Einbürgerungsrecht:Neue Bürger für das Land

Die Innenminister und Innensenatoren, die heute über ein strengeres Einbürgerungsrecht diskutieren, sind Gefangene - der öffentlichen Meinung, der Umfragen und der Geschichte.

Heribert Prantl

Die deutschen Innenminister und Innensenatoren, die sich heute in Garmisch-Partenkirchen treffen und über ein einheitliches, strengeres Einbürgerungsrecht diskutieren wollen, sind Gefangene.

Einbürgerung
(Foto: Foto: dpa/sueddeutsche.de)

Gefangen genommen wurden sie nicht von ihrem Gastgeber, dem bayerischen Innenminister Günther Beckstein, der derzeit der Innenministerkonferenz vorsitzt; dieser gehört nämlich, wie Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble auch, selber zu den Befangenen und Gefangenen:

Befangen sind sie in Anbetracht einer öffentlichen Meinung, die sich seit den islamistischen Gewalttaten vom 11. September 2001 immer stärker gegen Ausländer kehrt; und gefangen sind sie von demokratiefernen, aber überlieferten Vorstellungen über Staat und Nation, in denen sich ein falscher Traum von Homogenität erhalten hat.

Angst vor Überfremdung

Aktuelle Befangenheit: Ausweislich neuer Umfragen sehen 54 Prozent der Deutschen angesichts der hier lebenden Ausländer "eine Gefahr der Überfremdung"; vor fünf Jahren, also vor den islamistischen Gewalttaten, waren das nur 33 Prozent.

Historische Gefangenheit: Es geht um Befreiung von den Resten eines nationalethnischen Denkens und um eine Hinwendung zu dem, was die Franzosen und Amerikaner als "Citoyenneté" und "Citizenship" bezeichnen - diese Begriffe schließen seit jeher ein partizipatorisches und demokratisches Element ein.

In Frankreich und den USA entwickelte sich der Staat mit der Nation, in Deutschland kam der Staat viel später; die "Nationalität" (definiert nach ethnischen und kulturellen Zugehörigkeitskriterien) behielt daher ihre vorpolitische und vorstaatliche Bedeutung, und prägte immer wieder und immer noch die Vorstellung vom "deutschen Staatsbürger". Es ist Zeit, sich davon zu befreien.

Demokratie ist eine Gemeinschaft, die ihre Zukunft miteinander gestaltet:

Das muss der Ausgangssatz sein für alle Überlegungen zur Staatsbürgerschaft und zur Einbürgerung. Zu dieser zukunftsgestaltenden Gemeinschaft gehören natürlich auch die ausländischen Inländer - die Ausländer also, die seit langem als Bürgerin und Bürger hier leben und hier bleiben wollen.

Ein nationales Interesse an Einbürgerung

Man verschärft die Minderheitenprobleme, die es in Deutschland schon jetzt gibt, wenn die Minderheiten im Lande auf Dauer außerhalb des Staatsverbandes leben.

Es gibt also ein nationales Interesse an Einbürgerung derjenigen Bürger, die noch nicht Staatsbürger sind - und ein Interesse daran, die Eingebürgerten nicht als fremdnationale Minderheiten zu qualifizieren und zu diskreditieren, weil sonst Staatsbürgerschaften erster und zweiter Klasse entstehen. Homogenisieren kann man die Milch, nicht die deutsche Gesellschaft.

Sie braucht staatsbürgerschaftliche Einheit in kultureller Vielfalt. Vor zehn Jahren hat Jürgen Habermas die Staatsbürgerschaft beschrieben als "eine neue Ebene der rechtlich vermittelten Solidarität".

Würden die Innenminister über diesen Satz nachdenken, wäre dies ein Akt der Selbstbefreiung und ein guter Ausgangspunkt für künftig einheitliche Einbürgerungskriterien.

Man darf dabei die Staatsbürgerschaft nicht, wie dies ein billiger Jakob mit Hosenträgern und Gurkenhobeln tut, zu Niedrigstpreisen verhökern.

Die Staatsbürgerschaft hat nach wie vor hohen Wert - sie ist die höchste Stufe des gesicherten Aufenthalts, viel stärker als die Niederlassungserlaubnis, die nämlich erlischt, wenn der hier lebende Ausländer sich länger als sechs Monate im Ausland aufhält.

Letzteres gilt allerdings nicht für die Türken in Deutschland, weil sie nach dem Assoziationsabkommen die EU-Gemeinschaftsrechte und den Abschiebungsschutz genießen, wie die Angehörigen von EU-Staaten auch. Bei der sozialrechtlichen Behandlung macht es eh keinen Unterschied, ob der in Deutschland lebende Ausländer sich einbürgern lässt oder nicht.

Einbürgerung bedeutet auch Pflichten

Mit der Einbürgerung kommen auch und vor allem Pflichten auf den Neubürger zu: Die Wehrpflicht zum Beispiel. Man sollte also das Einbürgerungsrecht nicht als Abschreckungsrecht gestalten; es sollte Teil der Werbung für dieses Land und seine rechtsstaatliche Ordnung sein.

Das neue Staatsbürgerschaftsrecht, das am 1. Januar 2000 in Kraft getreten ist, schafft das offensichtlich nicht. Es hatte eigentlich die Einbürgerung erleichtern sollen.

Doch was ist passiert? Die Einbürgerungszahlen sinken seit dem Jahr 2000 kontinuierlich; sie haben sich schon fast halbiert. Es wäre fatal, wenn diese Tendenz nun auch noch mit neuen Gesetzen und Richtlinien verschärft und der deutsche Pass so noch höher gehängt würde als bisher.

"Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, ein Pass niemals.

Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird".

Bert Brechts beißender Spott ist schon Jahrzehnte alt, aber immer noch ein treffender Kommentar zur Mystifizierung der Staatsangehörigkeit.

Die Innenministerkonferenz sollte in ihrer Abschlusserklärung den letzten Satz Brechts widerlegen: Es geht um die Anerkennung des ausländischen Bürgers als Staatsbürger.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: