Elektronische Akte:Diagnose im Netz

Lesezeit: 2 min

Krankenkassen wollen sensible Krankheitsdaten digitalisieren, nach eigenen Standards. Die Grünen fordern nun Bestimmungen zur Datensicherheit.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Der Besuch bei einem neuen Arzt beginnt meist mit einem langen Fragebogen. Im Wartezimmer schreiben Patienten nieder, was sie bislang mitmachen mussten: Operationen, ansteckende Krankheiten, seelische Probleme. Je länger das Leben, desto länger wird auch die Krankheitsgeschichte - und desto anfälliger ist dieses Fragebogensystem für Fehler.

Die Bundesregierung hat deshalb schon vor mehr als zehn Jahren die Verbände der Ärzte, Kliniken und Krankenkassen beauftragt, eine Technik zu entwickeln, die all diese persönlichen Details der Patienten digital speichern kann. In Zukunft sollen Arztpraxen und Kliniken ihre Befunde oder Röntgenbilder online austauschen können. Eines Tages könnten dann auch Patienten selbst ihre Blutwerte oder Medikamentenpläne mit dem Smartphone anschauen. Allerdings, so die Vorgabe des Gesundheitsministeriums, muss diese Technik absolut sicher sein. Denn wenn ihre Krankengeschichte in falsche Hände gerät, werden Bürger erpressbar.

Die Grünen fordern "klare Bestimmungen zur Datensicherheit"

Doch weil diese hochsichere elektronische Patientenakte bis heute noch nicht fertig ist, haben nun Krankenkassen begonnen, eigene Speichersysteme zu entwickeln, nach eigenen Standards. Bei der AOK kümmert sich zum Beispiel ein neuer Chief Digital Officer um ein "digitales Gesundheitsnetzwerk". Die Ärzte der AOK-Versicherten sollen bald Diagnosen untereinander austauschen, im Sommer werden mehr als 8000 Patienten eine AOK-Akte testen. Irgendwann, so die Idee des Officers Christian Klose, könnten Versicherte mit der Kassen-App ihre Arzttermine organisieren oder vor Auslandsreisen nach Impfungen suchen. An die gesetzlichen Datenschutzvorgaben halte man sich natürlich - nicht aber an die strengen Zertifizierungsvorgaben des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, bei denen die offizielle Patientenakte der Regierung gerade stockt.

Die Techniker Krankenkasse (TK) arbeitet seit Februar ebenfalls zusammen mit dem IT-Unternehmen IBM an einer eigenen elektronischen Akte. Aber weder die TK noch IBM könnten ungefragt in die Diagnosen der Patienten hineinschauen, versichert eine Sprecherin, die Daten würden nicht im Ausland gespeichert. Auch die Barmer "lotet Potenziale aus", heißt es dort.

Kürzlich hat nun auch noch die bayerische Staatsregierung begonnen, ein eigenes System zu entwickeln. Unter dem Namen "Meine Gesundheitsakte Digital" sollen Notfalldaten und Mutterpass, Informationen aus Fitnessarmbändern und Krankenhäusern vom kommenden Jahr an in einem virtuellen Patientenordner abgelegt werden können. Das werde zu einem "Leuchtturmprojekt" für das Bundesland, heißt es vom bayerischen Gesundheitsministerium.

Angesichts dieses Markts für sensible Krankheitsinformationen, der gerade zusehends wächst, fordern nun vier Gesundheitspolitiker der grünen Bundestagsfraktion und ihr netzpolitischer Sprecher, das Regierungsprojekt der hochsicheren Patientenakte zu überdenken. Ein entsprechendes Papier liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Um die Parallelsysteme zu regulieren, sollte sich die Bundespolitik in der kommenden Legislaturperiode auf "klare Bestimmungen zur Datensicherheit" und "unverzichtbare Eigenschaften" für die Apps konzentrieren. Im April hatte auch die Bertelsmann-Stiftung empfohlen, ein Bundesinstitut für elektronische Patientenakten einzurichten - eine Behörde, die solche Datensysteme überprüft.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat zurzeit allerdings noch genug zu tun, die Abgabefristen für die offizielle Regierungsakte zu überprüfen. Bei dieser Technik kommt die Industrie nämlich nicht hinterher.

© SZ vom 19.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: