Eherecht:Der Überlegene unterliegt

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Normalerweise ist ein Ehevertrag ein ganz normaler Vertrag, der frei gestaltet werden kann. Doch es gibt Grenzen: Der Bundesgerichtshof löste gerade einen Vertrag auf - wegen der übergroßen Dominanz des Ehemannes.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Dem Ehevertrag haftet der Ruf an, mit seiner Hilfe wolle die besser verdienende Hälfte des Paares den ärmeren Partner - meist ist es die Partnerin - ausgerechnet aus der finanziellen Sicherheit hinauskegeln, welche die Ehe doch eigentlich bieten soll. Der schlechte Leumund ist nicht ganz unverdient, weshalb die obersten Gerichte vor anderthalb Jahrzehnten begonnen haben, Eheverträge bei gravierender Benachteiligung eines Partners wegen Sittenwidrigkeit aufzuheben. Die Kontrolle erfasst aber nur den wirklichen Missbrauch, ansonsten gilt die Leitlinie: Vertrag ist Vertrag, und jeder ist auch seines Unglücks Schmied.

Dass die richterlichen Grenzen aber nicht nur Theorie sind, verdeutlicht ein an diesem Dienstag veröffentlichter Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH). Das Paar hatte 1993 geheiratet. Zwei Jahre später drang der Mann im Zuge einer Unternehmensumwandlung auf einen Ehevertrag - seine Mutter, Mitinhaberin der Firma, wollte das so. Unter der Überschrift "Ehevertrag und Erbverzicht" wurde also vereinbart, wie das Leben nach einer Scheidung weitergehen sollte - und zwar ohne Unterhalt, ohne Ausgleich der Rentenansprüche, ohne Aufteilung des ehelichen "Zugewinns". Einzige Ausnahme sollte der Unterhalt für die Betreuung gemeinsamer Kinder sein. 2012 stellte der Mann den Scheidungsantrag; zu diesem Zeitpunkt litt die Frau bereits seit Jahren an Multipler Sklerose. (Az: XII ZB 109/16)

Der BGH-Familiensenat hat den Ehevertrag nun wegen Sittenwidrigkeit aufgelöst und damit eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Bamberg bestätigt. Die Begründung zeigt indes: Nicht die Krankheit gab den Ausschlag, denn sie ist erst nach Abschluss des Vertrages aufgetreten. Auch die ökonomische Schieflage ist für sich gesehen noch kein Auflösungsgrund. Denn all die Einzelpunkte, die der Vertrag enthält, wären an sich zulässig gewesen - wenn man sie isoliert betrachtet. Der BGH hatte in seinem Grundsatzurteil von 2004 eine Art Ranking der Scheidungsfolgen aufgestellt. Ganz oben steht der Unterhalt für die Kinderbetreuung, dessen vertraglicher Ausschluss kaum möglich ist. Dann folgt der Unterhalt wegen Alters und Krankheit. Der gehört zwar zum "Kernbereich" der Ehe, ist aber dennoch vertraglich abdingbar, jedenfalls, solange noch beide gesund sind. Versorgungsausgleich? Auch der darf prinzipiell gestrichen werden. Und der Zugewinnausgleich sowieso, schon deshalb, weil man hier schon bei der Heirat in völliger Wahlfreiheit auch eine Gütertrennung vereinbaren kann. Es gebe nun mal keinen "unverzichtbaren Mindestgehalt an Scheidungsfolgen", resümiert der BGH.

Die Richter stellen klar, dass über die Gültigkeit eines Ehevertrags allein das Gesamtbild entscheidet

Trotzdem hat er den Vertrag aufgelöst. Das liegt daran, dass einige gravierende Dinge hinzugekommen sind. Erstens: Das Paar war beim Abschluss des Ehevertrags bereits zwei Jahre verheiratet, die Ehefrau hätte also alle Rechte gehabt. Diese wurden ihr durch den Ehevertrag genommen, ohne dass sie dafür eine Kompensation erhalten hätte, etwa in Form einer Kapitallebensversicherung zur Absicherung im Alter. Zweitens: Die Art und Weise, wie der Deal ablief, signalisiert laut BGH "eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines Ehegatten". Soll heißen: Er, der gut verdienende Unternehmer, hat sie, damals Teilzeitsekretärin in seinem Familienbetrieb, über den Tisch gezogen. Den Vertrag hatte er ausgetüftelt, sie hatte vor dem Notartermin den Entwurf nicht einmal gesehen. Das OLG Bamberg hatte ausführlich aufgearbeitet, wie der folgenreiche Termin dann ablief. Es war kurz vor Silvester 1995. Der Notar las den Vertrag vor, die Frau unterschrieb, ohne ihn auch nur zu lesen. Denn sie wollte den Beurkundungstermin zügig hinter sich bringen, aus Angst, ihr Baby könnte schreien - es war keine vier Wochen alt. Fazit der Richter: Der Ehemann habe seine wirtschaftliche und soziale Überlegenheit ausgenutzt.

Mit seiner Entscheidung macht der BGH deutlich, dass über Wohl und Wehe eines Ehevertrags allein das Gesamtbild entscheidet. Wenn in diesem Panorama ein Partner dem anderen klar unterlegen ist, dann wackelt der Vertrag. Der BGH greift damit gleichsam auf die Ursprünge zurück. Im Grundurteil des Bundesverfassungsgerichts von 2001, das die Wende hin zu einer Kontrolle von Eheverträgen eingeleitet hatte, ging es um eine schwangere Frau. Der Vater ihres Kindes stellte sie vor die Alternative: Entweder Ehevertrag - oder du bleibst ledig. Das fanden die Richter dann doch zu erpresserisch und gaben der Frau recht.

© SZ vom 19.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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