Entführungen:Was für eine Entscheidung

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Wenn Erpresser Lösegeld von einem Staat verlangen, dann stehen Politiker vor einer ihrer undankbarsten Aufgaben überhaupt. Eine generelle Handlungsanweisung, was sie dann zu tun haben? Die gibt es nicht.

Von Tomas Avenarius

Helmut Schmidt setzte immer auf die klare Ansage: "Tötung einzelner Menschen muss hingenommen werden", sagte der Kanzler, als palästinensische Terroristen 1977 die "Landshut" entführten und für das Leben von Besatzung und Passagieren die Freilassung ihrer in Stammheim einsitzenden RAF-Gesinnungsgenossen einforderten. Schmidt hielt sich an seine Maxime - der Staat darf sich nicht erpressen lassen. Das Ende des Schleyer-Landshut-Stammheim-Dramas ist bekannt, es gab eine Menge Tote.

Der Staat hatte sich damals von den Polit-Kriminellen nicht nötigen lassen, Schmidts Vorgehen war richtig. Dass er hart geblieben war, dürfte aber keine einzige spätere Entführung deutscher Bürger verhindert haben - ob im Irak, in Jemen oder in Afghanistan. Terroristen meinen, immer zu gewinnen: Entweder sie setzen sich durch oder sie feiern mit einer Bluttat Aufmerksamkeitserfolge.

Es gibt keine generelle Linie im Umgang mit Erpressern

Der Fall des gerade auf der kleinen Philippineninsel Jolo von Islamisten ermordeten deutschen Seglers Jürgen K. führt daher das klassische moralische Dilemma von Politik vor: Was geht vor, das Leben eines Einzelnen oder die Staatsräson? Die Frage steht für die Gewissensnöte, in die Politiker geraten, wenn das nackte Leben eines Bürgers in ihrer Hand liegt. Und sie steht für das blanke Entsetzen der Opfer, die bis zum allerletzten Moment auf die Mitmenschlichkeit der Entscheider hoffen. Die Antwort auf die Frage ist einfach und unbefriedigend: Es gibt keine Handlungsanweisung im Umgang mit politischen Erpressern. Nur der Einzelfall zählt.

Der deutsche Segler etwa war in verantwortungsloser Risikobereitschaft auf einem von Piraten verseuchten Meer unterwegs, die Lebensgefährtin mit an Bord. Die beiden waren schon Jahre früher vor Somalia Seeräubern in die Hände gefallen, sie hatten nur mit Glück, nach langem Leiden und nach einer Lösegeldzahlung überlebt. Anschließend hatten sie über ihre Geiselhaft gesagt: "Nie wieder, eher erschießen wir uns selbst." Dann segelten sie wieder in Piratengewässern, jetzt sind sie wirklich tot. Die Frau wurde beim Überfall der Abu-Sayyaf-Piraten erschossen, der Mann später vor der Kamera enthauptet. Wegen 600 000 Euro nicht gezahlten Lösegeldes.

Hat Berlin verhandelt? Wenn ja, hätte der philippinische Präsident Duterte einen Deal zugelassen? Er will Abu Sayyaf "vernichten und zerstören"; Lösegeld, das die Kriegskasse der Militanten füllt, lag nie in seinem Interesse. Fraglos haben selbst Hasardeure wie diese Segler ein Recht auf staatlichen Schutz. Und wenn andere in Krisengebieten verschleppt werden: Diplomaten, UN-Mitarbeiter, Vertretern von Hilfeorganisationen, Journalisten? Sie sind nicht wegen des Kicks dort, sondern aus Verantwortungsbewusstsein. Ihnen muss geholfen werden. Dennoch gibt es Gründe, es zu lassen; al-Qaida etwa finanziert seinen Terror durch Kidnapping. Dann über Leben und Tod zu entscheiden - und genau das ist es -, gehört zu den unangenehmsten Aufgaben von Politikern.

© SZ vom 01.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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