Ehrung für Helmut Schmidt:Frieden mit der Geschichte

Helmut Schmidt und Waltrude Schleyer

Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt kondoliert im Herbst 1977 der Witwe des von RAF-Terroristen ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, Waltrude Schleyer, bei der Trauerfeier in Stuttgart.

(Foto: dpa)

Helmut Schmidt erhält den Preis der Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung: Die Familie des 1977 von der RAF ermordeten Arbeitgeberpräsidenten versöhnt sich mit dem Altkanzler. Er hatte sich damals geweigert, den Forderungen der Terroristen nachzugeben.

Von Joachim Käppner

Als alles vorüber war, hat er dem Mann noch einmal gegenüber gesessen, dessen Härte ihm den Atem geraubt hatte, gegen die er angegangen war mit Argumenten, Appellen, einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, alles vergeblich. Hanns-Eberhard Schleyer war 1978 Beauftragter des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund, und bei einem typischen Bonner Termin, es war der Abend der Auslandspresse, traf er erstmals wieder auf Helmut Schmidt. Ein Mitarbeiter kam und sagte: "Der Bundeskanzler würde sich freuen, wenn Sie an seinem Tisch Platz nehmen."

Hanns-Eberhard Schleyer erkannte die Größe der Geste und ging hinüber - zu dem Mann, der im Vorjahr die Staatsräson über das Leben des Vaters, von Hanns Martin Schleyer, gesetzt hatte. Schmidt und der Krisenstab hatten sich geweigert, den entführten Arbeitgeberpräsidenten auszutauschen gegen die inhaftierten Mörder der RAF. Da saßen sie nun, der Sohn des Opfers und der Regierungschef, und waren sprachlos. "Helmut Schmidt hat sehr wenig gesagt. Er war gehemmt. Vielleicht gab es damals einfach noch nichts zu sagen."

An diesem Freitag wird Helmut Schmidt mit dem Preis der Hanns-Martin-Schleyer-Stiftung ausgezeichnet, für seine Verdienste um die "Festigung und Förderung des freiheitlichen Gemeinwesens". Die Familie macht nun ihren Frieden mit der Geschichte und mit Schmidt. Hanns-Eberhard Schleyer hat den Preisträger selbst vorgeschlagen. Niemand sonst hätte das tun dürfen als jener damals erst 32-jährige, älteste von vier Brüdern, der Schmidt via Karlsruher Beschluss zwingen wollte, das Leben von Hanns Martin Schleyer zu retten, und sei es um den Preis, die Forderungen der RAF zu erfüllen. Doch das Verfassungsgericht gab der Regierung recht. Hanns-Eberhard Schleyer hatte gekämpft - und verloren. Und doch findet er manches, was ihn mit Schmidt verbindet.

"Für mich schließt sich heute ein Kreis", sagt Schleyer in seinem Anwaltsbüro hoch über Berlin-Mitte. Er ist ein großer, sorgfältig die Worte wägender Mann. "Helmut Schmidt und ich hatten am Ende doch eine gemeinsame Basis: Wir beide glaubten, das Richtige zu tun und die Demokratie gegen den Terror zu verteidigen. Wir waren einig, dass man ihn konsequent politisch-moralisch bekämpfen muss. Schmidt hat das sehr ernst genommen. Am Ende war dieser Kampf erfolgreich."

Herbst 1977: Die RAF hatte den Arbeitgeberpräsidenten Schleyer entführt, um ihre Gründergeneration aus dem Hochsicherheitsgefängnis Stuttgart-Stammheim freizupressen; ein palästinensisches Terrorteam kaperte die Lufthansa-Maschine Landshut. Muss ein Staat in dieser Lage nicht alles tun, um das Leben seiner Bürger zu schützen - selbst wenn er sich damit dem Terror beugt? So hatte es die Bundesrepublik gehalten, als 1972 die überlebenden Olympiaattentäter freigepresst wurden, als 1975 die RAF den CDU-Politiker Peter Lorenz entführte. Hanns-Eberhard Schleyer fragt noch heute: "Ist ein Staat nicht stärker, wenn er human handelt?"

SPD-Kanzler Schmidt sah das anders, wie er in dem Buch "Außer Dienst" schrieb: "Ich beschloß, mich niemals wieder auf einen solchen Handel einzulassen. Denn die Terroristen würden auf den Erfolg künftiger Geiselnahmen rechnen, die Freigelassenen aber würden sich zu neuen Verbrechen ermutigt fühlen." Schmidts Weggefährte und damaliger Regierungssprecher Klaus Bölling erinnert sich: "Helmut Schmidt hatte 1977 niemals vor, nachzugeben. Aber es war eine sehr schwere Entscheidung."

Schmidt kannte den Entführten gut, der wegen seiner NS-Vergangenheit im besetzten Prag nicht unumstritten war, er mochte ihn, so Bölling: "Mit Schleyer hatten wir endlich einen Arbeitgeberpräsidenten, der auf dem Boden des Grundgesetzes stand und die Gewerkschaften nicht als Feinde behandelte." Schleyer senior suchte den Konsens. Doch über sein eigenes Schicksal würde es keinen Konsens geben.

Den Vater verloren, als er den Kindern am nächsten war

Die Schleyer-Kinder verloren den Vater, als er ihnen am nächsten war, wie sich der Älteste erinnert: "Er tat sich schwer mit kleinen Kindern, konnte seine Gefühle ihnen gegenüber nicht gut zeigen. Das änderte sich sehr, als wir für ihn zu Gesprächspartnern wurden." Sie sprachen sogar offen über die Nazizeit des Vaters, etwas, nach dem andere Kinder ihre Eltern damals so vergeblich fragten: "Er erklärte mir, dass er an keinen Verbrechen beteiligt gewesen war - das war für mich eine ganz wichtige Aussage."

Schleyer hat den Söhnen auch gesagt, er werde im Falle einer Entführung jede Haltung der Regierung akzeptieren: "Aber was mein Vater nicht akzeptiert hat, war die ,quälende Ungewissheit', die er dann während seiner Gefangenschaft erleben musste und beklagt hat."

Bölling erinnert sich, wie der Sohn des Entführten 1977 nach Bonn kam, blass und müde, "aber sehr sachlich, sehr ruhig". Der junge Schleyer verhandelte zeitgleich mit Unterhändlern der Terroristen: "Ich hatte telefonisch Kontakt mit den Entführern und merkte bald, wie die Situation eskalierte. Sie spürten, wie groß der Fahndungsdruck wurde, und reagierten immer nervöser." Sie drohten: "Wir töten Ihren Vater!" Die Familie wollte Lösegeld zahlen, aber die Aktion scheiterte durch gezielte Indiskretionen aus der Bundesregierung.

Als Deutschland jubelte, weil die Anti-Terror-Einheit GSG 9 in Mogadischu die Passagiere der Landshut befreit hatte, fühlte sich die Familie Schleyer sehr allein. Eine Geisel gab es ja noch, die RAF nahm Rache und ermordete Schleyer. Bei der Trauerfeier kondolierte Schmidt der Witwe Waltrude; er wusste, was sie ihm vorwarf, fühlte sich "unausweichlich und schuldhaft in die Tragödie verstrickt". Diese Haltung hat es für Hanns-Eberhard Schleyer leichter gemacht, Schmidt zu verstehen: "Ich sah damals, wie er mit sich gerungen hat. Es hat ihn ja noch Jahrzehnte gequält."

Die Witwe Schleyers ist bis zu ihrem Tod 2008 nie darüber hinweggekommen, über die vielen Fragen, wie und ob man den Mann hätte retten können. Nüchtern sagt Hanns-Eberhard Schleyer heute: "Wenn meine Mutter noch gelebt hätte, wäre eine solche Entscheidung, wie den Preis an Helmut Schmidt zu vergeben, sehr schwer gewesen" - vielleicht unmöglich.

Der Sohn hat es der Vergangenheit nicht erlauben wollen, die Gegenwart zu dominieren. Die Erinnerung ist schmerzhaft, aber keine Obsession. Darum hat es Schleyer im Gegensatz zu anderen Angehörigen der RAF-Opfer auch nie interessiert, warum die Täter bis heute keine Reue zeigen: "Sie brauchen das wohl als inneren Selbstschutz. Wenn sie sich ernsthaft damit befassen würden, müssten sie ja verstehen, wie sinnlos das alles war: das Leid, das sie über andere und auch sich selbst gebracht haben." Diese Größe haben sie nicht. Aber das ist ihr Problem und nicht seines.

Kürzlich hat er Helmut Schmidt besucht und ihm die Entscheidung der Preis-Jury mitgeteilt. Da saßen die beiden Männer wieder beisammen, aber sie schwiegen sich nicht mehr an wie damals, 1978: "Dieses Treffen nun war sehr bewegend. Wir haben miteinander gesprochen - wirklich gesprochen."

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