Ende der großen Koalition:Zwerge, Riesen, Sensationen

Umarmung, Schulterklopfen und ein Abendessen: Vierzig Jahre nach dem Ende der ersten großen Koalition in Deutschland endet nun auch die zweite - diesmal mit einem Fragezeichen.

Heribert Prantl

Zum zweiten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik endet eine große Koalition. Sie endet viel leiser, unspektakulärer und unaufgeregter als die erste. Sie endet mit Umarmungen, Schulterklopfen und einem netten Abendessen, mit gegenseitigem Dank und Anerkennung. Merkel dankt Steinmeier, Steinmeier dankt Merkel. Die Spitzen der Parteien trennen sich mit Respekt, vielleicht da und dort sogar mit ein wenig Wehmut.

Damals, vor vierzig Jahren, als die erste große Koalition auseinanderging, war das ganz anders. Da war keine Wehmut, da waren Wut und Mut - Wut auf Seiten des bisherigen und ansonsten stets wohltemperierten CDU-Kanzlers Kurt Georg Kiesinger; Mut auf Seiten des bisherigen SPD-Vizekanzlers Willy Brandt.

Kiesinger, der sich mit 46,1 Prozent der Stimmen als Wahlsieger fühlte, musste geschockt zuschauen, wie Brandt sich mit den Liberalen zusammentat. Brandt tat das zur Verblüffung auch vieler Genossen, die gern noch mit der großen Koalition weitergemacht hätten.

Und die FDP wagte die Koalition angesichts eines miserablen Wahlergebnisses; sie war damals, als Oppositionspartei von 1966 bis 1969, von 9.5 auf 5,8 Prozent abgesackt; sie wollte aus dem für sie mörderischen Abseits in der Opposition herauskommen und schickte die Union zum ersten Mal in die Opposition. Von Brandt-SPD wurde sie reich belohnt: Die FDP erhielt mit ihren kümmerlichen 5,8 Prozent eine Stellung im Kabinett von Willy Brandt, von der sie heute, mit ihren stolzen 14,6 Prozent im Kabinett von Angela Merkel, wohl nur träumen kann: Sie stellte mit Walter Scheel den Außenminister, mit Hans-Dietrich Genscher den Innenminister.

Die FDP hatte also 1969 mehr Schalthebel in der Hand, als 2009 in die Hand bekommen wird; die kleine Scheel-FDP von damals war mächtiger als die große Westerwelle-FDP von heute. Und vor allem: Sie hatte ein Projekt. Die Koalitionsverhandlungen damals mussten nicht nach einer markanten Überschrift und nicht nach einem großen Thema suchen, man hatte eines. Es war ein großes Projekt, es war die neue Ostpolitik, die Egon Bahr 1963 in die historische Formel gekleidet hatte: Wandel durch Annäherung.

Der Machtwechsel von 2009 ist Routine. Es geschieht das, was die neuen Partner im Wahlkampf angekündigt haben. Der Machtwechsel damals, der von 1969 war durchaus keine Routine; er war eine Zäsur, eine Zeitenwende. Das Bündnis von Sozial- und Freidemokraten sollte immerhin bis 1982, also 13 Jahre lang halten.

Niemand kann sich vorstellen, dass das sich soeben formierende Bündnis von Christ- und Freidemokraten auch solange halten wird. Die schwarz-roten Wahlgeschenke, nämlich die Neuwagen, die die Bürger mit der schwarz-roten Abwrackprämie finanziert haben, werden wohl länger fahren als das neue schwarz-gelbe Bündnis.

Als damals, 1969, die erste große Koalition zu Ende ging, war die Gesellschaft im Umbruch; heute ist nur die Parteienlandschaft im Umbruch. Die drei Jahre der ersten großen Koalition waren Wendejahre gewesen: Studentenunruhen, Vietnam-Proteste, Notstandsgesetze, außerparlamentarische Opposition. Go-ins, Teach-ins, Sit-ins und Love-ins waren Ausdruck einer "Ästhetik des Widerstands" (Peter Weiss), die freilich vor allem deshalb möglich war, weil die demokratischen Institutionen ein wenig toleranter waren, als sie dargestellt wurden.

Damals gab es die "große Weigerung" der jungen Generation gegenüber dem Establishment und seinen Repressionen; heute gibt es die große Weigerung der Parteien, sich zu neuen Konstellationen zusammenzufinden. Die kleine Koalition von 2009 moderiert nicht, wie die von 1969, einen gesellschaftlichen Umbruch ; sie überbrückt den Umbruch in der deutschen Parteienlandschaft.

Zwischen den beiden Umbrüchen liegen 40 Jahre - und ein erschreckender Rückgang der Wahlbeteiligung: Nach der ersten Großen Koalition von 1969 gingen noch 86,7 Prozent der Bürger zur Wahl, nach der zweiten großen Koalition 2009 waren es soeben nur noch 72,2 Prozent. Fast 15 Prozent Minus: die Merkel/Steinmeier-Koalition ist nicht schuld an dieser Entwicklung, hat diese aber verschärft. Und so ähnlich ist es wohl auch mit der SPD: die zweite große Koalition hat den Niedergang der SPD nicht verursacht, ihn aber wohl noch verschärft.

Die politische Herausforderung für die SPD 1969 bestand in der Demokratisierung der Gesellschaft. Diese Herausforderung damals hat die Partei weit besser bestanden als heute die der Globalisierung.

Die Müntefering/Steinmeier-SPD war 2005, nach dem schier unglaublichen und nur knapp verlorenen Wahlkampf von Gerhard Schröder und nach dem Beinahe-Desaster der CDU unter Angela Merkel, mit hochgespannten Erwartungen in die zweite große Koalition gegangen: Die SPD sah sich prozentual auf Augenhöhe und glaubte, sie könne, angeführt von Franz Müntefering, mit einer Liste von bekannten Ministernamen und vermeintlich prickelnden Ministerien die Union politisch an die Wand spielen. Es kam bekanntlich ganz anders. Die mit der Schröder-Agenda und mit sich selbst hadernde SPD wurde von Angela Merkel an die Wand gespielt.

Der großen Koalition von Merkel und Steinmeier werden zum Abschied keine Kränze gewunden. Dabei kann sich ihre Bilanz eigentlich sehen lassen: Arbeitslosigkeit gesenkt, Familien gestärkt, Krise bekämpft. Die größte Leistung dieser großen Koalition war wahrscheinlich die, dass die Deutschen trotz der globalen Krise nicht in Krisenstimmung kamen. Diese Leistung hat offenbar der CDU genutzt und der SPD geschadet.

Etliche Befürchtungen, die sich mit der zweiten großen Koalition verbunden hatten, sind nicht eingetreten: Die parlamentarische Opposition ist nicht untergegangen, die politischen Ränder sind nicht erstarkt, die NPD hat nicht, wie 1966 ff., enormen Zulauf bekommen. Damals, zu Zeiten der ersten großen Koalition, war die NPD in sieben Landtagen vertreten (1966 in Bayern: 7,4 Prozent; 1966 in Hessen: 7,9 Prozent; 1968 in Baden-Württemberg: 9,8 Prozent).

Vielleicht wird es auch wieder einige Zeit dauern, bis die zweite große Koalition, das Bündnis der Jahre 2005 bis 2009, zu ein wenig Ruhm kommt. Über die erste große Koalition von 1966 bis 1969 wird heute so gesprochen, ja geraunt, als habe es sich um eine Regierung der Riesen gehandelt. Und wer nur ein wenig in der Politik zu Hause ist, der kann die Kiesinger'sche Kabinettsliste von 1966 herbeten wie die der Fußballfreund die Herberger'sche Weltmeisterelf von 1954: Hermann Höcherl, Georg Leber, Herbert Wehner, Carlo Schmid, Kai-Uwe von Hassel, Karl Schiller, Käte Strobel, Hans Katzer, Hans-Jürgen Wischnewski, Franz Josef Strauß, Gerhard Stoltenberg, Willy Brandt.

In dieser Regierung saß fast die gesamte politische Spitzenklasse. Kein anderes Kabinett der Nachkriegszeit vereinte in sich so widersprüchliche, verfeindete, kompetente und durchsetzungsstarke Minister.

Verglichen mit den Gräben, die in der ersten großen Koalition zu überwinden waren, handelte es sich bei den Gräben der zweiten großen Koalition nur um Gräbelein. Neben dem Kanzler Kiesinger, der im März 1933 in die NSDAP eingetreten war, saß damals als Vizekanzler der Widerstandskämpfer Willy Brandt. Und neben Franz Josef Strauß, der zuvor verantwortlich für die Spiegel-Affäre gewesen war, stand als Sprecher der Regierung Conrad Ahlers, als Vize-Chefredakteur des Spiegel einer Hauptbetroffener dieser Affäre.

Solche Antinomien gab es in der zweiten großen Koalition nicht. Es wird sie vielleicht wieder geben, wenn eines Tages auf Bundesebene Koalitionen mit der Linken gebildet werden.

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