Energiepolitik:Warschaus gewieftes Kalkül

EPP Congress in Dublin

Fordert die EU auf, ihre "überzogenen" Klimaziele zu überdenken: Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk.

(Foto: dpa)

Polens Ministerpräsident Tusk warnt: Deutschlands Energiepolitik verhindert eine beherzte Antwort auf Russlands Griff nach der Krim. Für seine Ziele ist ihm der Konflikt ein willkommenes Argument - nur ist es in jeder Hinsicht falsch.

Ein Kommentar von Michael Bauchmüller

Was die Abhängigkeit von russischem Erdgas angeht, ist das Emsland bald fein raus. Ein nicht eben kleines Gaskraftwerk dort, so teilte der Stromkonzern RWE am Dienstag mit, werde den Sommer über eingemottet - wegen der "hohen Einspeisung von Strom aus Photovoltaikanlagen". Sonnenstrom verdrängt Gas: ein kleiner Ausschnitt nur aus dem Energiewendeland Deutschland. Und zugleich ein bemerkenswerter Kontrast zu den jüngsten Äußerungen von Polens Ministerpräsident Donald Tusk.

Deutschlands Energiepolitik, auch seine Abhängigkeit von russischem Gas, erschwere den Europäern eine beherzte Antwort auf Russlands Griff nach der Krim, warnt Tusk neuerdings. Mehr noch: Die EU solle ihre "überzogenen" Klimaziele überdenken, die Europa noch abhängiger vom klimafreundlichen Gas mache. Energiewende und Klimaschutz als Hemmnisse außenpolitischer Handlungsfähigkeit: So wird die Krim zum Kronzeugen reaktionärer Energie- und Klimapolitik.

Tusks Warnungen kommen nicht von ungefähr gerade jetzt. Nächste Woche wollen die Staats- und Regierungschefs der EU voraussichtlich neue Klimaziele verabreden, für die Zeit nach 2020. Polen, das rund 90 Prozent seines Stroms aus Kohle bezieht, hielt von ehrgeizigen Klimazielen nie viel. Der Konflikt auf der Krim, der Streit über Sinn und Ausmaß von Wirtschaftssanktionen, sind ein willkommenes Argument. Nur ist es leider in jeder Hinsicht falsch.

Der erste Fehlschluss liegt in der Abhängigkeit als solcher. Russland, das mehr als die Hälfte seiner Staatseinnahmen mit Energie-Rohstoffen bestreitet, ist von diesen Ausfuhren mindestens so abhängig wie die Europäer von den entsprechenden Einfuhren. Mehr noch: Seit den letzten Gaskrisen 2005 und 2007, seinerzeit ebenfalls rund um die Macht in der Ukraine, hat sich der globale Energiemarkt massiv verändert. Die USA fördern zunehmend ihr eigenes Öl und Gas, dank der umstrittenen Fracking-Technologie. Die Folge dieser "Schiefergas-Revolution": Weltweit ist der Gaspreis gefallen, vermehrt wird verflüssigtes Gas per Tanker verschifft. Das mindert die Abhängigkeit von Pipelines, wie sie etwa Russland mit dem Rest Europas verbinden.

Wer den Verzicht auf Gaslieferungen länger aushält, ist offen: die EU mit gefüllten Gasspeichern am Ende eines milden Winters, oder aber Russland, das seine Gaslieferungen nicht von heute auf morgen nach China umlenken kann, auf die Einnahmen aber angewiesen ist. Wenn solche Sanktionen auf sich warten lassen, dann gewiss nicht der deutschen Energiewende wegen, wie Donald Tusk vermutet.

Die richtige Antwort auf den Konflikt mit Russland lautet: mehr Klimaschutz

Und er verkennt, Fehlschluss Nummer zwei, den doppelten Hebel der Klimapolitik. Einerseits, klar, soll sie helfen, die Erderwärmung zumindest auf ein erträgliches Maß zu begrenzen. Sollten sich die Europäer entschließen, ihre Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 40 Prozent zu senken, dann auch in der Hoffnung auf ein neues, globales Klimaabkommen. Andererseits aber bereitet Klimapolitik die Abkehr von einem ressourcenfressenden Lebens- und Wirtschaftsstil vor - und sorgt so implizit auch für mehr Unabhängigkeit von Rohstoffimporten.

Die richtige Antwort auf den Konflikt mit Russland wäre deshalb nicht weniger, sondern sogar mehr Klimaschutz. Wer wirklich die Abhängigkeit von Gas und Ölimporten reduzieren will, der muss Rohstoffe dort einsparen, wo sie am meisten verbraucht werden. Die Sanierung von Gebäuden, der effiziente Einsatz von Energie in der Industrie, letztlich auch Elektromobilität: Nur damit entsteht jene Souveränität Europas im Umgang mit Russland, die Tusk durch die deutsche Energiepolitik in Gefahr sieht.

Das Gleiche gilt für den Umbau der Stromversorgung. Denn wirtschaftliche Abhängigkeit ist immer auch ein Ergebnis von Pfadentscheidungen: Wer Strom nur durch die Erzeugung von Dampf in Kraftwerken erzeugt, der ist auch auf Brennstoffe angewiesen und umgekehrt. Nur braucht es Zeit, solche Pfade zu verlassen - und verlangt nach Entscheidungen jetzt. Nicht nur in Deutschland.

Polen, ganz klar, geht seinen eigenen Weg. Nach wie vor steht dort der Bau eines Atomkraftwerks im Raum, und die Unabhängigkeit von Energieimporten will Warschau ebenfalls durch Schiefergas erlangen, trotz aller Widerstände im Land gegen das Fracking. Das heimische Gas soll zunehmend die heimische Kohle ersetzen. Dabei müssten die Polen selbst wissen, wie schnell Unabhängigkeit in Abhängigkeit umschlagen kann. Noch zu Beginn der Achtziger zählte das Land zu den größten Steinkohle-Exporteuren der Welt. Inzwischen importiert es mehr, als es ausführt: überwiegend aus Russland.

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