Entführte Blauhelme in Syrien:"Das UN-Mandat ist zu schwach"

Daniel Soudek, UN-Soldat, von April bis Juli 2014 auf den Golanhöhen im Einsatz

Daniel Soudek bei seinem Einsatz in Syrien.

(Foto: privat)

Seit einer Woche befinden sich 45 UN-Soldaten auf den Golanhöhen in der Hand von Rebellen der Al-Nusra-Front. Wie gefährlich sind die Blauhelmeinsätze an der syrisch-israelischen Grenze? Fragen an Daniel Soudek, der dort im vergangenen Jahr als österreichischer Blauhelmsoldat im Einsatz war.

Von Luisa Seeling

Seit 40 Jahren überwacht die UN-Mission UNDOF die Grenze zwischen Syrien und Israel auf den Golanhöhen. Mit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs hat sich die Sicherheitslage für die Blauhelmsoldaten verschärft. Vergangene Woche haben Kämpfer der Al-Nusra-Front mehr als hundert UN-Soldaten eingekesselt. 72 philippinische Blauhelme wurden am Wochenende befreit, 45 Soldaten aus Fidschi werden weiter als Geiseln gehalten. Daniel Soudek war im vergangenen Jahr als österreichischer Blauhelmsoldat auf den Golanhöhen im Einsatz.

SZ.de: Herr Soudek, hat es Sie überrascht, dass auf den Golanhöhen UN-Soldaten entführt worden sind?

Daniel Soudek: Ich war bestürzt, aber nicht überrascht. Ich hatte mir schon gedacht, dass bald wieder etwas passieren könnte.

Ist unter den entführten Soldaten jemand, den Sie persönlich kennen?

Nein. Die haben seit meinem Einsatz wieder gewechselt.

Österreich hat seine Soldaten vergangenes Jahr von der Mission abgezogen, weil die Sicherheitslage zu heikel wurde.

Damals wurde das Bravo-Gate (ein Kontrollposten auf der syrischen Seite; Anm. d. Red.) an einer unserer Hauptverkehrsstrecken zum Flughafen in Israel angegriffen. Auch auf den wichtigen Verbindungswegen konnte die Sicherheit nicht mehr gewährleistet werden.

War diese Entscheidung richtig?

Es war eine rein politische Entscheidung, keine militärische. Die Nationalratswahlen standen an, das könnte mit hineingespielt haben. Aber Fakt ist auch, dass das UN-Mandat zu dieser Zeit nicht mehr an die Lage vor Ort angepasst war. Es war zu schwach.

Was meinen Sie damit?

Es fehlte an Schutzausrüstung und einer stärkeren Bewaffnung. Die UN haben es versäumt, dafür zu sorgen, dass die jeweiligen Truppen die von ihnen benötigte Ausrüstung nach Syrien mitnehmen darf - stärker gepanzerte Fahrzeuge, eventuell Maschinengewehre, natürlich nur zum Selbst- und Eigenschutz. Wir hatten zum Beispiel auf der israelischen Seite einen Sanitätspanzer, den durften wir nicht nach Syrien bringen. Das Mandat ist leider erst nach Abzug der Österreicher gestärkt worden.

Reicht es so, wie es derzeit gestaltet ist, aus? Sind die UN-Soldaten auf den Golanhöhen hinreichend geschützt?

Nein, leider nicht. Das liegt zum einen an der finanziellen Ausstattung der Mission, zum anderen daran, dass die entsprechende Ausrüstung nicht ins Land gebracht werden darf. Und was die Entführungen angeht: Dieses Risiko ist permanent, und selbst wenn die Ausstattung der Soldaten besser wird, bleibt es bestehen, fürchte ich.

Ist die Situation heute gefährlicher als während Ihres Einsatzes?

Ich würde sagen: unverändert. Es war schon vor 2013 gefährlich. Ich selbst habe in meiner Einsatzzeit von April bis Juni 2013 zwei Entführungen von UN-Soldaten erlebt. Im Mai wurden drei unbewaffnete UN-Beobachter entführt und zum Glück nach fünf Stunden wieder freigelassen. Auch im Mai wurden vier philippinische UN-Soldaten durch die Jarmuk-Märtyrerbrigaden entführt und sind unversehrt wieder freigelassen worden.

Dass nun so viele Soldaten auf einmal eingekesselt und dann entführt wurden, hat natürlich die öffentliche Aufmerksamkeit erregt.

Die Schwierigkeit ist, dass es aufgrund des syrischen Bürgerkriegs nicht mehr nur zwei Konfliktparteien gibt, zwischen denen die UN-Soldaten stehen. Auch innerhalb der Konfliktparteien gibt es verschiedene Gruppierungen. Es gibt keine geeinte Opposition gegen Assad, sondern verschiedene Rebellengruppen. Das macht den Einsatz schwieriger.

Sollte die UN-Mission angesichts des Bürgerkriegs verstärkt werden?

Die Frage ist ja: Wenn wir mit mehr Mann oder mehr Ausrüstung anrücken, wirkt das dann deeskalierend oder eskalierend? Es gibt zurzeit so viele Akteure und unklare Interessen.

Sind Sie während Ihres Einsatzes beschossen worden?

Das Fahrzeug meines Kommandanten ist beschossen worden. Ich selbst bin nicht in Situationen geraten, die ich als gefährlich einstufen würde. Wenn ich mit einer Waffe bedroht wurde, konnte ich das durch Verhandlungen lösen. Darum ist es ja so wichtig, dass man die Landessprache kann.

Sie waren der einzige Soldat des österreichischen Kontingents auf dem Golan, der Arabisch sprechen konnte. Ist das nicht ein bisschen wenig für einen Einsatz, der in einem arabischsprachigen Land stattfindet?

Wir haben in unserem Militär natürlich einige arabische Muttersprachler. Aber die syrische Regierung hatte als sogenannte "Host Nation" Einfluss darauf, wer einreisen darf. Und Muttersprachler durften es oft nicht, aus welchen Ressentiments oder Bedenken auch immer.

Was Nichtmuttersprachler angeht: Ich bin der einzige hauptamtliche Sprachmittler für Arabisch in der österreichischen Armee. Allerdings wird in diesem Bereich inzwischen viel mehr getan als früher. Das Interesse am Arabischen ist enorm gewachsen.

Durften denn vor dem Bürgerkrieg in Syrien arabischsprachige Mitarbeiter einreisen?

In früheren Einsätzen war das nicht notwendig. Man hat sich auf die dort bestehende Infrastruktur verlassen. Es war kein Problem, syrische Sprachmittler zu engagieren, die Deutsch und Englisch konnten. Heute, mit mehr als zwei Konfliktparteien, ist es schwierig, einen syrischen Dolmetscher zu berufen, dem dann die eine oder andere Seite mit Misstrauen begegnet.

Wie sah während Ihres Einsatzes Ihr Arbeitsalltag aus, was waren Ihre Aufgaben?

Ich bin oft mit dem österreichischen Bataillonskommandanten und anderen Kommandanten zu Checkpoints gefahren, die wir nicht mehr passieren durften, obwohl wir von den UN die Berechtigung und das Mandat dazu hatten. Rebellen als auch Regierungstruppen hielten uns auf, da gab es mit Englisch kein Weiterkommen. Meine Aufgabe war es, zu verhandeln und zu vermitteln, damit wir weiterfahren durften und künftig nicht beschossen wurden oder mit Aggressionen rechnen mussten.

Haben Sie auch bei Entführungen verhandelt?

Ja, bei den beiden Entführungen, die in meiner Zeit passiert sind, mussten wir herausfinden, wer verantwortlich ist und wie wir den Kontakt herstellen können. Ich war natürlich nicht allein involviert, das war eine große Maschinerie, die sowohl vor Ort als auch von den UN in New York in Gang gesetzt wurde.

Derzeit verhandeln die UN mit den Entführern der 45 UN-Soldaten. Die Al-Nusra-Rebellen haben gefordert, von der Liste der Terrororganisationen gestrichen zu werden; außerdem wollen sie entschädigt werden für den Tod dreier Kämpfer. Haben diese Verhandlungen aus Ihrer Sicht eine Chance?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Al-Nusra-Front von der Terrorliste gestrichen wird. Man wird wohl versuchen, einen anderen Konsens herzustellen. Die Gefahr ist natürlich, dass die Entführungen zur Mode werden. Eine schwierige Situation für die UN.

Sie meinen: Sobald man nachgibt und Zugeständnisse macht, schafft man Anreize für neue Entführungen?

Genau so ist es. Und man gefährdet die Sicherheit der Leute vor Ort.

Im österreichischen Kontingent der Mission sind im Laufe der fast 40 Jahre 23 Soldaten ums Leben gekommen. Hatten Sie Angst bei Ihrem Einsatz?

Jeder, der als Soldat an so einer Mission teilnimmt, ist sich der Risiken bewusst. Bei uns bestand vor allem die Gefahr, dass es auf unseren Routen plötzlich Granateneinschläge geben konnte oder Verhandlungen eskalieren konnten. Ich war vorbereitet und habe jeden Schritt vorher überlegt: Was kann passieren, wie sieht das Szenario aus, wie reagiere ich dann? Mir war immer sehr präsent, dass das keine Spazierfahrt ist. Aber Angst würde ich es auch nicht nennen. Wir sind ja freiwillig im Einsatz und haben immer - sogar vor Ort noch - die Möglichkeit, zu sagen: Ich will nicht mehr.

Daniel Soudek war im vergangenen Jahr von April bis Ende Juni auf den Golanhöhen stationiert. Der 34-Jährige gehörte zum österreichischen Kontingent der UN-Mission und war als Hauptlehrmeister, Dolmetscher und Sprachmittler im Einsatz. Im Juni 2013 entschied die Regierung Österreichs, ihre Blauhelme von den Golanhöhen abzuziehen. Soudek arbeitet nun wieder als Sprachmittler und Arabischlehrer an der Landesverteidigungsakademie in Wien.

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