Ende der Jamaika-Verhandlungen:Warum die FDP die Jamaika-Verhandlungen platzen ließ

Christian Lindner beendet die Jamaika-Sondierungen. Stecken dahinter inhaltliche Bedenken? Angst vor dem Regieren? Oder Taktik? Vier Erklärungsansätze.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Lieber nicht regieren als falsch: Mit diesen Worten beendete FDP-Chef Christian Lindner die Hoffnungen auf ein Jamaika-Bündnis. Es folgt ein großes Rätselraten: Warum hat die FDP das getan? Vier Erklärungsansätze im Überblick.

1. Mit den Grünen ging inhaltlich einfach nichts zusammen

Das ist die Version, die vor allem Politiker der FDP verbreiten. Christian Lindner sagte in seiner Erklärung, die das Ende von Jamaika markierte: "Wir haben als Freie Demokraten in den letzten Wochen zahlreiche Angebote zum Kompromiss unterbreitet." Doch: "Nach Wochen liegt aber heute unverändert ein Papier mit zahllosen Widersprüchen, offenen Fragen und Zielkonflikten vor." Eine Tatsache, die ihn zu seinem Fazit brachte: "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren."

Die FDP sei für eine Trendwende gewählt worden - und die sei in einer Jamaika-Koalition nicht möglich. An wem das seiner Meinung nach liegt, macht er auch deutlich: "Wir haben gelernt, dass auch durchaus gravierende Unterschiede zwischen CDU und CSU und FDP überbrückbar gewesen wären." Für ihn sind also die Grünen das Problem - ein Problem, das sich noch verschärfte, als Jürgen Trittin der Bild am Sonntag ein Interview gab, in dem er der FDP vorwarf, die Verhandlungen zu blockieren.

Die Grünen lehnen diese Interpretation der Geschehnisse ab. Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz etwa sprach von einem "konstruierten Eklat" um das Trittin-Interview. Auch die Union ergriff nicht Partei für die FDP. In der Nacht nach dem Abbruch der Verhandlungen beobachteten Journalisten hingegen Szenen schwarz-grüner Verbrüderung: Claudia Roth, die Innenminister Thomas de Maizière umarmt, Peter Altmaier, der wiederum Roth die Hand schüttelt.

Bereits am Wochenende hatte sich aus Verhandlerkreisen die Nachricht verbreitet: die FDP ist der große Blockierer in Sachen Jamaika. Sowohl Grüne als auch die Union seien in strittigen Punkten aufeinander zugegangen. Die FDP hingegen habe zum Beispiel beim Familiennachzug auf einmal versucht, die CSU "rechts zu überholen". Auch eine Lösung für die Abschaffung des Soli, die für die FDP zu den wichtigsten Forderungen gehörte, habe es laut Verhandlern von CDU, CSU und Grünen schon gegeben.

2. Angela Merkel ist schuld

Eine andere Variante der Geschichte platzierte der FDP-Politiker Volker Wissing: Er gibt im Deutschlandfunk Kanzlerin Angela Merkel die Schuld für die gescheiterten Sondierungen. Sie sei ihrer Rolle als Verhandlungsführerin nicht gerecht geworden: "Die Verhandlungen liefen von Anfang an chaotisch. Sie waren nicht strukturiert, sie waren nicht organisiert." Auch den Grünen gibt der FDP-Politiker eine Teilschuld: Die hätten bereits gefundene Kompromisse immer wieder neu in Frage gestellt. Auch FDP-Vize Wolfgang Kubicki kritisierte Merkel nach dem Abbruch der Verhandlungen. Dieses Spiel zu spielen, das Merkel vielleicht aus anderen Verhandlungen kenne: "Ich schmeiß' 123 Murmeln auf den Tisch und jeder nimmt sich, was er will", sei keine Grundlage für eine Regierung.

Wissing und Kubicki betonten, dass die FDP durchaus gesprächsbereit gewesen sei. Doch Zugeständnisse hatte es vor allem gegenüber den Grünen gegeben, klagt Wissing: "Man hat uns Brosamen angeboten und nannte das ein faires Angebot." Am Sonntag sei dann "in den späten Abendstunden" die Entscheidung gefallen, die Verhandlungen zu beenden.

Die anderen Parteien sehen das anders. Sie vermuten, dass die FDP ihren Abzug schon lange vorbereitet hat. Es sei noch ein Paket auf den Tisch gelegt worden, "aber die hatten die Presseerklärung schon fertig", sagte zum Beispiel der Grüne Jürgen Trittin. Sein Kollege Robert Habeck aus Schleswig-Holstein twittert: "Das war von langer Hand vorbereitet." Und in Richtung FDP: "Dass ihr uns hier einen Tag in Geiselhaft genommen habt, nehme ich persönlich übel." Mehrere Grüne berichteten, die FDP habe schon am Sonntagmorgen versucht, die Union zu einem Abbruch zu überreden.

Die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Julia Klöckner sprach spitz von "gut vorbereiteter Spontanität" und setzte hinterher: "Anständig wär es gewesen, wenn alle Parteivorsitzenden gemeinsam den Abbruch hätten verkünden können." Auch die Tatsache, dass Lindners Spruch "Lieber nicht regieren als falsch" bereits am Morgen nach der Erklärung die Social-Media-Kanäle der Partei schmückte, macht einige Beobachter misstrauisch.

Aber was hat die FDP von einem Scheitern von Jamaika? Auch darüber gehen die Theorien auseinander.

Was hat die FDP von einem Scheitern?

3. Die FDP hat Angst vorm Regieren

"German Mut": Mit diesem Motto war die FDP in den Wahlkampf gestartet. Ihre Plakate schmückten Slogans wie "Nichtstun ist Machtmissbrauch" oder "Manchmal muss ein ganzes Land vom 10er springen". Das geht für viele nicht zusammen mit dem Verhalten der FDP in den Sondierungen. Der Grüne Reinhard Bütikofer etwa warf der Partei in der Rheinischen Post "Angst zu regieren" vor. Die FDP sei während der Verhandlungen durch die frühere Regierungsbeteiligung von 2009 bis 2013 "schwer traumatisiert" gewesen, sagte auch der Grüne Jürgen Trittin im Deutschlandfunk. Das hätten die Liberalen auf keinen Fall wiederholen wollen. "Am Ende hat die Angst vor dem Selbstmord überwogen."

CDU-Generalsekretär Peter Tauber äußerte sich zurückhaltender über die Ergebnisse der Verhandlungen, aber in eine ähnliche Richtung: "Offensichtlich hat das nicht gereicht, damit die FDP sich traut und springt und Verantwortung übernimmt." Auch viele Zeitungs-Schlagzeilen zielen am Morgen nach dem Abbruch in diese Richtung. Diese Lesart ist nicht ganz neu. Bereits kurz nach der Wahl waren sich viele Beobachter einig: die FDP will eigentlich lieber in die Opposition, sich nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag 2013 in Ruhe wieder aufrichten, Kräfte sammeln.

Als SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz am Abend der Bundestagswahl rasch deutlich machte, für eine Koalition mit Angela Merkel nicht zur Verfügung zu stehen, waren die Liberalen deswegen aufrichtig schockiert.

Nun verkündet FDP-Generalsekretärin Nicola Beer im ZDF-"Morgenmagazin": Die FDP habe weder Angst vor der Opposition, noch vor Neuwahlen. Gefährlich für die FDP wäre allerdings, wenn ihr nun abermals eine Rolle zufallen würde, die sie nach ihrem Zusammenbruch 2013 erst mühsam wieder abschütteln musste: des wankelmütigen, nicht verlässlichen Partners, dem der eigene Vorteil wichtiger ist als das Schicksal des Landes. Und der letztlich nicht fähig ist, wirklich Verantwortung zu übernehmen.

4. Die FDP will sich rechts von der Union neu positionieren

Und noch eine weitere Interpretation der Vorgänge gibt es. "Ich habe das Gefühl, dass die FDP ein bisschen zu viel nach Österreich schaut in letzter Zeit", sagte der Grüne Chef-Verhandler Cem Özdemir. Demnach will sich FDP-Chef Christian Lindner mit Blick auf den Wahlerfolg des rechts-konservativen Sebastian Kurz in Kombination mit der FPÖ in Österreich rechts von der Union positionieren.

Die AfD jedenfalls zeigte sich begeistert vom Scheitern der Verhandlungen. "Ich sehe, dass wir wirken", sagte ihr Spitzenkandidat und Fraktionschef Alexander Gauland. "Frau Merkel ist gescheitert, und es wird Zeit, dass sie als Bundeskanzlerin geht." Er sieht seine Partei im Aufwind - und erklärte, die FDP sei in einzelnen Positionen der AfD sehr nahe gekommen. "Aber wir sind das Original."

Mit Material von Reuters, dpa und AFP.

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