Ein Jahr Kosovo:Freitod im Armenhaus

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Perspektivlosigkeit treibt viele Kosovaren in die Verzweiflung, eine Serie von Selbstmorden erschüttert das Land. Doch das Land macht auch Fortschritte.

Enver Robelli

Es geschah am helllichten Tag. Den Passanten und den Besuchern von Kaffeehäusern im Zentrum von Pristina stockte der Atem, als sie mitansehen mussten, wie ein junger Mann vom Balkon eines Hochhauses stürzte. Er war sofort tot. Und er war der 14. Kosovo-Albaner, der in diesem noch jungen Jahr den Freitod wählte.

Ein Bauarbeiter in Pristina: Der Staat investiert, neue Arbeitsplätze entstehen kaum. (Foto: Foto: AFP)

Die kosovarischen Medien haben diesem Thema lange keine Aufmerksamkeit geschenkt. Doch mehrere spektakuläre Suizide alarmieren inzwischen die Öffentlichkeit. Vergangene Woche setzte eine junge Frau in einem Dorf im Westen des Kosovo ihrem Leben ein Ende - sie hatte sich mit einem Kopftuch erhängt. Eine andere Frau sprang vom Damm eines Stausees und erlitt schwere Verletzungen.

Für Psychologen in Pristina ist es klar: Die Menschen begehen Selbstmord, weil sie keine Zukunft mehr sehen. Die Armut und die düsteren Aussichten spielen häufig eine Rolle, wenn Jugendliche im Kosovo den Freitod wählen.

Die Unabhängigkeit - das haben inzwischen fast alle Bürger des Kosovo erkannt - ist kein Allheilmittel gegen die Misere. Für die Bevölkerung hat sich im Alltag praktisch nichts geändert. Die Arbeitslosigkeit beträgt nach offiziellen Angaben 40 Prozent, in ländlichen Gebieten dürfte sie viel höher liegen. Neue Arbeitsplätze gibt es kaum, die dauerhafte Stromversorgung ist nicht gewährleistet.

Jedes Jahr strömen in dem 2,1 Millionen Einwohner zählenden Zwergstaat mehr als 30.000 Jugendliche auf den Arbeitsmarkt; fast die Hälfte der Bevölkerung lebt von 1,50 Euro pro Tag.

Und selbst Studenten und Künstler haben Schwierigkeiten, ein Schengen-Visum zu erhalten. Der unabhängige Kosovo bleibt weiterhin ein isoliertes Armenhaus in Europa.

Es gibt deshalb wenig zu feiern an diesem Dienstag, wenn sich die Unabhängigkeit zum ersten Mal jährt. Dennoch hat die Regierung 150.000 Euro zur Verfügung gestellt - für Konzerte, Jugendmärsche und für ein Feuerwerk. Dabei soll auch die textlose Nationalhymne gespielt werden.

Lesen Sie auf Seite zwei, welche Fortschritte das jüngste Land der Welt macht.

Die Regierung verweist auf ihre Erfolge. Tatsächlich wurden in den vergangenen zwölf Monaten im Eiltempo neue Straßen und Schulen gebaut. Arbeitsplätze sind aber kaum entstanden, weil keine ausländische Firma in einem Land investieren will, in dem Richter käuflich sind und der Rechtsstaat nach Angaben internationaler Organisationen erst im Aufbau begriffen ist. Laut Premier Hashim Thaci soll in diesem Jahr über den Bau eines neuen Braunkohlekraftwerks mit einer Leistung von 2100 Megawatt entschieden werden.

Die Regierung betreibe nur Hirnwäsche und habe überhaupt keine Strategie für die wirtschaftliche Entwicklung, meint Avni Zogiani, der eine Antikorruptions-Organisation leitet. Seit dem Amtsantritt Anfang 2008 sei Thaci nur damit beschäftigt, eigene Leute in Staatsunternehmen einzusetzen.

Zogiani kritisiert auch die undurchsichtige Rolle der israelischen Berater, die Thaci um sich geschart hat. Als rechte Hand des Premiers gilt der geheimnisumwitterte PR-Experte Ariel Raubvogel, der nach Berichten von Insidern auch bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen ein Wort mitredet. Er soll auch bei der erwarteten Entscheidung für den Bau des Stromkraftwerks bei Pristina eine Rolle spielen.

Saatchi & Saatchi sollen das Image pflegen

Trotz schlechter Wirtschaftsaussichten ist die Regierung jedoch nicht gefährdet. Sie genießt nach wie vor die Unterstützung der maßgeblichen westlichen Staaten, weil Thaci und seine Mannschaft auf serbische Provokationen wie die Zerstörung der Grenzposten im Norden des Landes nicht mit Gewalt reagiert haben.

In der Hauptstadt Pristina riskieren Besucher aus Belgrad oder Kosovo-Serben nicht mehr ihr Leben, wenn sie Serbisch sprechen. Und Autos mit Kennzeichen serbischer Großstädte sieht man überall im unabhängigen Kosovo. Das ist bei allen Rückschlägen doch ein kleiner Fortschritt, wenn man bedenkt, dass in Kroatien knapp 15 Jahre nach dem Krieg serbische Fahrzeuge häufig demoliert werden.

Um das schlechte Image seines Landes aufzupolieren, hat Premier Thaci kürzlich die PR-Firma Saatchi & Saatchi beauftragt, mit einer Werbekampagne den Kosovo in ein helleres Licht zu rücken. Das kostet den Kleinstaat knapp sechs Millionen Euro. Ein westlicher Diplomat empört sich über diese "Geldverschwendung". Mit zehn Millionen Euro, so der Mann, könnte die Regierung den Müll beseitigen, der im Kosovo überall herumliegt. Das wäre zurzeit womöglich die beste Werbung für den jüngsten Staat der Welt.

© SZ vom 17.02.2009/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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