Einheitsfeier:Mainz, wie es singt und hadert

Die Feier zum Tag der Deutschen Einheit findet im Zeichen des AfD-Wahlerfolgs statt. Festakt und Fest zeichnen ein Bild deutscher Ambivalenz. Politiker und Volk feiern getrennt.

Von Susanne Höll, Mainz

Die Wahl der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) fiel auf Beethovens "Ode an die Freude". Die Götterfunken-Hymne hatte sich Dreyer ausgesucht als jene Melodie, die am Nachmittag des 3. Oktober in allen Ecken von Mainz öffentlich dargeboten wurde. Ein musikalischer Flash-Mob, sozusagen. Mit dem gemeinsamen Singen möchte Dreyer ein Ritual für die Einheitsfeiern begründen. Eine nette Idee. Aber mag man in diesen Tagen ein Lied über die Freude trällern?

Schließlich hat Deutschland nach dem ernüchternden Ergebnis der Bundestagswahl nicht besonders viel Grund zur Freude. Das räumten alle diejenigen ein, die an diesem Feiertag öffentlich das Wort ergreifen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht von Rissen und neuen Mauern, die sich durch Deutschland ziehen. Dreyer beklagt Provokationen politischer Eiferer, verweist auf Terror, Krieg, missmutige oder verängstigte Bürger. Sie stellt fest: "Das alles stellt unsere politische Kultur auf den Prüfstand." Das Kürzel AfD fällt an diesem Tag nicht. Aber jeder weiß, von wem die Rede ist. Dies alles klingt ziemlich freudlos, aller ansonsten bekundeten Dankbarkeit über Einheit und den Zusammenschluss Europas zum Trotz. Am Einheitstag 2017 manifestiert sich in Mainz eine irritierende deutsche Ambivalenz.

Über den Dächern kreisen Polizeihubschrauber; Politiker und Volk feiern getrennt

Zum Beispiel am Vormittag im Dom, beim ökumenischen Gottesdienst. Bischof Peter Kohlgraf sagt, die Deutschen lebten heutzutage vielleicht nicht in einem gelobten, wohl aber in einem "prächtigen Land". Vor ihm sitzt die gesamte Spitze des Staates. Ein paar Meter weiter, in einer kleinen Seitenkapelle, stehen Polizisten eines Spezialkommandos bereit, in Kampfmontur und mit schweren Waffen, für den Fall, dass sich ein böswilliger Eindringling Zugang zum Gotteshaus verschafft.

Tag der Deutschen Einheit in Mainz

„Zusammen sind wir Deutschland“. So lautete das Motto der Party in Mainz – auch wenn die Menschen erst nach strengen Sicherheitskontrollen zum Dom vorgelassen wurden.

(Foto: Thomas Frey/dpa)

In der Kirche, aber auch beim Festakt wertschätzt jeder Redner die Freiheit, die man seit der Vereinigung vor 27 Jahren genießen kann. Rund um den Dom und die Rheingoldhalle sind die Straßen mit Gittern versperrt und von Polizisten gesäumt. Nur ausgewählte Gäste dürfen sich in der Altstadt bewegen, das Volk muss hinter den Barrikaden bleiben. Die Sorge vor einem Attentat lässt die Altstadt zur Festung mutieren. Über den Dächern kreisen Polizeihubschrauber und Spähdrohnen der Sicherheitsbehörden. Freiheit? Die sah früher einmal anders aus.

Nur eine einzige kurze Begegnung der Staatsspitzen mit normalen Einheitsgästen ist eingeplant. Nach dem Gottesdienst schütteln Steinmeier, Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), Kanzlerin Angela Merkel (CDU), Dreyer und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, die Hände einiger Besucher. Die politische Elite wird abgeschirmt. Das hat zudem den Vorteil, dass sie nicht ausgepfiffen werden kann von irgendwelchen angereisten Störern.

Tag der Deutschen Einheit in Mainz

In der Rheingoldhalle sprach Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über neue Mauern in Deutschland – die Polizeikette hatte er aber nicht gemeint.

(Foto: Arne Dedert/dpa)

Der eine oder andere in der rheinland-pfälzischen Politik denkt darüber nach, ob ein Bundesland in Zeiten internationalen Terrors die strikten und aufwendigen Sicherheitsvorkehrungen für solche Staatsereignisse noch stemmen kann. Soll sich die Polit-Elite künftig an jedem 3. Oktober in Berlin treffen, während die Länder nur noch Volksfeste organisieren? Volker Wissing, Wirtschaftsminister von der FDP in Mainz, schüttelt energisch mit dem Kopf. "Wir sind doch kein Zentralstaat", sagt er.

Wissing und andere Politiker mischen sich nach dem Festakt noch unter die Menschen. Der Bundespräsident empfängt in der Rheingoldhalle eine Bürgerdelegation. Frank-Walter Steinmeier hatte für seine Rede viel Beifall erhalten, Zwischenapplaus für die Bemerkung, dass jeder Mensch mindestens eine Heimat brauche und dass man diesen Inbegriff von Zugehörigkeit nicht Nationalisten überlassen dürfe, die von Blut und Boden schwafelten. Er sprach auch über die Zwiespältigkeit der Geschichte - die hellen Seiten und den großen Schatten der NS-Vergangenheit. Ambivalenz allüberall.

Dann aber spürt man sie doch, die Freude von Mainz. Hundertausende ziehen, manchmal im Gänsemarsch, entlang der Absperrungen zu den Plätzen, auf denen das inzwischen traditionelle Bürgerfest stattfindet. Die Bundesregierung stellt sich vor, der Bundestag auch, jedes Bundesland hat ein Zelt aufgebaut und offeriert regionale Spezialitäten. Es gibt Musik, Konzerte, Diskussionen und - man ist schließlich im Rheinhessischen - Wein aus der Gegend. Der Himmel ist blau geworden, kein Regen mehr. Aber so, wie man die Mainzer kennt, wären sie auch bei Nässe gekommen. Sie sind Meister im Feiern. Und gute Gastgeber sind sie obendrein. Allesamt Leute, von denen der Bundespräsident sagt, sie hielten das Land zusammen und stifteten Einheit in diesen gerade etwas unübersichtlichen Zeiten.

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