Einsatz in Afghanistan:Risiken des Rückzugs

Die USA wollen nicht nur den Irak, sondern auch Afghanistan verlassen. Doch dort ist die Lage weitaus vertrackter. Wenn die Amerikaner Afghanistan sich selbst überlassen, dann spricht derzeit alles dafür, dass die islamistische Gefahr noch größer als zuvor wird.

Joschka Fischer

Man kommt leicht in einen Krieg hinein, aber nur sehr schwer wieder heraus. Diese alte Weisheit gilt ganz besonders für die gegenwärtige Lage der USA. Amerika führt zurzeit drei Kriege; Afghanistan, Irak und den "Krieg gegen den Terror" - von dem ihm zwei aufgezwungen wurden (Afghanistan und Terrorismus), wohingegen es den dritten (Irak) in ideologischer Verblendung und machtpolitischer Hybris selbst und völlig unnötigerweise begonnen hat.

Joschka Fischer

Amerika muss die Kriege in Afghanistan und im Irak beenden, meint der frühere Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer (Grüne) .

(Foto: dpa)

Weder in Afghanistan noch im Irak besteht für die USA die Aussicht auf einen militärischen Sieg, die Kosten dieser Kriege sind kaum noch zu tragen, und innenpolitisch schwindet immer mehr die Unterstützung. Amerika muss also diese Kriege beenden. Die Frage allerdings bleibt, welchen Preis wird dieser Rückzug die USA und ihre Verbündeten in der Region, aber auch im Westen kosten?

Was den Irak betrifft: Dort sind jetzt die letzten US-Kampftruppen abgezogen. Der größten Militärmacht der Welt ist es unter Aufbietung aller ihr zurzeit zur Verfügung stehenden militärischen Mittel lediglich gelungen, eine prekäre innere Stabilität aufrechtzuerhalten, von "Mission accomplished!", Aufgabe erfüllt, spricht niemand mehr. Keines der wichtigen politischen Probleme des Landes, welche durch die US-Intervention geschaffen wurden, ist tatsächlich gelöst worden, die Machtverteilung zwischen Schiiten und Sunniten, zwischen Kurden und Arabern, zwischen Bagdad und den Regionen bleibt weiterhin unklar.

Der Irak bleibt ein Staat ohne gemeinsame Nation und droht zudem zum Schlachtfeld der gegenläufigen Interessen seiner Nachbarn zu werden. Vor allem der Konflikt um die Vorherrschaft über den Persischen Golf zwischen der sunnitischen Führungsmacht Saudi-Arabien und den hegemonialen Bestrebungen des schiitischen Irans droht den Irak zu einem neuen Schlachtfeld zu machen, inklusive einer weiteren Runde des innerirakischen Bürgerkriegs. Die Nachbarn Syrien und Türkei würden in einen solchen Konflikt unmittelbar mit hineingezogen. Man kann nur hoffen, dass das durch den Abzug der USA entstandene Vakuum nicht gewalttätig implodiert.

Schwierige Lage

Die Lage in Afghanistan ist noch weitaus vertrackter. Anders als der Irak ist Afghanistan eine Nation ohne Staat. Separatismus war niemals eine Bedrohung für diese Nation, aber seit dem Einmarsch der Roten Armee an Weihnachten 1979 ist dieses Land der Kriegsschauplatz für globale und regionale Konflikte, ausgetragen auf afghanischem Boden.

In Afghanistan findet nicht nur ein Bürgerkrieg statt, sondern mittels afghanischer Verbündeter kämpfen dort vor allem Pakistan, aber auch Saudi-Arabien, Iran, Indien und die nördlichen Nachbarn um Einfluss und Vorherrschaft. Zuerst war der afghanische Krieg ein Befreiungskrieg gegen die Rote Armee, dann ein Bürgerkrieg und von Mitte der neunziger Jahre an erfüllte er eine Funktion im indisch-pakistanischen Konflikt, denn Pakistan suchte dort mittels der von seinem Geheimdienst ISI geschaffenen Taliban strategische Tiefe und regionalen Einfluss. Mit dem 11. September wurde Afghanistan schließlich wieder zum Schauplatz eines globalen Krieges. Wird jetzt der Rückfall in einen regionalen Krieg mit einem neuen Anlauf des islamistischen Terrors erfolgen? Oder eine völlig neue, bisher unbekannte Entwicklung?

Die USA und auch die Nato befinden sich in Afghanistan in einer Zwickmühle. Sie können in diesem Land nicht dauerhaft bleiben, sie können aber auch nicht einfach abziehen. Es wird gegenwärtig nur allzu oft vergessen, dass mit dem Abzug der Sowjettruppen im Februar 1989 auch die USA faktisch schon einmal aus diesem Land abgezogen waren. Zwölf Jahre später, nach dem Terroranschlag vom 11. September, mussten die USA und ihre westlichen Verbündeten dann zurückkehren, weil sich der globale islamistische Terrorismus eines bin Laden dort festgesetzt hatte, als Teil des Bürgerkriegs und der regionalen Auseinandersetzung um die Vorherrschaft über Afghanistan.

Die Lektion von damals ist recht einfach zu begreifen: Afghanistan ist als Schlachtfeld der regionalen Interessen und Brutstätte des islamistischen Terrorismus viel zu gefährlich, um vom Westen ignoriert werden zu können. Offensichtlich scheint man diese Lektion der neunziger Jahre aber gegenwärtig in den westlichen Hauptstädten verdrängen zu wollen. Denn die Europäer würden lieber gestern als heute abziehen, und die USA werden dies morgen wohl tun. Es erweist sich jetzt als großer Fehler, dass die USA über keine wirkliche politische Strategie in Afghanistan verfügen, sondern nach wie vor fast ausschließlich auf eine militärische setzen.

Und auch die zu Jahresbeginn auf einer Konferenz in London verabschiedete Strategie, die auf die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte setzt und so auf die "Afghanisierung" des Konflikts zielt, orientiert sich vor allem an den Abzugsbedürfnissen in den USA und Europa und nicht an der Lage in dem Land und in der Region. Wenn die USA und die Nato aber Afghanistan sich selbst überlassen, ohne zuvor ein Minimum an regionaler Stabilität geschaffen zu haben, dann spricht alles dafür, dass nach relativ kurzer Zeit die islamistische Gefahr noch größer werden wird, als dies in den neunziger Jahren der Fall war.

Regionale Stabilität bedarf aber vor allem der Klärung der Rolle Pakistans in Afghanistan. Und dieselbe Herausforderung versteckt sich hinter der Formel "Einbindung der Taliban", denn diese haben ohne Pakistan keine Verhandlungsmacht. Der US-Sondergesandte Richard Holbrooke wäre daher jetzt wichtiger als General Petraeus, der Kommandeur der internationalen Schutztruppe - denn der Schlüssel für Afghanistan liegt in der pakistanischen Hauptstadt Islamabad und nicht in Kabul. In Islamabad wird man eine regionale Lösung verhandeln müssen, und dafür sind gegenwärtig die Bedingungen keineswegs aussichtslos. Allerdings hängt unausgesprochen an dieser Frage die weitaus kompliziertere des indisch-pakistanischen Verhältnisses, und diese ist ein extrem dickes Brett.

Der Westen will abziehen und wird dies auch tun. Die Ironie der Geschichte allerdings könnte zu einem neuen, sehr viel gefährlicheren Krieg des Westens in dieser Region führen, wenn Iran an die Grenze der Nuklearwaffenfähigkeit kommt oder diese gar überschreitet. Alle Abzugspläne wären dann Makulatur.

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