Einflussnahme auf Politiker:Wie chinesische Agenten den Bundestag ausspionieren

Einflussnahme auf Politiker: Im Sommer 2016 machte ein angeblicher Manager aus China einem Außenpolitiker des Bundestages ein attraktives Angebot.

Im Sommer 2016 machte ein angeblicher Manager aus China einem Außenpolitiker des Bundestages ein attraktives Angebot.

(Foto: plainpicture; dpa; Collage SZ)
  • China ist in der politischen Spionage aggressiver geworden, Verfassungsschutz-Chef Maaßen warnt vor einem "breit angelegten Versuch der Infiltration insbesondere von Parlamenten, Ministerien und Behörden".
  • Auch andere Länder beobachten, dass Pekings Spione sich zunehmend bemühen, Parlamente zu unterwandern.
  • Am Montag werden in Berlin ein Dutzend chinesische Minister erwartet. Dabei geht es um ein Versprechen an Kanzlerin Merkel: Dass der chinesische Staat seine Wirtschaftsspionage einstellt.

Von Christoph Giesen, Peking, und Ronen Steinke, Berlin

Es war Sommer 2016, als ein Abgeordneter der Union im Bundestag eine schmeichelhaft klingende Anfrage bekam. Der Absender war ein chinesischer Manager namens Jason Wang. Der unbekannte Herr Wang lobte die Expertise des Abgeordneten, der als außenpolitischer Kopf gilt. Der Chinese machte einen seriösen Eindruck, laut seinem Online-Profil in sozialen Medien war er vernetzt mit anderen deutschen Politikern und angesehenen Forschern. Und er machte ein verlockendes Angebot. Es ging um mindestens 30 000 Euro. Als Einstiegsprämie. Der Abgeordnete sollte "Analysen" liefern. Mehr nicht. Leicht verdientes Geld.

So fängt es an. Das Angebot weckte das Interesse des Abgeordneten. Er begann, mit Wang Nachrichten auszutauschen. Erst ging es nur allgemein um Außenpolitik. Dann langsam auch um brisantere Fragen, um Details aus dem Politikbetrieb. Gerade noch rechtzeitig, bevor Geld floss, ging die deutsche Spionageabwehr dazwischen: Beamte des Bundesamts für Verfassungsschutz nahmen den Parlamentarier zur Seite, informierten ihn. Als er verstand, wer sich in Wahrheit hinter "Jason Wang" verbarg, soll der Abgeordnete schockiert gewesen sein, so bestätigten es verschiedene mit dem Vorgang vertraute Personen der Süddeutschen Zeitung.

China war der Weltmeister der Wirtschaftsspionage

Bei den Worten "China" und "Spionage" dachte man lange eher an Raubkopien. China war der Weltmeister der Wirtschaftsspionage, versinnbildlicht durch den chinesischen Praktikanten, der immer einen USB-Stick am Schlüsselbund trägt. Inzwischen aber ist das Land auch in der politischen Spionage aggressiver geworden, Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen warnt vor einem "breit angelegten Versuch der Infiltration insbesondere von Parlamenten, Ministerien und Behörden". Dass China offenbar selbst vor Bundestagsabgeordneten nicht haltmacht, ist der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die man öffentlich bislang wenig wahrnahm.

Hinter "Jason Wang" steckte Chinas Ministerium für Staatssicherheit. Mindestens 500 solcher gefälschter Profile betreibt es im Karrierenetzwerk Linkedin, um sich unauffällig an Deutsche heranzutasten. Die Profilfotos gehören in Wahrheit asiatischen Schauspielern oder Models, die wahrscheinlich nichts davon ahnen. Das Bild zu "Laeticia Chen" zum Beispiel, laut Profil die Managerin eines "China Center of International Politics and Economy (CCIPE)", wurde offenbar dem Katalog einer Modekette entnommen. Auch "Jason Wang", angeblich Manager eines Verbandes, der die Beziehungen zu China verbessern will, ist erfunden.

Nur bei einer Sache lügen Chinas heimliche Anwerber im Berliner Regierungsviertel angeblich nicht: bei ihrer Nationalität. "Jason Wang" und "Laeticia Chen" geben sich als Chinesen zu erkennen. Früher oder später, so lautet wohl das Kalkül, werde der Deutsche das ohnehin merken, früher oder später strebt man ein persönliches Treffen an. Ziel ist es, ihn dann zu einem Besuch in China zu bewegen, so beobachten es die Sicherheitsbehörden. Dort habe Peking "alle Möglichkeiten", Handys und Laptops mit Viren zu infizieren. Und vor allem, die Person unter Druck zu setzen.

Schwarz-rot-goldene Hüllen vom Verfassungsschutz

Bevor Politiker nach China reisen, teilt der Verfassungsschutz zwar stets schwarz-rot-goldene Hüllen aus, so groß wie iPads. Wenn die Abgeordneten ihr Hotelzimmer verlassen, sollen sie vorher ihre Geräte darin einpacken. "Aber das sind letztlich Spielchen", sagt Hans-Peter Uhl, der als langjähriger CSU-Abgeordneter zuletzt im Oktober 2016 in China war. "Da kann man hinterher feststellen, ob jemand sich am Gerät zu schaffen gemacht hat. Aber dann ist es eh schon passiert."

Ein Spion mit Bundestagsmandat - das wäre für Chinas Dienste ein großer Erfolg gewesen, zumal der Abgeordnete, der fast auf die Masche der Anwerber hereingefallen wäre, in seiner Fraktion eine nicht unwichtige Rolle spielt. Die SZ hat bei ihren Recherchen viel über die betroffene Person erfahren, die Beschreibung passt letztlich aber auf zwei Abgeordnete gleichermaßen. Darauf angesprochen, stritten beide ab, betroffen zu sein. Eingeweihte, die den Fall näher kennen, wollten den Namen auch nicht preisgeben. Sie meinen: Der betroffene Abgeordnete habe nicht geahnt, worauf er sich einließ. "Aus einer gewissen Unbedarftheit", sagt ein Fraktionskollege. Der Verfassungsschutz äußerte sich zu dem Fall auf Anfrage nicht. Chinas Botschaft bestritt auf Anfrage die Vorwürfe, sie entbehrten "jeglicher Grundlage".

Spricht man mit Sicherheitsexperten in Berlin, bestätigen sie allerdings sogar noch eine zweite Geschichte. Jüngst soll es Chinas Agentenführern gelungen sein, einen Informanten aus dem Bundestag nach China zu fliegen. Es soll nicht der schon erwähnte Parlamentarier gewesen sein, sondern eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter eines anderen Abgeordneten, er oder sie flog mehrmals zu den Auftraggebern nach China. Dieser Kontakt soll ebenfalls über "Jason Wang" gelaufen sein. In diesem Fall floss auch bereits Geld. Für mehrere "Analysen" mitten aus dem deutschen Parlament wurden demnach insgesamt 10 000 Euro bezahlt.

Die "öffentliche Sicherheit", wie man in China sagt, ist gefürchtet

Die Aufklärung dieser Fälle findet vor dem Hintergrund einer größeren, auch strategischen Diskussion statt. Viel war in den vergangenen Jahren von russischen Geheimdiensten und ihren Hackern die Rede - dabei seien Chinas Spione viel gefährlicher, heißt es im Bundeskanzleramt. Russland wolle nur zerstören, Chaos stiften, ohne klares Ziel. China dagegen wolle langfristig steuernden Einfluss gewinnen, das sei am Ende viel bedrohlicher. Hinzu kommt die schiere Größe. Mehr als eine Million Mitarbeiter, so schätzte jüngst der Bundesnachrichtendienst, besitze Chinas Geheimdienstapparat. Zwar hält Peking damit zuvorderst die eigene Bevölkerung in Schach. Die Gong'an, die "öffentliche Sicherheit", wie man in China sagt, ist gefürchtet. Aber je mehr das kommunistische Regime sich einer außenpolitischen Strategie der Dominanz verschreibt, desto mehr nutzt es diese gigantischen Ressourcen auch für die Auslandsspionage.

Schon andere Länder haben bemerkt, dass Pekings Spione sich zunehmend bemühen, Parlamente zu unterwandern. In den USA gab es einige solcher Fälle, sagt der China-Experte Peter Mattis, der seit Jahren für amerikanische Thinktanks zum Thema forscht. "Aber bisher nahm man an, dass Chinas Spione sich darauf beschränken, Mitarbeiter von Abgeordneten anzuwerben. Keine Abgeordneten selbst." Letzteres, sagt Mattis, erscheine als besondere Provokation. Das sei neu.

Ungeniert zu sein, das sei das Markenzeichen chinesischer Spione, sagt ein ranghoher deutscher Sicherheitsbeamter, der nicht dem Verfassungsschutz angehört. "Dreist, hemmungslos - und zwar mit Anlauf", so arbeiteten die Chinesen, im Gegensatz übrigens zu ihren sehr viel vorsichtigeren russischen Pendants. Daran wird sich mancher in der Bundesregierung von Montag an wieder erinnern.

Dann nämlich trifft hoher Besuch in Berlin ein, erwartet werden ein Dutzend chinesische Minister. Deutsch-chinesische Regierungskonsultationen, so nennt sich das. Beim letzten Mal traf man sich 2016 in Peking, Bundeskanzlerin Angela Merkel flog mit fünf Ministern und sechs Staatssekretären hin und kam mit einem Versprechen zurück, das sehr sperrig klingt: Cyberkonsultationsmechanismus. Im Klartext: Der chinesische Staat soll endlich seine Wirtschaftsspionage einstellen. Es ist eine Art kleines No-spy-Abkommen, unterschrieben von beiden Seiten.

Heute weiß man, dass etwa zur selben Zeit, als Merkels Leute fort waren, Chinas Spione bis in den Bundestag vordrangen.

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