Entschädigungszahlungen:Neunzehn Dollar pro Jahr

Der finanzielle Beitrag eines jeden Deutschen für die Entschädigung von NS-Opfern ist überschaubar. Der moralische Gewinn aber ist immens.

Daniel Brössler und Robert Probst

Die sogenannte Wiedergutmachung ist ein heikles Thema. Seit Jahrzehnten ertönt immer wieder der Ruf nach einem "Schlussstrich" bei der Entschädigung von NS-Opfern. Bislang hat die Bundesrepublik mehr als 66 Milliarden Euro für Menschen in aller Welt gezahlt, die während der Diktatur der Nazis im KZ, Ghetto, Zuchthaus oder als Zwangsarbeiter gelitten haben. Der Großteil der Zahlungen ist abgeschlossen, doch auch weiterhin wird für noch lebende NS-Opfer Geld aus der Staatskasse verteilt. Dies gilt vor allem für laufende Rentenzahlungen, das Bundesfinanzministerium rechnet daher mit einem weiteren zweistelligen Milliardenbetrag.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erkannte die Bundesregierung schnell, dass sie vor allem wegen des Menschheitsverbrechens des Holocaust nicht nur moralische Gesten der Wiedergutmachung leisten durfte. Mit dem neu gegründeten Staat Israel verabredete Kanzler Konrad Adenauer im Jahr 1952 eine Pauschalzahlung in Höhe von drei Milliarden Mark, die Jewish Claims Conference, ein Interessenverband nicht in Israel lebender Juden, erhielt 450 Millionen Mark. Auch mit anderen westlichen Staaten schloss Deutschland sogenannte Globalabkommen. Das Geld konnten die jeweiligen Regierungen nach eigenen Regeln für die Entschädigung der NS-Opfer einsetzen. Da das Geld nie ausreichte, um den traumatisierten Überlebenden einen neuen Anfang zu ermöglichen, wurden über die Jahre immer wieder neue berechtigte Forderungen erhoben.

Das Bundesentschädigungsgesetz von 1953 sollte Haftzeiten, Gesundheitsschäden und "erlittene Nachteile" in Form von Einmal- oder fortlaufenden Rentenzahlungen ausgleichen. 4,38 Millionen Anträge wurden gestellt, nur zwei Millionen wurden positiv beschieden. Gerecht ging es auch nicht immer zu: Experten schätzen, dass mehr als die Hälfte dieses Geldes an weniger als ein Drittel der Empfänger ausgezahlt wurde, vor allem an Deutsche und solche NS-Opfer, die dem deutschen Sprach- und Kulturkreis zugerechnet werden. Andere Opfergruppen wurden ganz vergessen - es gab ja auch zahllose deutsche Kriegsopfer, Vertriebene und Flüchtlinge - oder erst Jahrzehnte später entschädigt, wie etwa die osteuropäischen Zwangsarbeiter oder Juden, die in Ghettos freiwillig gearbeitet hatten.

Ursprünglich hielt sich die Bundesrepublik auch nur für Holocaust-Opfer im Westen für zuständig. Adenauer vertrat die Auffassung, für Entschädigungszahlungen an Menschen im Ostblock sei die DDR gefordert, die als das "antifaschistische" Deutschland freilich gar nicht daran dachte, diese Verantwortung zu übernehmen. Wer zu spät als Flüchtling aus Osteuropa in den Westen kam und bestimmte Fristen verpasste, ging ebenfalls leer aus. 1980 gab die Bundesregierung schließlich dem Drängen der Claims Conference nach und richtete den Hardship Fund ein, der die Zahlung zumindest einer einmaligen Hilfe ermöglichte. Bis heute erhalten die aus Osteuropa in die USA ausgewanderten Holocaust-Überlebenden jeweils 2556 Euro aus diesem Fonds. Das Geld kommt aus Deutschland, verwaltet wird der Fonds aber von der Claims Conference in New York.

Ein weiterer Fonds wurde nach der deutschen Einheit geschaffen, um osteuropäischen Holocaust-Überlebenden mit einer monatlichen Beihilfe das Leben erträglicher zu machen. Er nennt sich Artikel-2-Fonds, weil er in Artikel 2 der Durchführungsvereinbarung zum Einigungsvertrag von 1990 verankert ist. Die Bundesregierung hatte sich dort bereiterklärt, mit der Claims Conference "Vereinbarungen über eine zusätzliche Fondslösung zu treffen, um Härteleistungen an die Verfolgten vorzusehen, die nach den gesetzlichen Vorschriften der Bundesrepublik Deutschland bisher keine oder nur geringfügige Entschädigungen erhalten haben". Im Ergebnis erhalten derzeit 52.137 Menschen in 53 Ländern Beihilfen. Gezahlt wurden bislang 2,4 Milliarden Euro.

Die Claims Conference verhandelt jedes Jahr mit dem Finanzministerium über weitere Mittel für die Pflege hochbetagter NS-Opfer, um diesen einen Lebensabend in Würde zu ermöglichen.

Der Publizist Raul Teitelbaum hat einmal ausgerechnet, was die Entschädigung jeden Bundesbürger gekostet haben mag. "Im Laufe von mehr als 50 Jahren entfielen auf jeden Deutschen alles in allem umgerechnet 984 US-Dollar. Das sind 19 Dollar pro Jahr und 1,60 Dollar pro Monat, weniger als ein Glas Bier. Man kann also schlecht behaupten, dass der Preis, den die Deutschen aus eigener Tasche entrichten mussten, ein finanzielles Opfer darstellte, zumal Deutschland für dieses Taschengeld die ,moralische Eintrittskarte' für die Völkergemeinschaft erhielt."

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