Empörung über "Pussy Riot"-Urteil:Russisches Rowdytum, deutscher Unfug

In Deutschland wäre eine Verurteilung wie die der russischen Punkband "Pussy Riot" kaum vorstellbar. Oder doch? Auch hier macht sich strafbar, wer "beschimpfenden Unfug" auf Kirchengrund verübt. Und drohen dafür auch zwei Jahre Freiheitsstrafe? Nein - bis zu drei.

Rechtswissenschaftler Klaus Volk

Die Empörung über das Urteil gegen die drei jungen Frauen von Pussy Riot ist allgemein. Empörung 2.0. Ein Sprecher des Weißen Hauses, das unter Präsident George W. Bush wenig Mühe hatte, Guantanamo als rechtsstaatlich und Folterungen wie das sogenannte Waterboarding als verhältnismäßig zu etikettieren, nannte die Strafen unverhältnismäßig.

pussy riot

"Free Pussy Riot!" (Befreit Pussy Riot!): Die Verurteilung der drei russischen Künstlerinnen hat weltweit Empörung ausgelöst, so auch in der Schweiz, wo Aktivisten am Großmünster in Zurich diesen Schriftzug aufhängten.

(Foto: dpa)

Angela Merkel mahnte, dass eine lebendige Zivilgesellschaft und politisch aktive Bürger keine Bedrohung, sondern eine notwendige Voraussetzung für Russlands Modernisierung seien. Die Russland-Expertin von Amnesty International brandmarkte das Urteil als erschütterndes, politisch motiviertes Unrecht; es sei ein harter Schlag gegen die Meinungsfreiheit in Russland. Das ist alles richtig und doch nur die halbe Wahrheit.

Bei uns in Deutschland, da sind wir uns doch wohl einig, wäre dergleichen nicht möglich. Monatelange Untersuchungshaft für drei Frauen, die getan haben, was Pussy Riot aufgeführt haben? In der Tat undenkbar. Ein Strafverfahren mit dem Ziel, politische Verhältnisse gegen Kritik zu immunisieren? Das kennen wir nicht. Zwei Jahre Haft für knapp eine Minute Performance in einer Kirche? Unvorstellbar.

Und dann vor allem die Grundlage des Urteils, eine Vorschrift, die "Rowdytum aus religiösem Hass" unter Strafe stellt. Derart tendenziöse, schwammige Strafgesetze gelten als Kennzeichen totalitärer Staaten. Je unbestimmter ein Verbot ist, desto besser lassen sich damit Furcht und Schrecken verbreiten.

Wir hingegen leben in einem Rechtsstaat, der genau formuliert und das Risiko eines Rechtsbruchs berechenbar macht. So ist das doch, oder?

Was ist Unfug?

Dann stellen wir uns den Fall bitte einmal in Deutschland vor. Junge Frauen treten unter dem deutschen Namen des russischen Vorbilds auf. Riot heißt Aufruhr, Krawall, und Pussy - den gewünschten Härtegrad der Übersetzung mag jeder selbst bestimmen. Dann gehen sie in einer katholischen Basilika die Stufen zum Altar hinauf, inszenieren ihr Punk-Gebet und sehnen herbei, dass Seehofer zurücktritt und der Papst verschwindet (die drei in Moskau hatten sich in einem Bereich der Christ-Erlöser-Kathedrale aufgestellt, dessen Betreten ohne priesterliche Einladung nicht gestattet ist).

Dabei tragen sie, anders als ihr Vorbild, High Heels, Hot Pants und Tops mit Spaghettiträgern. Schick, aber unschicklich und nicht mehr? Störung des Gottesdienstes war es nicht, weil keiner stattgefunden hat. Strafbar macht sich laut Strafgesetzbuch aber auch, wer an einem Ort, der dem Gottesdienst einer Kirche oder Religionsgesellschaft gewidmet ist, "beschimpfenden Unfug verübt".

Drohen einem dafür zwei Jahre Freiheitsstrafe? Nein - sondern bis zu drei. Die Vorschrift schützt die "Heiligkeit" der Kirche oder die entsprechende Bedeutung des Ortes für andere Glaubensrichtungen.

Was ist das denn, Unfug? Gesellschaftlichen Konsens darüber gibt es nicht mehr. Was der eine als Unfug abtut, ist für den anderen das sinnstiftende Element seines Lebens. Eine Strafvorschrift, die das Wort Unfug verwendet, ist selbst einer. Unfug ist mindestens so unbestimmt wie Rowdytum.

Am Rande vermerkt: Der DDR war in ihrer 1968 eingeführten Strafvorschrift gegen Rowdytum eine rein rechtstechnisch gesehen nicht schlechte Umschreibung gelungen. Unser Stolz auf die Bestimmtheit von Strafgesetzen ist angekränkelt und erholt sich auch nicht, wenn man in juristischen Standardwerken weiterliest.

Meinungsfreiheit endet an der Kirchentüre

Beschimpfender Unfug soll ein grob ungehöriges Verhalten sein, das die Missachtung des Ortes zum Ausdruck bringt und auf eine rohe Gesinnung schließen lässt. Ist dann feinsinnig beschimpfender Unfug erlaubt? Die Sprache japst nach Luft.

Wenn wir alle Religionsgesellschaften schützen wollen, müssen wir uns auch deren Vorstellungen über "grob ungehörig" zu eigen machen. Im führenden Kommentar zum deutschen Strafrecht steht, dass es nicht ausreicht, wenn man Kopfbedeckungen abnimmt oder aufsetzt. Wie bitte, in einer Synagoge ohne Kopfbedeckung?

Oder lassen wir unsere drei flotten Damen, dieses Mal in wallenden Gewändern, mit ihren High Heels auf den Teppich einer Moschee trampeln. Viel Schlimmeres gibt es für einen Muslim nicht.

Oder nehmen wir an, das russische Original sei zu Gast in München und würde auf den Stufen der Feldherrenhalle performen. Ein strafrechtliches Problem bekämen sie nicht, denn die Freiheit der Meinungsäußerung ist uns gewissermaßen auch heilig, und womöglich ist es überdies noch Kunst. Ein Problem bekämen sie allerdings dann, wenn sie ein paar Meter weiterziehen würden in die russisch-orthodoxe Kirche.

Von der Feldherrnhalle nach Moskau. Seit Oktober 2011 traten Pussy Riot dort vielfach auf öffentlichen Plätzen auf, kritisierten Putin scharf und stellten die Clips auf YouTube ins Netz. Nichts geschah. Ihr "Fehler" war, in die Kirche zu gehen und dort dagegen zu protestieren, dass deren Patriarch nach ihrer Ansicht zur Wahl Putins aufgerufen hatte. Meinungsfreiheit endet an der Kirchentüre.

Argwohn gegenüber Russland bleibt

Der Patriarch sprach von Blasphemie und damit vielen Russen aus der Seele, die sich ihren Staat nicht ohne die Kirche vorstellen können. Auch in Deutschland ist ja, wie gesagt, die "Heiligkeit des Ortes" strafrechtlich sanktioniert, und wer das für richtig hält, sollte sich unter diesem Aspekt über das Moskauer Urteil nicht allzu sehr aufregen.

Muss man es für richtig halten, dass der Staat das scharfe Schwert des Strafrechts schwingt, wenn in heiligen Hallen "beschimpfender Unfug verübt" wird? Strafrecht soll Rechtsgüter schützen, und ob dazu auch Gefühle gehören, ist unter Strafrechtlern wieder sehr umstritten. Genügt es für eine Bestrafung, dass einer die Gefühle von Gläubigen verletzt, deren Überzeugung andere zwar nicht teilen, aber tolerieren müssen?

Der Antwort auf diese schwierige Frage kann man sich dadurch entziehen, dass man auf die Aufgabe des Staates verweist, den öffentlichen Frieden zu sichern. Würde die Justiz nicht reagieren, müsste man befürchten, dass die Empörung eskaliert und in "Riots" endet. Diese Begründung ist nicht besonders stark, und deshalb würden bei uns die Strafen schwach ausfallen, sollten sie überhaupt verhängt werden. Sie hätten allenfalls symbolischen, nicht drakonischen Charakter.

Es bleibt der Argwohn, in Russland habe man sogenanntes politisches Strafrecht praktiziert. Unterdrückung, Repression ist das Wesen des Strafrechts. Und jedes Strafrecht ist politisch, weil es Ziele verfolgt. Die Sicherung von Herrschaft gehört dazu bei uns nicht. Gegen die Perversion von Strafrecht, die in Deutschland nicht zu befürchten ist, hilft in einer Demokratie am Ende nur die Empörung. Man sollte aber wissen, worüber man sich aufregt.

Der Rechtswissenschaftler Klaus Volk, 68, ist emeritierter Professor der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Strafverteidiger. Unter anderem verteidigte er den einstigen Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann im Mannesmann-Prozess.

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