Energiedebatte:Atom war gestern

Der Kampf für Krümmel und Kernkraft ist eine Schlacht der Vergangenheit. Dennoch klammert sich die Union krampfhaft daran. Doch die Gegenwart könnte die Partei überholen.

Michael Bauchmüller

Zukunft ist ein großes Wort. Insgesamt 107-mal taucht es in der einen oder anderen Zusammensetzung im Wahlprogramm der CDU auf. Zukunft ist, was Wähler erwarten, für sich und für ihr Land. Doch bei einem der großen Zukunftsthemen überhaupt, der Versorgung mit klimafreundlicher und bezahlbarer Energie, klammert sich die Union krampfhaft an eine Technologie von gestern: die Kernkraft.

AKW Biblis, dpa

Kernkraftwerke in der Kritik: Nach Pannenserie im AKW Krümmel ist auch Biblis als ältestes deutsches Atomkraftwerk wieder in die Diskussion geraten.

(Foto: Foto: dpa)

Wie eh und je fordert sie ein möglichst langes Leben für die deutschen Atomkraftwerke, unbeeindruckt von immer neuen Pannen beim Atomkonzern Vattenfall. Und den ersten Unionsstrategen schwant: Die Gegenwart könnte die Partei überholen.

Die Gründe dafür sind gesellschaftlicher, aber mittlerweile auch technischer Natur. Die Mehrheit der Deutschen hat ihren Frieden mit der Kernkraft nie geschlossen. Im besten Fall war die Form der Stromerzeugung den Deutschen egal, solange sie funktionierte. Doch Gleichgültigkeit ist auch nur eine Form geborgten Vertrauens. Bei keiner anderen Technologie legen so viele Menschen gleichzeitig ihr Schicksal in die Hände weniger anderer wie bei der Atomkraft.

Konflikt zwischen erneuerbarer und konventioneller Elektrizität

Der Aufschrei, den der Zwischenfall im Vattenfall-Meiler Krümmel ausgelöst hat, ist Zeugnis enttäuschten Vertrauens bei den einen, tiefen Argwohns bei den anderen. Noch einmal eine Mehrheit für die Kernkraft in Deutschland zu organisieren, ist nahezu unmöglich - schon angesichts der Alternativen.

Denn der Strommix verändert sich schneller, als die meisten Experten erwartet hätten. Im Jahr 2000, als Rot-Grün den schrittweisen Ausstieg aus der Kernkraft besiegelte, speisten Windräder und Wasserkraftwerke gut sieben Prozent des deutschen Stroms ein. Neun Jahre später ist es doppelt so viel. Bis 2022, wenn das letzte Kernkraftwerk vom Netz gehen soll, dürfte es fünfmal so viel sein, vorsichtig geschätzt. Längst wächst im Stromnetz ein ernsthafter Konflikt heran: der zwischen erneuerbarer und konventioneller Elektrizität.

Konventioneller Strom ist sturer Strom. Atom-, aber auch Kohlekraftwerke erzeugen mit hohen Temperaturen Dampf und betreiben damit Turbinen. Diese Turbinen liefern stetig und wenig flexibel ihren Strom. Nur passt das so gar nicht zum Strom aus Wind und Sonne, der mit Tages- und Nachtzeiten, mit Wind und Wetter schwankt. Immer stärker drängt er in das deutsche Netz: sauberer Strom, ohne teure Brennstoffe hergestellt, massenhaft verfügbar.

Soll er tatsächlich zum Rückgrat der deutschen Stromversorgung werden, dann braucht niemand mehr die Kernkraft. Dann braucht es vor allem flexible, dezentrale Kraftwerke, die immer dann ans Netz gehen, wenn kein Ökostrom zur Verfügung steht. Die auch die Heizwärme einspeisen und so die Energie effizienter nutzen. Clevere Unternehmen investieren in solche Gaskraftwerke. Deutschlands Stromkonzerne dagegen hoffen auf eine Zukunft für Atommeiler.

Entzauberte Wunderwaffe

Doch diese Zukunft ist 30, 40 Jahre alt. Einst versprach sie eine unabhängige, verlässliche Stromversorgung. Die Kernkraft galt als allzeit beherrschbar, als Wunderwaffe mit Exportpotential. Heute ist sie entzaubert durch Störfälle, der Traum von der günstigen Entsorgung nuklearen Mülls lagert in den einsturzgefährdeten Kammern des Salzstocks Asse II. Der Exporterfolg der Kernkraft findet vor allem in Verlautbarungen der Industrie statt, die eine Atom-Renaissance glauben machen will, die es nicht gibt. Wo in der westlichen Welt tatsächlich neue Kernkraftwerke gebaut werden, da nur zum Preis immenser Garantien seitens der Hersteller oder ihrer Heimatstaaten. Von Zukunft keine Spur.

Sie findet woanders statt. Etwa bei jenen deutschen Unternehmen, die mit dem Wüstenstrom-Projekt Desertec massenhaft Solarstrom aus der Sahara nach Europa bringen wollen - und ihre Partnerschaft an diesem Montag eingingen. Oder auch bei jenen Staaten, die gleichzeitig Verträge über den Bau einer neuen Pipeline schlossen, um Erdgas aus dem kaspischen Raum direkt und verlässlich nach Europa zu bringen.

Industriepolitisch haben Ökoenergien und effiziente Kraftwerke der Kerntechnik längst den Rang abgelaufen. Es gibt unter den großen Industrienationen keine einzige, die einer sauberen und zugleich risikoarmen Stromerzeugung so nahe ist wie Deutschland. Als Koalitionspartner hat die Union dies mitgetragen. Sollte sie sich aber durchsetzen, sollte sie Atom-Laufzeiten pauschal verlängern, würde sie diesen Wandel unterminieren.

Den "breiten Energiemix", von dem die Union seit Jahren träumt, wird sie nicht mehr bekommen. Denn diese Harmonie zwischen Kohle, Atom und erneuerbaren Energien funktioniert nur, solange letztere schwach sind. Das aber ist bald vorbei. Rasant fallende Preise, technischer Fortschritt, mehr Anstrengungen für den Klimaschutz: Vieles spricht für Erneuerbare, wenig für Atom und Kohle - übrigens auch von einem ethischen Standpunkt aus. Eine Stromversorgung, die gegenwärtige Generationen und deren Wohlstand begünstigt, künftige aber belastet mit Kohlendioxid und Atommüll, kann effizienten, erneuerbaren Energieformen nur unterlegen sein. Der Kampf für Krümmel und Kernkraft - er ist eine Schlacht der Vergangenheit.

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