selbst "umfassend" oder "grundsätzlich" regeln würden, dann müssten sie sich gleichsam an die Stelle des Gesetzgebers setzen. Was sie, schon wegen der vorhersehbaren Kritik aus Berlin, ungern tun.

Es gibt freilich eine Variante, auf die nahezu die gesamte Welt der Steuerfachleute hofft: Weitgehende Streichung der Ausnahmen bei gleichzeitiger Absenkung der Steuersätze. Das wäre ein Systemwechsel weg vom derzeitigen Konzept der Verschonung und Privilegierung bestimmter Unternehmen. Dass die Richter selbst per Vollstreckungsanordnung einen solchen Systemwechsel anordnen, dürfte aber unwahrscheinlich sein. Auch wenn sie ihn vielleicht für sehr vernünftig hielten.

Vermutlich erwarten die Richter aber, dass all dies gar nicht notwendig sein wird. 2012 war der Gesetzgeber schon einmal säumig, damals ging es um die rückwirkende Gleichbehandlung homosexueller Paare bei der Grunderwerbsteuer. Vizepräsident Ferdinand Kirchhof schickte einen Brief nach Berlin, in dem er ein Gesetz bis zum 18. Juni anmahnte - woraufhin es dann doch ganz schnell ging.

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