Eklat beim Forum zu Missbrauch:Das unverschämte Opfer

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Dürfen Missbrauchsopfer stören? Beim Kirchentagsforum zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche wird das Schweigen gegeißelt - und es kommt zum Eklat.

Sarina Pfauth

Er wird warm empfangen, zunächst. Pater Klaus Mertes, Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, wird von der Moderatorin als jener Mann begrüßt, der das Schweigen um die Missbräuche in der katholischen Kirche gebrochen hat und an die Öffentlichkeit gegangen ist. Tausende Zuschauer, die in der Messehalle C1 auf Kirchentags-Papphockern sitzen, klatschen Beifall.

"Sie haben versagt, treten Sie ab!": Opfervertreter Norbert Denef, im Hintergrund Pater Klaus Mertes, Rektor des Canisius-Kollegs in Berlin, der Missbrauchsfälle an seiner Schule öffentlich gemacht hat. (Foto: Foto: Getty)

"Ich bin noch mitten im Sturm", setzt er zu seinem Statement an. Wie richtig er mit dieser Annahme liegt, wird nur Sekunden später klar, als Norbert Denef, der Vorsitzende des "Netzwerks Betroffener von sexualisierter Gewalt" nach vorne vor die Bühne stürmt. "Es ist ein Lügentheater!" brüllt er. Nicht Mertes habe das Schweigen gebrochen, sondern die Opfer. Hier auf dem Kirchentag würden die Opfer wieder einmal zum Schweigen gezwungen. "Sie haben versagt, treten Sie ab!", fordert der Opfervertreter.

An der Bühne beginnt ein wildes Durcheinander. Kameraleute stürzen nach vorn und bilden einen Pulk um den Mann mit Nickelbrille und Anzug. Die Moderatorin Johanna Holzhauer ist augenscheinlich verunsichert, die Sicherheitskräfte sind es ebenso. Was tun? Der Mann ist ein Störenfried, aber haben Opfer nicht vielleicht das Recht zu stören? Laut und ungemütlich zu werden, gar unverschämt?

Klaus Mertes entscheidet, sich zumindest kurz auf eine Diskussion mit dem Mann einzulassen. "Ich gebe Ihnen vollkommen Recht, nicht ich habe das Schweigen gebrochen, sondern die Opfer", antwortet der Pater. "Das, was Sie sagen, muss ich jetzt aushalten", fährt Mertes fort.

An Denef gewandt sagt der katholische Pater: "Aber auch als einer, der versagt hat, darf ich sprechen. Ich bin Ihnen schuldig, zu sprechen." Er stehe hier als Vertreter der Institution Kirche - und andere Opfer hätten den Wunsch und auch das Recht, mit Vertretern dieser Institution zu sprechen. Mertes ist ein ruhiger, väterlicher Typ; ein Mann, dem viele in der Halle seine demütige Haltung abnehmen.

Der Vorrang der Opferperspektive, sagt er weiter, sei vom Evangelium her ganz klar - aber diese Perspektive sei sehr schwer einzunehmen. Wenn Opfer anfangen würden zu sprechen, ende das meist in einem Konflikt. "Die Armen sind nicht die Netten! Aber in ihrer Stacheligkeit haben sie der Kirche etwas zu sagen. Die Opfer müssen nicht Recht haben, aber wenn die Kirche nur zuhört und versucht, von oben herab zu helfen - dann wird sie nicht hören, was der Geist ihr heute zu sagen hat."

Die Frage nach den Opfern ist zentral, da sind sich alle Podiumsteilnehmer einig. So sagt Bischof Stephan Ackermann gleich in seinen ersten Worten: "Ich bin erschrocken über den Verlauf der Veranstaltung. Der Mann (Norbert Denef, Anm. d. Red.) hat doch Recht: Wir sprechen über Institution. Ich habe das Gefühl, dass die Opfer aus dem Blick geraten."

Doch wie man es schaffen will, den Opfern gerecht zu werden, darüber sind die Podiumsteilnehmer in hohem Maße ratlos. Ackermann vertritt die Meinung, man sollte nicht so sehr über Kirchenpolitik sprechen. Andere denken, dass den Opfern gerade das Infragestellen von Machtstrukturen innerhalb der Kirche am Herzen liegt.

Der Missbrauchsbeauftragte der katholischen Kirche, Bischof Stephan Ackermann (l.) und der Rektor des Canisius-Kollegs, Pater Klaus Mertes. (Foto: Foto: dpa)

Die Diskussion zwischen Mertes, Bischof Ackermann, dem Missbrauchsbeauftragten der deutschen Bischofskonferenz, der bayerischen Justizministerin Beate Merk, dem katholischen Psychologen Wunibald Müller, dem evangelischen Juristen Gerhard Robbers und Andrea Heim von Bund der Deutschen Katholischen Jugend dreht sich am Ende vor allem um die Kommunikation innerhalb der katholischen Kirche.

Missbrauchsfördernder Personenkult

Wieder ist es Klaus Mertes, der vielen im Publikum aus dem Herzen spricht: "Wo ein offenes Wort schon Nestbeschmutzung ist, da rieche ich Anfälligkeit für Machtmissbrauch. Wir haben zu viele Themen, wo wir uns disziplinarisch gefährden, wenn wir denken, was wir sagen." In den vergangenen Jahren, so Mertes, sei in der katholischen Kirche außerdem ein Personenkult entstanden, "den ich für missbrauchsfördernd halte".

Viele Menschen, die wie er die Kirchen liebten, stünden in Loyalitätskonflikten - solange Kritik und abweichende Meinungen als unkatholisch wahrgenommen würde. Viele hätten sich deshalb ins Schweigen zurückgezogen. "Das betrübt mich, und ich wünsche mir, dass das Schweigen jetzt aufgebrochen wird."

Stephan Ackermann, der die Vorschläge und Gedanken zur Änderung der Machtstrukturen innerhalb der Kirche während der Diskussion mehrheitlich kritisch gesehen oder zurückgewiesen hatte, stimmte seinem Glaubensbruder in diesem Punkt zu. "Wir brauchen eine bessere Debattenkultur in der Kirche". Der öffentliche Druck der vergangenen Wochen sei wichtig gewesen, "ich empfinde das als positiv, so schmerzlich das ist. Und hoffe, dass wir uns als Kirche der Öffentlichkeit stellen."

Das Forum auf dem Kirchentag ist ein gutgemeinter Versuch, den Schritt in die Öffentlichkeit zu wagen. Der Weg zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle ist aber noch lang, das wird auch hier in der Halle C1 deutlich: Bezeichnenderweise saß auf dem Podium kein einziger Vertreter der vielbeschworenen Hauptpersonen - die Missbrauchsopfer.

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