Einigung bei Gesundheitsreform:"Ein wirklicher Durchbruch"

Fast zehn Stunden haben die Spitzen der großen Koalition in der Nacht verhandelt - und einen Kompromiss erzielt. Am frühen Morgen stellten sie die Eckpunkte der geplanten Reform vor.

Mit blassem Gesicht war Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach der auch für Berliner Verhältnisse ungewöhnlich langen nächtlichen Marathonsitzung um 5.25 Uhr zusammen mit dem SPD-Vorsitzenden Kurt Beck und CSU-Chef Edmund Stoiber im Kanzleramt in Berlin vor die nicht weniger ermattete Presse getreten.

"Das ist ein wirklicher Durchbruch, den wir hier schaffen", sagte Merkel. Steuererhöhungen wird es zunächst nicht geben.

Nach den Worten der Kanzlerin steigen von 2007 an die Beiträge für die gesetzliche Krankenversicherung in der Größenordnung von 0,5 Prozentpunkten. Die Strukturreformen würden erst mittelfristig Geld einsparen.

Stufenweise Umfinanzierung

Außerdem habe man sich auf den Einstieg in eine stufenweise Umfinanzierung der Krankenkassenkosten für Kinder aus Steuermitteln geeinigt.

Von 2008 an sollen 1,5 Milliarden Euro, ab 2009 dann drei Milliarden Euro aus Steuern aufgebracht werden. Die Steuermittel würden in den Folgejahren aufgestockt. Verschwendungen sollen eingedämmt werden.

SPD-Chef Beck kündigte an: "Es wird keine Leistungskürzungen geben." Behandlungen beispielsweise nach Piercing müssten aber selbst versichert werden. Künftig werde aber jeder in Deutschland krankenversichert sein.

Die privaten Krankenkassen müssten künftig alle aufnehmen (Kontrahierungszwang). Er sprach von einer "Reform, die deutlich über den Tag und das Jahr hinausweist".

Die Gesundheitsreform geht nach Ansicht des stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion Wolfgang Zöller (CSU) nicht zu Lasten der Versicherten. Zöller sagte am Montag im Deutschlandfunk, es sei besser, "die Leute an den Kosten zu beteiligen als ganze Leistungsbereiche auszugrenzen".

Als Alternative zu den Beitragserhöhungen von 0,5 Prozentpunkten ab 2007 hätte es nur die Möglichkeit gegeben, die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen einzuschränken, sagte Zöller.

"Eher bescheidener Durchbruch"

Der Kompromiss ist jedoch auf kritische Reaktionen gestoßen. Von einem "eher bescheidenen Durchbruch" sprach der Wirtschaftsweise Bert Rürup im ZDF-Morgenmagazin.

Der FDP-Gesundheitspolitiker Daniel Bahr nannte die Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge einen "Hammer" und äußerte die Erwartung, dass dem auch noch eine Steuererhöhung folgen werde.

Darauf laufe der Beschluss hinaus, jedes Jahr 1,5 Milliarden Euro mehr in das Gesundheitswesen zu stecken, argumentierte der Oppositionsabgeordnete in der selben Sendung.

"Sie sagen zwar nicht, dass damit eine Steuer erhöht wird, aber ich sage Ihnen voraus, in ein paar Jahren wird das natürlich eine Steuererhöhung bedeuten", fügte Bahr hinzu. Etwas anderes gebe der Haushalt nicht her. "Diese Entscheidung gestern ist die Steuererhöhung von morgen", sagte der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion weiter.

"Gigantische Geldsammelstelle"

Bahr kritisierte vor allem die geplante Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge. "Die schwarz-rote Koalition kauft sich einen Kompromiss mit dem Geld der Beitrags- und der Steuerzahler, weil sie strukturell nicht wirklich etwas vorangebracht haben." Statt die Lohnzusatzkosten zu senken, steige zum 1. Januar 2007 sowohl der Krankenversicherungsbeitrag als auch der Rentenbeitrag.

"Das ist alles ein verheerendes Signal für den Arbeitsmarkt", kritisierte Bahr. Der Gesundheitsfonds werde eine "gigantische Geldsammelstelle", die nur der Gesichtswahrung beider Seiten diene.

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