Eklat um Brücken-Stau:Chris Christie sagt 20 Mal Entschuldigung

"Enttäuscht, traurig, gedemütigt": Mit Getöse versucht Chris Christie den Bridgegate-Skandal einzudämmen. Der Republikaner feuert Mitarbeiter und verspricht die Aufklärung des angeblichen Rache-Staus auf einer Brücke. Doch die Strategie des potenziellen Präsidentschaftsanwärters birgt Risiken.

Von Matthias Kolb

Es war ein Auftritt der Superlative: 107 Minuten lang stellte sich Chris Christie den Fragen der Journalisten. 20 Mal entschuldigte er sich bei den Bürgern von New Jersey. Sein Herz sei "zerbrochen" und er schlafe schlecht, bekannte der gebeutelte Gouverneur. Dann kündigte der Republikaner eine Fahrt nach Fort Lee an, um die vom Mega-Stau betroffenen Menschen dort um Verzeihung zu bitten.

Ihm sei sehr wohl bewusst, dass seine Regierung viele enttäuscht habe, weil er die Bedeutung der Angelegenheit nicht erkannt habe, sagte er in Trenton. Nach der offen gezeigten Reue präsentierte sich Christie als Politiker, der hart durchgreift. Er habe seine Vize-Büroleiterin Bridget Kelly sofort gefeuert, nachdem er die von der Zeitung The Record publizierten E-Mails gelesen hatte, sagte er.

Kelly, die fünf Jahre für Christie tätig war, hatte im August einen Bekannten in der Port Authority of New York and New Jersey aufgefordert, "für Verkehrsprobleme in Fort Lee zu sorgen" (mehr in diesem US-Blog). Die Folge war eine Sperrung von zwei Spuren, die zur vielbefahrenen George-Washington-Brücke nach Manhattan führen, und dafür sorgte, dass sich die Kleinstadt Fort Lee im September für vier Tage in einen Riesenparkplatz verwandelt hatte. Als Grund wurde eine angebliche "Verkehrsstudie" genannt.

Mehrmals bestritt Christie, irgendetwas von der vermeintlichen Racheaktion gewusst zu haben. Die Medienberichte hatten nahegelegt, Bridget Kelly habe den Stau veranlasst, weil der demokratische Bürgermeister von Fort Lee, Mark Sokolich, sich geweigert hatte, Christie bei der Gouverneurswahl im November 2013 zu unterstützen. "Ich konnte gar nicht verärgert sein über Herrn Sokolich, weil ich ihn gar nicht auf dem Radar hatte. Weil ich ihn gar nicht kannte, konnte ich gar nicht von ihm enttäuscht sein", dröhnte Christie bei der Pressekonferenz.

An seinem großen Krisenkontrolltag hatte Chris Christie drei Ziele. Er wollte zeigen, dass er kein Drückeberger ist - deswegen die schier endlose Pressekonferenz, bei der Fragen mehrfach gestellt und beantwortet wurden. Zugleich wollte er Führungsstärke demonstrieren und durch seine Entschuldigung beweisen, dass auch er ein fehlbarer, emotionaler Mensch sei. Dieser Tag war Chris Christie pur, wie der republikanische Stratege Mike Murphy befand: "Es gibt ihn einfach nicht in kleiner Dosierung."

"Ich übernehme die Verantwortung für meine Mitarbeiter"

Der sonst als aufbrausend geltende Christie zog alle Register und wirkte in seiner Zerknirschung glaubhaft. Er fühle sich "gedemütigt" und schäme sich, dass ihn eine seiner wichtigsten Mitarbeiterinnen belogen habe. "Ich behandle den Kreis meiner engsten Angestellten wie eine Familie, der ich blind vertraue", sagte der 51-Jährige. Detailliert schilderte er, wie er im Dezember alle Mitglieder des Führungszirkels aufgefordert hatte, ihm alles zu sagen, was diese über den "Bridgegate-Skandal" wüssten.

Kelly habe geschwiegen und wenn jemand so "dumm" sei und versuche, ihm die Wahrheit vorzuenthalten, dann müsse er handeln. Und dann folgt ein Satz, den der Republikaner mehrfach sagte und auch via Twitter verbreitete: Als Gouverneur übernehme er die Verantwortung für alles, was seine Mitarbeiter tun würden - im Guten wie im Schlechten.

Zugleich gab Christie auch bekannt, dass er die Zusammenarbeit mit Bill Stepien beenden werde - dieser hatte seinen erfolgreichen Wahlkampf gemanagt und sollte nun Chef der Grand Old Party in New Jersey werden und eine wichtige Berater-Rolle in der republikanischen Gouverneursvereinigung übernehmen. Doch auch Stepien wurde der herablassende Ton in den E-Mails zum Verhängnis. "Ich habe kein Vertrauen mehr in ihn", donnerte Christie.

"Ich bin kein Tyrann"

Bevor er später nach Fort Lee aufbrach, um sich mit dem demokratischen Bürgermeister Mark Sokolich zu treffen (die Fahrzeugkolonne des Gouverneurs verursachte dort einen weiteren Stau), versuchte Christie dem Eindruck entgegenzutreten, er sei ein "Tyrann", der alle anderen schikanieren würde. "I am not a bully", rief der Republikaner, der wegen seiner zupackenden und bürgernahen Art als ein Top-Kandidat der Republikaner für die Präsidentschaftskandidatur 2016 gilt.

Er werde seinen Stil nicht ändern und weiterhin alles genauso sagen, wie er es für richtig halte. "I am not a focus-group tested, blow-dried candidate or governor," sagte Christie und gab erneut den Anti-Politiker, der anders als seine "weichgespülten" Kollegen kein Blatt vor den Mund nehme und auch keinem Konflikt ausweiche, nur weil ihm dies seine Meinungsforscher raten würden.

Gewiss: Der Auftritt am oft so entscheidenden "Tag nach dem Skandal" ist Chris Christie gelungen. Allerdings sind sich die meisten professionellen Polit-Beobachter in Washington einig, dass der Republikaner damit die Gefahrenzone noch längst nicht verlassen hat. Mit großem Getöse und vielen Worten hat er bestritten, auf irgendeinem Wege etwas mit der Sperre zu tun gehabt oder eine ähnliche Methode angeregt zu haben. "Wenn noch irgendetwas herauskommt, dann ist er erledigt", urteilt die Washington Post .

Neben vielen Medienvertretern interessieren sich nun auch Politiker und Staatsanwälte für alle Details des selbst für das raue New Jersey einzigartigen Vorganges: Es läuft eine Untersuchung im Senat von New Jersey und das US-Justizministerium hat eine Vorermittlung angeordnet.

New Jersey Governor Chris Christie tours the fire area with his Deputy Chief of Staff Bridget Anne Kelly at the boardwalk in Seaside Heights

Ein Bild aus besseren Zeiten: Gemeinsam mit seiner nun entlassenen Vize-Bürochefin Bridget Kelly (rechts) besuchte Gouverneur Christie im September 2013 das damals von einem Feuer bedrohte Seaside Heights.

(Foto: REUTERS)

Und ein schmerzhafter Aspekt wird auch nach der Entlassung von Bridget Kelly bleiben, der sich in einem Präsidentschaftswahlkampf oder bei parteiinternen Vorwahlen von seinen Gegnern gut nutzen lässt: Hat sich Chris Christie mit den falschen, weil moralisch fragwürdigen Mitarbeitern umgeben? Wer böse ist, der könnte ihm Folgendes unterstellen: Entweder war er also inkompetent in seiner Personalauswahl oder hat deren Methoden gebilligt. Und an einem mangelt es im gegenwärtigen poltischen Klima in den USA gewiss nicht: An Härte und Bösartigkeit.

Linktipps: Politico hat die wichtigsten Stellen der zweistündigen Pressekonferenz in einem zweiminütigen Video zusammengefasst. Die New York Times hat den Auftritt von Chris Christie in diesem Text schlüssig analysiert.

Eine Seite-3-Reportage über Chris Christie, den Bridgegate-Skandal und das vergiftete Politklima in den USA lesen Sie in der Freitagsausgabe der Süddeutschen Zeitung und in der SZ-Digital-App auf iPhone, iPad, Android und Windows 8.

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