Ende des Zweiten Weltkrieges:Kriegsende im Kinderland

Ende des Zweiten Weltkrieges: Cornelia Schmalz-Jacobsen in München 2012

Cornelia Schmalz-Jacobsen in München 2012

(Foto: Robert Haas)

Sowjetsoldaten kamen als Befreier und wurden zu Freunden: Die frühere FDP-Politikerin Cornelia Schmalz-Jacobsen hat den "Russensommer" 1945 in guter Erinnerung - weil sie als Kind keine Gewalt erfahren hat.

Rezension von Robert Probst

Der Sommer war lang und heiß. Eine Art neuer Freiheit wehte durch das Land. "Ich war ungeheuer neugierig auf alles, was jetzt auf uns zukommen würde, auf die russischen Soldaten und ein Leben ohne die Nazis." So schreibt es die einstige FDP-Politikerin Cornelia Schmalz-Jacobsen in ihren Erinnerungen.

Ungewöhnlich daran ist zweierlei: Die Autorin erinnert sich hier an eine Zeit, die zwischen ihrem neunten und elften Geburtstag spielt, und sie erinnert sich an Befreier, die aus dem Osten kamen.

Das ist durchaus legitim, weil es ja auch stimmt, dass die Rote Armee bis zum Mai 1945 die Hauptlast bei der Niederringung des sich erbittert wehrenden NS-Staates getragen hat. Und doch mutet das Buch seltsam an in Zeiten, in denen wegen Putins Verhalten und der Krim-Annexion stark und erbittert über die Haltung der Deutschen zu Russland gerungen wird.

Vordergründig geht es um die Erlebnisse der jungen Cornelia, die 1943 aus dem stark bombardierten Berlin zu ihrem Onkel aufs Land geschickt wird, zunächst noch eine Gegend fern allen Krieges - auf den Darß an der Ostsee.

Cornelia Schmalz-JacobsenRussensommer Meine Erinnerungen an die Befreiung vom NS-Regime

Cornelia Schmalz-Jacobsen: Russensommer. Meine Erinnerungen an die Befreiung vom NS-Regime. C. Bertelsmann-Verlag München 2016, 224 Seiten, 19,99 Euro. E-Book: 15,99 Euro.

Da trifft man auf eine nassforsche Stadtgöre, die sich als "Kinderlandverschickte" erst ans Landleben gewöhnen muss. Und man lernt ein recht "erwachsenes" Kind kennen, dessen Eltern gegen die Nazis sind, die Juden verstecken, und offen mit ihrem Kind darüber sprechen. "Ich war ein folgsames Antinazikind", ist ein typischer Satz.

Was ihr dagegen nur am Rande erwähnenswert erscheint: Auch auf dem Land regieren die Nazis, auch beim Onkel sind polnische "Fremdarbeiter" im Dienst, doch die sind einfach Teil des "bunten Haufens" der Hofgemeinschaft.

Schmalz-Jacobsen spricht von "dunklen Flecken" im "Kinderparadies". Und als die Front näher rückt und die Angst vor den gewalttätigen Sowjetsoldaten umgeht - da dekretiert der Onkel einfach: Wir lernen jetzt Russisch.

Die Kinder spielen bald das Spiel "Frau, komm"

Und als die Russen dann da sind, da freundet sich die kleine Cornelia mit einem Soldaten an, der sie auf den netten Steppenpferden reiten lässt. Zwar spielen die Kinder bald das Spiel "Frau, komm" und Berichte von Vergewaltigungen machen die Runde.

Ältere Mädchen verstecken sich, betrunkene Russen treten auf - doch im persönlichen Umfeld auf dem Darß, da scheitern alle Vergewaltigungsversuche. In dieser Welt gibt es keine "gewalttätigen Bestien und Vergewaltiger", nur kinderliebe Russen und Befreier.

Natürlich erwähnt Schmalz-Jacobsen die "unfassbare Zahl" von geschätzt zwei Millionen Vergewaltigungen durch russische Soldaten im besetzten Deutschland und auch die vielen "Russenkinder", die 1946 geboren wurden. Aber ihre persönliche Sicht auf den "Russensommer" soll all das nicht trüben.

Dass sie als Kind die Besatzung als Befreiung erlebte, zeugt aber auch im Nachhinein von erstaunlicher Reflexionsfähigkeit. Immerhin wurde ihr bald klar, dass dieses Gefühl der Freiheit nicht von Dauer war.

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