Ein Jahr nach dem Tod von Jürgen Möllemann:Guido Westerwelle: "Man reift"

Der Parteivorsitzende der FDP über die schwierige Zeit nach dem Tod von Jürgen Möllemann, die Krise der Liberalen und die gute Laune in der deutschen Politik. Ein Interview des SZ-Magazins.

Guido Westerwelle, Jahrgang 1961 und seit drei Jahren Parteivorsitzender der FDP, ist ein Kind der Popkultur. Kein anderer deutscher Spitzenpolitiker liebt die Inszenierung so sehr wie der Rheinländer. Ein Interview von Dominik Wichmann.

Westerwelle

"Ich hatte einen Durchhänger, den ich nur sehr, sehr mühsam bewältigen konnte."

(Foto: Foto: AP)

SZ-Magazin: Herr Westerwelle, vor einem Jahr nahm sich Ihr Parteifreund Jürgen Möllemann das Leben. Sie haben über diese Tragödie bisher nicht gesprochen. Warum?

Guido Westerwelle: Der Tod Jürgen Möllemanns war für mich und meine Partei ein tragisches Ereignis, beinahe eine Art griechischer Tragödie. Unmittelbar danach war ich erst geschockt, dann brauchte ich Zeit. Ich hatte einen Durchhänger, den ich nur sehr, sehr mühsam bewältigen konnte.

SZ-Magazin: Wie kann man sich das vorstellen?

Westerwelle: Ein außen Stehender, der persönlich nicht betroffen ist, kann das wahrscheinlich nur schwer nachempfinden. Bislang war es ja für mich immer nur bergauf gegangen. Fleiß und Engagement wurden bei mir zwar anerkannt, aber immer wieder hörte ich auch, mir würden Rückschläge und Niederlagen für meine persönliche Entwicklung fehlen.

Heute weiß ich, dass das so falsch nicht war. Man reift. Das theoretische Wissen über Erfahrungen kann niemals das tatsächliche Erleben ersetzen.

SZ-Magazin:Das klingt sehr abstrakt. Ein Beispiel bitte.

Westerwelle: Einerseits erfuhr ich eine Welle der Solidarität von Leuten, die sich offenbar in meine Situation hineinversetzen konnten. Andererseits gab es leider auch üble Zeugnisse des Opportunismus: Kollegen, Parteifreunde und Journalisten, die plötzlich das Weite suchten.

SZ-Magazin: Sie werden doch nicht behaupten wollen, dass Sie in Ihrer bisherigen politischen Laufbahn noch nicht bemerkt haben, dass Speichelleckerei ein Teil des politischen Alltags ist?

Westerwelle: Noch mal: Etwas theoretisch nachzuvollziehen ist etwas anderes, als es am eigenen Leibe zu erfahren. Dieselben Schreiber, die mir monatelang vorgehalten hatten, ich sei zu sanft und zu nachgiebig mit Jürgen Möllemann umgegangen, behaupteten plötzlich, ich hätte ihn mit unnachgiebiger Härte in den Tod getrieben.

SZ-Magazin: Haben Sie sich niemals auch selbst diesen Vorwurf gemacht?

Westerwelle: Nein. Und je mehr Details der Aktivitäten Jürgen Möllemanns ans Licht kommen, desto mehr verstehen die Leute, dass ich so handeln musste, wie ich handelte. Es gab keine Alternativen.

SZ-Magazin:Täuscht der Eindruck, dass Sie sich während des vergangenen Jahres der Öffentlichkeit regelrecht entzogen haben?

Westerwelle: Ich habe mich aus dem gesellschaftlichen Leben gezielt abgemeldet, habe viel Sport gemacht und bin ausnahmsweise richtig lange in den Urlaub gefahren.

SZ-Magazin:Fühlten Sie sich in dieser Zeit einsam?

Westerwelle: Nein, aber ich habe mich sehr ins Privatleben zurückgezogen und habe mich auf meinen inneren Kompass konzentriert. Man muss lernen, auf sich selbst zu hören, denn die öffentliche Meinung kennt keinen inneren Kompass. Ich musste die Freude an der Arbeit wiederbekommen.

SZ-Magazin: Ihre Partei hat unter diesem Durchhänger ziemlich gelitten.

Westerwelle: Richtig ist, dass auch die Partei in ein Loch gefallen ist. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass wir die letzte Bundestagswahl verloren haben und die ersten beiden Jahre in der Opposition immer sehr frustrierende Jahre sind. Die FDP ist getaumelt und ich bin es auch.

SZ-Magazin:Und jetzt wollen Sie uns sicher mitteilen, dass diese Zeit vorbei ist, stimmt's?

Guido Westerwelle: "Man reift"

Westerwelle: Genau so ist es.

SZ-Magazin: Trotzdem hat man den Eindruck, dass die FDP seit Möllemanns Tod an inhaltlicher Substanz verloren hat, weil es Ihnen nicht gelingt, die politische Debatte mit Schlagworten und Formeln zu bestimmen.

Westerwelle: Ihre Vermutung ist definitiv falsch. Dieser Eindruck hört sich doch nur deshalb schlüssig an, weil er unmöglich zu widerlegen ist: Kein Mensch kann wissen, was ohne den Tod Möllemanns passiert wäre.

SZ-Magazin: Was ist dann eigentlich aus dem "Projekt 18" geworden? Existiert es noch?

Westerwelle: In seinem Kern ja.

SZ-Magazin: Also nein.

Westerwelle: Sie irren, wenn Sie glauben, das "Projekt 18" bestehe lediglich aus einer Zahl.

SZ-Magazin: Aus was denn sonst?

Westerwelle: Es geht dabei um zwei Inhalte, die unverändert gelten. Erstens: Die FDP ist eine Alternative zu allen anderen Parteien, also auch zu den Konservativen. Zweitens: Die FDP darf nie nur die Interessenvertretung eines Teils der Gesellschaft sein. Sozusagen die Partei der Beletage. Wir müssen den Wählern klar machen, dass der Liberalismus eine Haltung zum Leben ist und nicht das Privileg allein stehender junger Großstädter, die gern im Cabrio fahren. Und ich fahre selbst gern Cabrio.

SZ-Magazin: Einmal abgesehen von der Krise, die Jürgen Möllemanns Tod für Ihr Leben ausgelöst hatte: Haben Sie mit ihm nicht auch einen innerparteilichen Widersacher verloren, an dem Sie Ihr politisches Profil schärfen konnten?

Westerwelle: Zur Profilbildung bietet diese Regierung weiß Gott genug Vorlagen. Vor unserer offenen Gegnerschaft hat mich mit Möllemann ein langjähriges gemeinsames Wirken, gelegentlich sogar eine gewisse emotionale Nähe verbunden. Die Trennung zwischen ihm und mir, die Trennung zwischen der FDP und Jürgen Möllemann vollzog sich aber schon lange vor seinem Tod.

SZ-Magazin: Hat sich in Deutschland die Inszenierung von Politik durch den Tod Jürgen Möllemanns verändert?

Westerwelle: Wieso sollte sie das?

SZ-Magazin: Kein deutscher Politiker stand so sehr für das bisweilen lächerliche Marketing politischer Inhalte.

Westerwelle: Ich glaube nicht, dass sich da etwas wesentlich verändert hat. Und auch ich selbst bin unverändert der Überzeugung, dass man zwar gute Ideen haben kann, sie einem aber nichts nützen, wenn man nicht in der Lage ist, durch unkonventionelles Handeln Aufmerksamkeit zu erzeugen.

SZ-Magazin: Kein Wunder, dass Sie das so sehen: Möllemann selbst nannte Sie einmal einen "geistigen Bruder in der politischen Vermarktung".

Westerwelle: Wenn man der gleichen Partei angehört, dann gibt es eben auch eine Menge an Gemeinsamkeiten. Ich bin der Meinung, dass Politiker die Aufgabe haben, ihre Politik dem Volk zu vermitteln und zu übersetzen. Früher geschah das auf den Marktplätzen, heute in den Medien. Das ist auch der Grund dafür, dass ich so oft in Talkshows gehe.

SZ-Magazin: Nur Sabine Christiansen saß häufiger als Sie bei Sabine Christiansen.

Westerwelle: Das mag sein. Aber ich werde weiterhin versuchen, mit ungewöhnlichen Methoden die Menschen auf meine Politik aufmerksam zu machen. Dass ich in der Vergangenheit dabei manchmal überzogen habe, ist mir bewusst.

SZ-Magazin: Sie sprechen von Ihrem absurden Auftritt im "Guidomobil"?

Westerwelle: Nein. Das Guidomobil war ein sehr erfolgreiches Instrument meines Wahlkampfs. Selten zuvor kamen so viele Leute zu den Veranstaltungen.

SZ-Magazin: Verwechseln Sie da nicht Neugier mit Zustimmung?

Westerwelle: Keineswegs. Im Übrigen ist es besser, wenn Politiker Neugier wecken, als wenn sie Verdrossenheit erzeugen. Das Ding war erfolgreich und deshalb kann ich mir so ein Guidomobil auch gut im nächsten Bundestagswahlkampf vorstellen, denn...

SZ-Magazin: Ihre Glaubwürdigkeit ist eh schon beim Teufel.

Westerwelle: Politische Glaubwürdigkeit hat doch bitte nichts mit einem blau-gelben Wahlkampfmobil zu tun.

Guido Westerwelle: "Man reift"

SZ-Magazin: Einerseits präsentieren Sie sich in den Medien als Sammler zeitgenössischer Kunst, andererseits feiern Sie die spießige Einrichtung Ihres Guidomobils. Wie passt das zusammen?

Westerwelle: Ich bin eben beides. Sammler und Camper. Na und? Die blau-gelben Lampenschirme waren doch kein ästhetisches Bekenntnis, sondern erkennbare Ironie.

SZ-Magazin: Ist die Politik nicht zu ernst geworden für ironische Spielchen?

Westerwelle: Die großen Probleme unserer Zeit, die Massenarbeitslosigkeit, die terroristische Bedrohung, die Strukturreform unseres Staates, werden wir nicht bewältigen können, wenn wir die Lösung moralinsauren Wichtigtuern ohne Lebensfreude überlassen. Natürlich erfordert die Rolle des Parteivorsitzenden der FDP auch einen anderen Auftritt. Aber das hat nichts mit Inszenierung zu tun, sondern mit meiner gestiegenen Verantwortung.

SZ-Magazin: Von Joschka Fischer stammt der Satz, dass das Amt den Amtsinhaber schneller verändert als der Amtsinhaber das Amt. Trifft das auch auf Sie zu?

Westerwelle: Ich bin im Laufe der letzten zwei Jahre sicherlich nachdenklicher geworden. Trotzdem habe ich meinen Humor nicht verloren. Der Satz des Kollegen Fischer mag für ihn stimmen, für mich trifft er nicht zu. So will ich nicht werden.

SZ-Magazin: Wieso? Er hat alles, was Sie wollen: Er ist an der Regierung und er ist der beliebteste Politiker des Landes.

Westerwelle: Er wechselt seine Ansichten und Haltungen so oft, wie er glaubt, dass es ihm nützt. Von der Innen- bis zur Außenpolitik - er ist mir zu opportunistisch.

SZ-Magazin: Trotzdem gilt Joschka Fischer nicht als Chamäleon, sondern als glaubwürdig. Sie hingegen tragen seit Ihrer Pubertät Anzüge, wiederholen in Talkshows seit Jahren die gleichen Sätze und gelten dennoch als künstlich. Wie erklären Sie sich das?

Westerwelle: Darüber mache ich mir aber heute keine Gedanken mehr. Früher habe ich in der Tat mehr darüber nachgedacht, wie ich wirke und wie ich dem Image der Künstlichkeit entgegenwirken kann. Damit habe ich abgeschlossen.

SZ-Magazin: Wie inszeniert man Glaubwürdigkeit?

Westerwelle: Gar nicht. Glaubwürdigkeit kann man nicht spielen, man kann sie nur verkörpern. Einige meiner Berater sagen immer wieder, man müsse das Private nach außen kehren, sich total öffnen und den Medien alles erzählen. Ich halte das für vollkommen falsch.

SZ-Magazin: Warum?

Westerwelle: Wer einmal die Öffentlichkeit in sein Schlafzimmer lässt, wird sie nie wieder herausbringen. Mein Privatleben ist nichts Geheimnisvolles. Ich lebe mein Leben. Aber ich werde damit auch in Zukunft keine Werbung machen.

Ich werde mich nicht turtelnd im Pool auf Mallorca inszenieren. Ich finde es mies, wenn die Zeitungen über angebliche Eheprobleme des Bundeskanzlers schreiben. Ich lehne es ab, wenn der Außenminister mit seiner Freundin nicht einmal auf einer privaten Terrasse vor Fotografen sicher sein kann.

Ich will mein Privatleben nicht verstecken, aber ich will es schützen. Das ist mein Recht.

SZ-Magazin: Haben Sie mit Ihrem Lebensentwurf nicht manchmal die Befürchtung, den Zeitgeist zum Gegner zu haben? Bevorzugt unsere Zeit nicht eher einen Politiker-Typus, der sich mit Frau und Kindern vor seinem Reihenhaus in der Provinz ablichten lässt?

Westerwelle: Im Gegenteil. Unsere Gegenwart ist viel mehr geprägt durch den Abschied von der sorgenlosen Sattheit ehemaliger 68er. Die deutsche Politik steht vor einem Gezeitenwechsel: Die Tugenden aus der Zeit des Wirtschaftswunders werden wieder populärer werden.

Die damit verbundenen Herausforderungen entsprechen bis ins Detail der Agenda der FDP. Meine Partei wird von der veränderten Einstellung der Menschen zum Leistungsgedanken und zu Bürgergesellschaft sehr profitieren.

SZ-Magazin: In der Zeit des Wirtschaftswunders, den fünfziger Jahren, herrschten aber auch gesellschaftliche Enge und Intoleranz. Das kann es ja wohl nicht sein?

Westerwelle: Die Tugenden des Wirtschaftswunders zu wiederholen, ohne gleichzeitig in die Spießigkeit der Zeit zurückzufallen, das wird die große Herausforderung an die deutsche Gesellschaft sein. Verlässlichkeit, Fleiß und Anstrengung passen gut zu Toleranz, Weltoffenheit und Verantwortung. Ich freue mich auf die neue Zeit.

SZ-Magazin: Und deshalb haben Sie eingewilligt, sich für dieses Gespräch in einem Zirkus fotografieren zu lassen?

Westerwelle: Wer lacht, kann dennoch sehr ernst sein. So ein Zirkus hat ja viele Facetten: Da gibt es den Dompteur, den Direktor oder den Akrobaten in der Kuppel. Dass man bei einem Zirkus auch an Clowns denkt? Ich finde, als Politiker muss man auch über sich selbst lachen können.

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