Ende des Atom-Boykotts:"Nukleare Morgenröte" in Indien

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Die Atom-Exportstaaten heben ihren Boykott gegen Indien nach 35 Jahren auf. Die indische Regierung feiert die Entscheidung wie einen Triumph.

P. Krüger und O. Meiler

Indien darf künftig wieder mit Atomtechnik beliefert werden. Darauf hat sich die 45 Staaten umfassende Gruppe der Exportländer, die Nuclear Suppliers Group (NSG), nach zähen Verhandlungen am Samstag in Wien geeinigt. Beantragt hatten die Ausnahme von den strikten Exportbeschränkungen die USA, die 2006 ein bilaterales Kooperationsabkommen mit Indien geschlossen hatten, das die Regierung nun dem Kongress zur Abstimmung vorlegen kann.

In den Straßen der Stadt Ahmadabad in Indien feiert die Bevölkerung den Stomdeal mit den USA. (Foto: Foto: AP)

US-Außenministerin Condoleezza Rice nannte die Vereinbarung "einen großen Schritt" für die Beziehungen mit Indien und für die Politik der Nichtverbreitung von Atomwaffen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) begrüßte es, dass es Deutschland gelungen sei, in der Genehmigung "dem Ziel der Nichtverbreitung breite Berücksichtigung zu verschaffen". Deutschland sitzt der NSG zurzeit vor.

Die indische Regierung und die Medien im Land feiern die Entscheidung wie einen Triumph und eine Befreiung aus 35-jähriger Isolation. In Delhi gab es Feuerwerk und Süßigkeiten umsonst, offeriert von der regierenden Kongresspartei, die bisher die bald auslaufende Legislaturperiode ganz an dem Nuklearabkommen mit den Amerikanern ausgerichtet hatte. Als großer Sieger steht Indiens Premier Manmohan Singh da, der selbst dann noch stur auf dem Deal beharrte, als seine Regierungskoalition vor einigen Monaten daran zerbrach.

Singh hat jetzt ein neues Bündnis und neue Hoffnung für die kommenden Wahlen. Nach Umfragen hält eine Mehrheit der Inder den Atomdeal für einen Segen für das Land, 40 Prozent der Befragten denken, die Kongresspartei werde davon profitieren. Die Regierung beteuert, Indiens Wirtschaft brauche dringend mehr Energie. In den großen Städten fällt der Strom ständig aus; in vielen ländlichen Gebiete gibt es keinen.

"Neue nukleare Weltordnung"

Die Hindustan Times sieht deshalb nach der "langen Apartheid" eine "nukleare Morgenröte" aufziehen und zierte am Sonntag den ganzen Zeitungskopf mit Sonnenstrahlen. Der Sunday Express macht gar eine "neue nukleare Weltordnung" aus. Und die Sunday Times fragt, ob die Ausnahme für den bisherigen Paria-Staat nun bedeute, dass Indien eine Weltmacht sei.

Die NSG hatte sich 1975 in Reaktion auf Indiens Atomtest gegründet und beschlossen, Technik künftig nur mehr an Mitglieder des Atomwaffensperrvertrags zu liefern. Indien hatte das Plutonium für die Bombe aus einem zivilen Reaktor abgezweigt, den Kanada geliefert hatte und ist dem Sperrvertrag bis heute nicht beigetreten. Kritiker befürchten deshalb, dass der Vertrag weiter ausgehöhlt wird, der wegen der Verstöße Irans und Nordkoreas ohnehin schon in der Krise ist.

Daryl Kimball von der Arms Control Association, einem US-Institut für Rüstungskontrollpolitik, sprach von einem "Desaster für die Nichtverbreitungspolitik von historischer Dimension" und warnte vor einem neuen Wettrüsten zwischen Indien und dem Nachbarland Pakistan, das ebenfalls Atomwaffen besitzt und dem Sperrvertrag nicht angehört.

"Fatales Signal"

Ein an den Verhandlungen beteiligter Diplomat in Wien kommentierte die Entscheidung laut der Nachrichtenagentur Reuters mit den Worten: "Atomwaffensperrvertrag? Ruhe in Frieden!" In Deutschland kritisierte Grünen-Chefin Claudia Roth die Einigung. "Das ist ein fatales Signal für atomare Aufrüstung und eine Zertrümmerung des Atomwaffensperrvertrags", sagte sie. Die Welt sei damit unsicherer geworden.

Bei den vertraulichen Verhandlungen in Wien hatten am Samstag sechs Staaten auf massiven Druck der USA hin ihre Vorbehalte aufgegeben. Sie hatten gefordert, in der Ausnahmegenehmigung festzuschreiben, dass die Zusammenarbeit mit Indien automatisch endet, wenn das Land erneut eine Atomwaffe testet.

Zudem wollten sie Anreicherungs- und Wiederaufbereitungstechnik nicht einschließen. Das hatte Indien als nicht akzeptabel zurückgewiesen, Außenminister Shri Pranab Mukherjee war den Kritikern am Freitag aber entgegengekommen und hatte erklärt, Indien fühle sich seinem freiwilligen Moratorium verpflichtet und werde Anreicherungstechnologie nicht weiterverbreiten.

© SZ vom 08.09.2008/ssc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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