Energiepolitik:Konfusion um die Kernfusion

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel will den Abschied Deutschlands vom internationalen atomaren Forschungsprojekt Iter "ins Auge fassen". Oder nicht? Oder doch?

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Unter den großen Unbekannten der Zukunft ist die teuerste vermutlich derzeit die Kernfusion. Wäre es möglich, die Atomkerne zu verschmelzen, dann könnte das eine ganz neue Energiequelle freilegen, Strom und Wärme satt für die ganze Welt. Nur ähnelt die Forschung daran bisher eher einem schwarzen Loch: Für mehr als 15 Milliarden Euro entsteht im südfranzösischen Cadarache derzeit der Versuchsreaktor Iter. Mehrere Nationen sind beteiligt, es ist eins der größten Forschungsprojekte der Welt. Gelingt das Vorhaben, könnte bis 2050 ein erster kommerzieller Fusionsreaktor ans Netz gehen. 2050: Dann sollen in Deutschland erneuerbare Energien weite Teile der Energieversorgung übernommen haben.

Ob Energiewende und Fusionsenergie überhaupt zusammenpassen, das sollte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel am Mittwoch im Bundestag darlegen, die Grünen hatten kritische Fragen dazu. Seit Gabriels Antwort gibt es noch ein weiteres Rätsel rund um die Kernfusion.

Denn der Sozialdemokrat schloss sich der Grünen-Kritik an. Beim Iter sei Deutschland an völkerrechtliche Verträge gebunden, erklärte Gabriel der Grünen-Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl. "Wir haben 2017 zum ersten Mal die Möglichkeit, aus dem Programm auszusteigen", sagte er, und dann: "Ich finde, Sie haben gerade kluge Argumente genannt, warum man das ins Auge fassen sollte." Das Geld solle besser für Forschung verwendet werden, die Deutschland nutze. "Das wird bei der Kernfusionsforschung nicht mehr möglich sein, jedenfalls dann nicht, wenn wir die Energiewende konsequent zu Ende führen." Kotting-Uhl, seit Langem engagiert gegen die Fusions-Vorhaben, traute ihren Ohren nicht. "Endlich kommt auch die Bundesregierung zur Einsicht", sagt sie nun. Jetzt müsse sie endlich handeln.

Das Forschungsministerium widerspricht: Deutschland kann gar nicht aussteigen

Nur: Wie er aussteigen will, das verriet Gabriel nicht, er verrät es auch nicht auf Nachfrage. Stattdessen gibt das Forschungsministerium Antwort, das bei der Energieforschung ebenfalls mitredet. Zwar gebe es tatsächlich im Jahr 2017 die Möglichkeit, aus der Projekt-Förderung auszusteigen - aber nicht für die Europäer. Alle anderen Staaten, also China, Indien, Japan, Russland, Südkorea, die USA, könnten dann abspringen. "Dass diese Option für Euratom nicht besteht, trägt der besonderen Verantwortung Rechnung, die Euratom aufgrund des Baus von Iter in Europa trägt", heißt es im Forschungsministerium. Obendrein ist Deutschland selbst nicht Vertragspartner, sondern eben das EU-Bündnis Euratom. Die Mittel für das Projekt, das mit Verzögerungen und steigenden Kosten kämpft wie der Hauptstadtflughafen BER, fließen nicht aus den Haushalten der Mitgliedstaaten, sondern direkt aus Brüssel. Auch das ist zwischen den Europäern fix vereinbart. Und an die Verpflichtungen des Euratom-Vertrags, so versichert auch das Wirtschaftsministerium, werde man sich natürlich halten. Was aber ist nun mit 2017 und dem ins Auge gefassten Ausstieg?

Am Mittwoch, bevor Gabriel im Bundestag so klare Worte fand, beschäftigte sich auch das Bundeskabinett mit der Energieforschung. Ein 48-seitiger Bericht lag den Ministern vor, Gabriels Wirtschaftsministerium hatte ihn verfasst. Schon angesichts einer steigenden Energienachfrage in Zeiten des Klimawandels, so steht da zu lesen, wolle sich Deutschland alle Optionen offenhalten. "Die Bundesregierung unterstützt deshalb weiterhin den Bau des Iter."

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