Entscheidung in Karlsruhe:Bundesverfassungsgericht billigt Deals im Strafprozess

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Absprachen in Strafprozessen sind umstritten. Nun erlaubt das Bundesverfassungsgericht sogenannte Deals - unter einer Bedingung: Richter und Staatsanwälte sollen sich stärker an Recht und Gesetz halten. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger begrüßt das Urteil, sieht jedoch immer noch Handlungsbedarf.

Das Bundesverfassungsgericht hat die umstrittene Regelung zum sogenannten Deal im Strafprozess grundsätzlich gebilligt. Allerdings müssten sich Richter und Staatsanwälte bei solchen Absprachen stärker an Recht und Gesetz halten. Bislang bestehe ein "erhebliches Vollzugsdefizit".

Bei Absprachen stellt das Gericht einem Angeklagten im Normalfall eine mildere Strafe in Aussicht für den Fall, dass er ein Geständnis ablegt. Solche Deals sind für die Verfassungsrichter nur dann gültig, wenn die Transparenz gewährleistet ist und die Entscheidung dokumentiert wird.

Die Verfassungsrichter kritisierten, dass sich die gerichtliche Praxis "in erheblichem Umfang" über die gesetzlichen Regelungen aus dem Jahr 2009 hinwegsetze. Sollte sich das nicht ändern, drohe ein verfassungswidriger Zustand: "Der Gesetzgeber muss die weitere Entwicklung sorgfältig im Auge behalten."

Mit der in Karlsruhe verkündeten Entscheidung hob der Zweite Senat zugleich die Strafurteile gegen drei Beschuldigte auf. Die drei Männer, die vor das Verfassungsgericht gezogen waren, hätten kein faires Verfahren bekommen. Die Fälle müssen deshalb neu aufgerollt werden.

"Gelbe Karte" für die gängige Praxis

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte, das Verfassungsgericht habe der gängigen Praxis die "gelbe Karte" gezeigt und eine Einhaltung geltenden Rechts angemahnt. Die FDP-Politikerin deutete für die Zukunft schärfere gesetzliche Regelungen an. Das Urteil sei eine Einladung an den Gesetzgeber, sich Gedanken darüber zu machen, wie "das Korsett für eng eingegrenzte Absprachen noch besser geschnürt werden kann". Dies werde "mit Sicherheit" ein Thema der nächsten Legislaturperiode.

Grüne und Linke nannten es einen "Skandal", dass sich viele Richter bislang nicht an geltendes Recht halten. Während der Grünen-Rechtspolitiker Jerzy Montag nun die Justiz in einer Bringschuld sieht, forderte der Linken-Rechtspolitiker Jens Petermann eine Überarbeitung des bestehenden Gesetzes. Dieses sei handwerklich schlecht gemacht.

Viele Absprachen am geltenden Recht vorbei

Einer für die Verfassungshüter erstellten Studie zufolge kommt es in bis zu einem Drittel aller Strafverfahren zu Absprachen. Erschreckend ist dabei, dass knapp 60 Prozent der befragten Richter an Amts- und Landgerichten einräumten, mehr als die Hälfte ihrer Absprachen am geltenden Recht vorbei "informell" und damit illegal vorgenommen zu haben. Als Hauptgrund gaben die Richter an, das Gesetz zum Deal sei nicht praxistauglich. Zudem könnten durch informelle Absprachen Arbeitsüberlastung und langwierige Beweisaufnahmen vermieden werden.

© Süddeutsche.de/afp/dpa/anri - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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